Duisburg. . Verkehrsforscher hatte nur einen eingeschränkten Untersuchungsauftrag zur Loveparade. Die Stadt, so der Vorwurf, soll die Besucherprognose zurückgehalten haben.
Das Gutachten des britischen Massenforschers Keith Still setzt die Stadt Duisburg weiter unter Druck. So hatten die Planer der Kommune zwar den Duisburger Verkehrsprofessor Michael Schreckenberg und die Firma TraffGo mit Gutachten zur Entfluchtung und Personenstromanalyse des Festgeländes beauftragt, um die Veranstaltung genehmigungsfähig zu machen. Von den Gutachtern aber keine tragfähigen Aussagen zu den gefährlichen Stellen auf dem Festgelände erhalten. Und nicht nachgefasst. Das Still-Papier zieht nun die Qualität der städtischen Aufträge an Schreckenberg und TraffGo in Zweifel. Die entscheidende Frage wurde nämlich nicht beantwortet: Wie viele Menschen können pro Stunde überhaupt maximal auf das Gelände gelangen?
Zunächst hatte sich Professor Schreckenberg die Baukonzepte zur Loveparade angesehen. Ihm lagen weitgehend alle Unterlagen vor. Gleichzeitig wurde er zwei Wochen vor der Loveparade mündlich von Feuerwehr, Polizei und Ordnungsamt über die Konzepte für Zu- und Abwege informiert. Wie aus einem Protokoll des Treffens hervorgeht, warnte Schreckenberg etwa vor „festinstallierten Gittern“ auf den Wegen zur Loveparade. Er empfehle stattdessen, „keine festen Sperren“ einzusetzen. „Solange es möglich ist, sollte man die Besucherströmungen ungehindert fließen lassen.“
Zur Situation im Tunnel und auf der Rampe sagte Schreckenberg wenig. Solange das letzte Teilstück auf dem Zuweg zum Partygelände eng genug sei, sei es sachgerecht, den „Strom auf das Maß zu reduzieren, welches am Einlass problemlos gesteuert werden kann“. Für seine Begutachtung der Pläne bekam Schreckenberg 20.000 Euro von der Stadt. Er sagt, die Stadt habe seinen Auftrag alleine auf die Zu- und Abwege vom Bahnhof bis zu den Vereinzelungsanlagen vor dem Gelände beschränkt. Für die Tunnel und die Rampe habe er keinen Auftrag gehabt. „Der Veranstalter wollte von mir keine Aussage zu den Besucherströmen auf dem Gelände.“ Dem sei die Stadt gefolgt.
Auch die Firma TraffGo hat in ihrem Gutachten, das sie am 15. Juli 2010 präsentierte, nichts zu der Breite der Zuwege und möglichen Staus dort gesagt. TraffGo-Chef Hubert Klüpfel, der bei Schreckenberg promovierte, hielt nach einer Computersimulation die Fluchtwege vom Gelände weg für ausreichend. Zu Tunneln und Rampe am Eingang findet sich nur der Hinweis, durch Ordner müsse verhindert werden, dass sich die Besucherströme vor der Rampe kreuzen. Die Annahme der TraffGo-Simulation war „stetiges Weiterlaufen“ der Besucher. Staus wurden nicht geprüft.
Maximaler Durchlass
Zu der Frage nach der maximalen Durchlassmenge am engsten Punkt des Zuweges finden sich keine Aussagen bei Schreckenberg und TraffGo, auch nicht in den sonstigen Unterlagen. Für den britischen Forscher Still war das aber der springende Punkt. Selbst wenn die gesamte Rampe frei gewesen wäre, hätte an der engsten Stelle nur eine Passage von rund 18,30 Meter Breite zur Verfügung gestanden, die als Zu- und Abweg genutzt werden sollte. Laut Still hätten hier maximal 89.800 Menschen pro Stunde durchkommen können.
Wie aus dem Bewegungsprofil der Loveparademacher ersichtlich war, rechneten die Planer mit 145 000 Besuchern in der Spitze. Nach dieser Liste ist der Zeitpunkt der Katastrophe vorhersehbar, wenn man Still folgt. Bis 15 Uhr sollten nur 65 000 Menschen in der Stunde die Rampe passieren. Dies war problemlos möglich. In den nächsten beiden Stunden sollten je rund 100 000 Menschen folgen. Das System musste demnach spätestens zwischen 16 und 17 Uhr kollabieren. Die meisten Menschen starben am Fuß der Rampe gegen 16.30 Uhr.
Schreckenberg sagt, Zahlen über die erwarteten Besucherströme seien vom Veranstalter und von der Stadt zurückgehalten worden. Die Gutachter sollten nicht erfahren, wie viele Leute tatsächlich kommen würden. „Die Zahlen wurden nicht offengelegt.“ Gegen Schreckenberg und die Verantwortlichen der Firma TraffGo wird nicht ermittelt.