Duisburg. Zum Aktionstag gegen Rassismus erwartete das Abtei-Gymnasium eine Holocaust-Überlebende. Als sie krank wird, springen die Enkel spontan ein.
Monatelang hatte sich das Abtei-Gymnasium auf den Besuch der Holocaust-Überlebenden Sara Atzmon vorbereitet. Die 89-Jährige aus Israel hat eine Deutschland-Reise angetreten, um mit jungen Menschen über ihr Leben zu sprechen und über die Greuel, die sie während des Nazi-Regimes erlebte. Das Gymnasium in Duisburg-Hamborn nahm den Besuch zum Anlass für einen „Aktionstag gegen Antisemitismus, Diskriminierung, Rassismus und Ausgrenzung“.
Das Organisationsteam um Christina van Laack und Katharina Middendorf hatte gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern ein ambitioniertes Programm auf die Beine gestellt. Und das in kurzer Zeit. Doch Sara Atzmon aus Israel konnte nicht kommen.
Enkel aus Israel vertreten Holocaust-Überlebende in Duisburg beim Aktionstag gegen Rassismus
Am frühen Morgen hatte sie mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, die ihr persönliches Erscheinen vereitelten. Nach ersten Informationen beabsichtigt sie trotzdem, die aktuelle Vortragsreihe – zehn Schulen in der Region stehen auf der Agenda – sobald wie möglich fortzuführen. Zum Termin am Abtei-Gymnasium bat Sara Atzmon jedoch spontan ihre drei Enkel, die ihre Oma bei ihrer Deutschland-Reise begleiten, sie zu vertreten. Sie wollten schildern, was der Holocaust mit ihrer Familie gemacht hat.
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Improvisiert werden musste obendrein auch bei der Eröffnung des Aktionstags. Eigentlich sollte die Antisemitismusbeauftragte des Landes in Hamborn einige Begrüßungsworte an die Gäste richten. Zum Live-Auftritt kam es nicht, ihr Grußwort übermittelte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger per Video-Clip.
Doch weder die Organisatoren noch die Teilnehmer ließen sich von diesen Widrigkeiten entmutigen. „Ausgrenzung, Hass und Rassismus dürfen hier keinen Platz finden“, sagte Schulleiter Thomas Regenbrecht und mahnte: „Immer häufiger zeigt sich die hässliche Fratze des Antisemitismus.“ Deshalb sei es nötig, gerade jetzt „auf die dunkle Seite unseres Erbes“ zu schauen.
Lesung des Duisburgers Burak Yilmaz: „Kämpfen gegen Judenhass“
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Für seinen anhaltenden Einsatz zur Erinnerungskultur und zur Verständigung, etwa durch Gedenkfahrten mit muslimischen Jugendlichen ins Vernichtungslager Auschwitz, erhielt der ehemalige Abtei-Schüler Burak Yilmaz bereits 2018 das Bundesverdienstkreuz. Beim Aktionstag Donnerstag las er jetzt in der Turnhalle aus seinem Buch „Ehrensache: Kämpfen gegen Judenhass“.
Neben dem Vortrag der Enkelkinder und der Lesung gab es über den ganzen Tag verteilt mehr als 30 unterschiedliche Workshops. Behandelt wurden Themenbereiche wie digitales Erinnern, jüdisches Leben in Deutschland oder Zivilcourage.
Dokumentarfilm zeigt die Lebensgeschichte von Sara Atzmon
Obwohl Sara Atzmon gesundheitlich verhindert war, stieß die dadurch improvisierte Schulveranstaltung mit ihren Enkeln Yael, Ayelet und Yoav bei den Jugendlichen aus Hamborn auf reges Interesse. Zumal sie zunächst den Dokumentarfilm „Holocaust light – gibt es nicht“ gezeigt bekamen. Der Film aus dem Jahr 2015 handelt von Sara Atzmons Lebensgeschichte und ihre Zeit im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Die Bilder von Kindern auf dem Weg zu den Eisenbahnwaggons, die sie in den sicheren Tod bringen sollten, lassen die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht los, sind schwer zu ertragen.
