Berlin. Krawall nach außen, Trennungsgerüchte nach innen. Es kracht jedenfalls bei den „Ärzten“ auch auf dem Comeback-Album, „Hell“ ist sein Name.

Nach acht Jahren voller Streit und Trennungsgerüchte bringen die Ärzte heute ihr krachendes Comeback-Album „Hell“ heraus. Jan Vetter alias Farin Urlaub (56), Dirk Felsenheimer alias Bela B (57) und Rodrigo González (52) sind auch im biblischen Punk-Alter auf Krawall gebürstet und schwelgen in Albernheiten, Gesellschaftskritik und Ironie. Von Rechtsruck über Verschwörungstheorien bis hin zu Langeweile ist nichts vor ihren Kalauern sicher. Olaf Neumann traf die juvenilen Alt-Punks zum Gespräch.

„Hell“ ist Ihr 28. Album in 40 Jahren. Haben Sie darüber gegrübelt, was denn wohl altersgemäßes Musizieren sei?

Bela B: Ein neues Album ist unsere Entschuldigung dafür, dass wir den Leuten unsere Live-Konzerte zumuten. Ärzte-Platten sollen Kraft haben und nicht nach gut abgehangenem Boogie-Woogie klingen. Erfahrung darf da aber gern mit hineinspielen, wir haben uns ja auch weiterentwickelt. Es wäre bescheuert, heute noch solche Musik zu machen wie 1984, um zu zeigen, wie jung wir sind. Wir drei sind unser einziges Korrektiv.

Hat es Spaß gemacht, den aggressiven Oi-Punksong „Alle auf Brille“ zu schreiben?

Bela B.: Ich hatte einen tierischen Spaß dabei. Der Song ist ein Beleg dafür, was der Einzelne in der Band alles anstellt, um die anderen Beiden zum Lachen zu bringen. Oi-Musik ist eine Art Streetpunk mit gegrölten Fussballchören, wie sie zum Teil auch die Toten Hosen zelebrieren.

Farin Urlaub: Aber die Hosen singen ja noch Töne, die man kennt!
Bela B:
Ein absurder Song über Hooligans und darüber, wie Gewalt entsteht. Und dass sie sich gegen einen selbst richten kann. Der Text ging aus von einem Albumtitelvorschlag aus dem 90er-Jahren, den wir nie verwendet haben. Das Intro ist original von meinem Demo.

Viel Wut, wenig Liebe“ – war das Ihr Leben als junger Mann?

Bela B: Wütend war ich schon, aber ich war nie Teil einer Gruppe, die auf Leute losgegangen ist. Einmal haben wir in Berlin zu dritt einen Teddyboy verprügelt, was mir später sehr leid tat. Der Teddyboy wurde dann ein Freund von mir. Also ging es mir damals primär auch um Liebe, denke ich.

Welches Problem gab es zwischen Punks und Teddyboys?

Bela B: Es waren zwei gegensätzliche Jugendbewegungen. Die Teddyboys waren aus Sicht der Punks Spießer, weil sie alles gut fanden, was unseren Großeltern gefiel. Sie trugen immer saubere Klamotten. Auch Punks achteten sehr auf ihr Styling, aber sie sahen so aus, als kämen sie gerade aus der Gosse. Als ich 1979 den Film „Quadrophenia“ über zwei verfeindete Jugendbewegungen aus den Sechzigern gesehen hatte, gab mir das den Impuls, Punk zu werden. Zu einer Gruppe zu gehören, fühlt sich besser an, wenn es Leute gibt, die gegen dich sind. Natürlich war das albern, und ich hatte mich relativ schnell bei einem The-Damned-Konzert mit einem Teddyboy angefreundet. Er machte mich mit der Musik von Eddie Cochran und Buddy Holly bekannt. Beide sollten einen großen Einfluss auf Die Ärzte ausüben.

Die Jugendbewegungen von heute haben kaum noch etwas mit Musik zu tun.

Farin Urlaub: Heute dient Musik eher als Beschallung. Aber jetzt geht es wieder los, weil unser neues Album rauskommt.

Die meisten der Songs auf dem Album stammen von Farin Urlaub. Wie haben Sie sich gegen die starke Konkurrenz in der Band durchgesetzt?

Farin Urlaub: Ich habe eine Taktik, die Donald Trumps Ex-Berater Steve Bannon empfohlen hatte: Flute alles mit Scheiße! Weil die anderen sich durch all meine Demos hören mussten, hatten sie am Ende gar keine Lust mehr, mir ihre eigenen Songs vorzuspielen.

Wie demokratisch ist die Band Die Ärzte?

Bela B: Als wir wieder zusammengefunden und uns für eine Clubtour entschieden hatten, spürten wir, dass es im Studio gut läuft mit uns. Während dieser ganzen Zeit waren Rod und ich in der Warteschleife, während der Arsch die ganzen Songs geschrieben hat. Jan meinte zu uns: „Ja, ich weiß nicht. Nur, wenn ihr auch wirklich wollt und das Material gut ist“. Und als wir uns dann entschieden hatten, ins Studio zu gehen, eröffnete er uns, dass er bereits zwanzig neue Stücke geschrieben hatte.

Wie schlimm war eigentlich die Bandkrise?

González: Wir hatten bis 2013 eigentlich alles erledigt, was zu erledigen war. Und dann haben wir die Pausentaste gedrückt und nicht mehr entsperrt. Es bedeutete aber nicht das Ende der Band, sondern wir brauchten eine Auszeit.

Bela B: Wir waren nicht wirklich zufrieden mit dem damals aktuellen Album und der Tour. Wir haben uns aber nicht gehasst, sondern Anteil genommen an den jeweiligen Aktivitäten der anderen. Ich weiß von Bands, deren Mitglieder nicht im selben Hotel wohnen können und sich auf der Bühne nicht angucken. Und trotzdem funktionieren sie weiter, weil sie auf diese Weise ihr Geld verdienen. So war es bei uns nicht mal in den schlechtesten Momenten.

Farin Urlaub: Was bei uns als „Es läuft nicht gut“ gilt, gilt bei anderen Bands als „ihr versteht euch ja immer noch“. Wir hatten trotzdem noch Spaß zusammen, aber es war nicht so wie jetzt.

Wie fühlt es sich denn an, ein neues Album am Start zu haben, aber nicht auftreten zu dürfen?

Farin Urlaub: Lass uns nicht darüber reden!