Duisburg. . Stilvielfalt ist das neue Konzept des Festivals Traumzeit. Das reicht von meditativen Klängen am Klavier über engeriegeladenen Rock und Ska bis hin zu glänzendem Rockabilly.
Traumzeit ist der Name des Festivals, ebenso traumhaft war das Programm am Samstag. Dabei glänzten – fast wie die im Landschaftspark verteilten Goldballonskulpturen des Duisburger Künstlers „Becker Schmitz“ – die kleineren, ruhigeren Bands. Bei Musikern wie Kat Frankie und Band oder dem Experimental-Pianisten Hauschka, der mit seinen langen Stücken am präparierten Flügel über verlassene Städte für meditative Stimmung sorgte, füllte sich die Gebläsehalle. Tobias Siebert „And the Golden Choir“ reihten sich in diese entspannte Musik-Kategorie ein. Mit seiner auf Schallplatte gepressten Bandmusik, seiner klaren Stimme, mit dem über der Bühne wabernden Nebel wirkte sein Auftritt einfach mystisch.
Die mexikanische Mestizorock und Latin Ska Band Panteón Rococó sorgte mit ihren Bläsern, Schlagwerk und stroboskopartigem Licht für ein heftiges nachmittägliches Erwachen. Mit unbändiger Energie begeisterte die Band das Publikum, das danach scheinbar geschlossen zur australischen Singer-Songwriterin Kat Frankie in die Gebläsehalle wechselte. Und dann wieder zurück in die Gießhalle zur Band Bonaparte um den Schweizer Tobias Jundt, die mit ihrer trashigen Bühnenperformance richtig was fürs Auge bot und mit punk-rockigem Synthie-Sound begeisterte.
Überragende Light- und Musikshow
In der Kraftzentrale begann der Abend mit Young Chinese Dogs, einer gut gelaunten Münchner Band, die mit Indie-Folk, Country und Pop für Stimmung sorgte. Etliche Besucher waren offensichtlich wegen der drei englischen Geschwister „Kitty, Daisy & Lewis“ gekommen, leicht zu erkennen am Retro-Stil mit kunstvoll arrangierten Frisuren und ausgestellten Röcken. Inspiriert von R’n’B, Swing, Blues, Country und Rock ’n’ Roll der 1940er und 50er Jahre lieferte die Band ein fetziges Konzert. Die Geschwister – die Schwestern glänzten im goldenen und schwarzen Glitzer-Outfit – machen seit Kindertagen gemeinsam Musik und wechselten die Bühnenpositionen nahezu mit jedem Stück: Schlagzeug, Gesang, Piano, Mundharmonika oder Gitarre. Die Weilheimer Indie-Formation „The Notwist“ begrüßte dann die einbrechende Nacht zum Mittsommer mit einer spannungsreichen und überragenden Light- und Musikshow.
Ein Festival mit entspannter Atmosphäre, keine Schlangen, kein Gedrängel. Die Musikfans wechseln von Ort zu Ort, machen auch mal eine Pause, genießen die Bands auf der frei zugänglichen Bühne am Gasometer, nehmen eine Kleinigkeit zu sich oder schlürfen Cocktail in den Strandkörben. Die größtenteils zeitlich aufeinander folgenden Auftritte bieten ein Maximum an Musikgenuss. So schien das Publikum am Samstag genreübergreifend begeistert, und für die Möglichkeit zum WM-Public-Viewing des Spiels Deutschland gegen Ghana hatten die Veranstalter mit Fernsehern auf dem Vorplatz zwischen Gieß- und Gebläsehalle gesorgt.
Aber, wie Beate Meuthen als langjähriger Traumzeit-Fan sagt: „Es ist ein tolles Festival, aber qualitativ nicht mit früheren Jahren vergleichbar. Da war es einfach bunter, internationaler und vor allem überraschender.“
Verhaltener Start am Freitag mit Mia
Wo ist eigentlich in diesem Jahr Herbie Hancock? Die wohl nicht ganz ernst gemeinte Frage eines alten Traumzeit-Freundes konnten die meisten der jungen Besucher im Landschaftspark nicht beantworten, da sie den berühmten Jazz-Pianisten gar nicht kennen. Doch dafür feierten die Freunde des elektronischen Liedgutes mit deutschen Texten am ersten Abend des Festivals mit Mia und Judith Holofernes schwer angesagte Stars der Popmusik und der Songwriter-Szene, die auf jeden Fall zu den Attraktionen der dreitägigen Veranstaltung zählten, die stilistisch bereits im vergangenen Jahr zu neuen Ufern aufgebrochen war und jetzt den angekündigten Wandel perfekt machte. Auf Jazz- und Weltmusik-Stars wurde komplett verzichtet. Ein programmatischer Schritt, dem zum Auftakt aber längst nicht so viele Besucher gefolgt waren, wie man sie sich durch die gebotene leichte Kost versprochen hatte. So waren die meisten alten Stammgäste ohnehin hier nicht mehr anzutreffen.
Typischer Vertreter einer jungen Songwriter-Bewegung ist die Berliner Band „Die höchste Eisenbahn“, die mit ihren Gründern Francesco Wilking und Moritz Krämer auf eingängige Kompositionen setzt, die in der Gießhalle bestens ankamen. Wobei vor allem ihr sauberer und entspannter Gesang zu loben ist.
Danach machte dann der Top-Act Mia und die schräge Sängerin Mieze Katz die allerdings nur halb gefüllte Kraftzentrale mit zuckenden Scheinwerferlichtern und wummernden Bässen zur Disco. Dabei klang die blonde Frontfrau mit den peinlichen Kostümen sogar ein wenig nach Nina Hagen. Eine bunte Party-Band, deren Auftritt vor einigen Jahren beim Traumzeit-Festival noch unvorstellbar gewesen wäre.
Tanzen zu Judith Holofernes
Für ein deutlich höheres Niveau sorgte dann die Berliner Sängerin Judith Holofernes, bekannt von der Kult-Band „Wir sind Helden“, deren munterer Elektro-Pop mit deutschen Texten die vielen jungen Besucher sogar einige Tanzschritte wagen ließ. Viel Beifall für Judith Holofernes und ihre Freunde.
Zuletzt warteten vor allem die jungen Besucherinnen noch auf den Sänger Marcus Wiebusch, der als Frontman der Band Kettcar erste Erfolge sammelte und längst kein Geheimtipp mehr ist. Insgesamt sehr abwechslungsreich war das Open-Air-Programm am Gasometer, wo man sich schon traditionell zum Bier zwischen den Konzerten trifft. Allerdings war die kleine gastronomische Budenstadt mit ihren Live-Bands auch schon mal besser besucht. Was aber vielleicht auch am Wetter gelegen haben könnte.
So war die "Traumzeit" in Duisburg