Aber genauso hat es Sara Atzmon erlebt. Die 1933 in Ungarn geborene Jüdin wurde als junges Mädchen im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert. Nur die Überbelegung des Lagers machte es möglich, dass der Zug vor dem Erreichen des Vernichtungslagers zum KZ Bergen-Belsen umgeleitet wurde.
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Die unmenschlichen Bedingungen dort haben Sara Atzmon bis heute geprägt, wie die Schüler nicht zuletzt von den Enkeln erfuhren. Die Bilder der Leichen, die täglich weggeschleppt wurden, habe die Holocaust-Überlebende noch immer vor Augen. Die eisige Kälte bei den Appellen im Lager spüre sie heute noch. „1944 war meine Kindheit zu Ende“, beschrieb die heute in Israel lebende Künstlerin ihre Leidenszeit, die das Konzentrationslager Bergen-Belsen als „die Hölle auf Erden“ bezeichnete.
Den Tag der Befreiung des Lagers durch die Briten am 15. April 1945 feiert sie als ihren „neuen Geburtstag“. Yael Atzmon, die derzeit an einem Buch über die Lebensgeschichte ihrer Oma arbeitet, berichtete am Abtei-Gymnasium, dass im weiteren Familienkreis 96 Verwandte ihr Leben durch den Holocaust verloren haben.
Vortragsreise durchs Ruhrgebiet und NRW wird fortgesetzt
Sara Atzmon hat überlebt und vor rund 25 Jahren damit begonnen, ihre Geschichte jungen Menschen in der ganzen Welt nahezubringen. Sie besucht Schulen und schildert, was sie erlebt hat. Ihre Enkel, die ebenfalls in Israel in der Nähe von Tel Aviv leben und ihre Großmutter zum ersten Mal nach Deutschland begleiten, werden ihre Vortragsreise durch weitere Schulen im Ruhrgebiet und in NRW fortführen und die Großmutter mitnehmen, sofern es ihre Gesundheit wieder erlaubt.
Im Duisburger Norden traten sie erstmals vor Schülerinnen und Schüler, um zu berichten, welches Trauma die Shoa für ihre Familie bis heute bedeutet. Dabei stellten sie sich geduldig den Fragen der interessierten Jugendlichen.
Für das Organisationsteam war der Aktionstag ein Erfolg, wie Christina van Laack resümiert. „Wir sind sehr zufrieden.“ Nicht zuletzt wegen der drei Enkel, die „sehr eindrücklich“ gemacht haben, „wie das Leben in einer Familie ist, die so eine Geschichte mitbringt“. Das sei definitiv „keine Ersatzveranstaltung“ gewesen.
Das empfanden auch die Schüler so. So zeigte sich etwa die 14-jährige Melina beeindruckt von Sara Atzmons Lebensgeschichte und dem Einfluss des Holocausts auf ihre Familie: „Das darf nie in Vergessenheit geraten. Es ist immer wieder erschreckend, die Bilder von damals zu sehen. Man muss darüber sprechen, unsere Schule macht da viel.“ Sie und ihre Mitschüler fühlen sich auch durch den Aktionstag darin bestärkt, dass es wichtig ist, Haltung zu zeigen gegen Rassismus und Antisemitismus. (mit olk)
>> AUSSTELLUNG VON SARA ATZMON IN DER CUBUS-KUNSTHALLE
In der Cubus-Kunsthalle am Kantpark (Friedrich-Wilhelm-Straße 64) läuft derzeit eine Ausstellung von Künstlerin Sara Atzmon. Gezeigt werden zwölf Gemälde auf Großleinwand. Mit ihren Bildern verarbeitet die 89-Jährige ihre Erlebnisse aus dem Konzentrationslager.
Die offizielle Eröffnung ist am 2. September um 17 Uhr, die Ausstellung wird bis zum 10. September zu sehen sein.