Duisburg. 336 385 Duisburger haben am kommenden Sonntag die Wahl: Am 25. Mai wird nämlich nicht nur der Stadtrat gewählt, sondern auch das Europaparlament. Wir stellen die Kandidaten der unterschiedlichen Parteien vor.

Am 25. Mai wird nicht nur der Rat der Stadt Duisburg neu gewählt, sondern auch das Europaparlament. Insgesamt wählen rund 380 Millionen Europäer aus den 28 Mitgliedsstaaten insgesamt 751 Mitglieder des Europäischen Parlaments. 96 deutsche Parlamentarier, aufgeteilt auf die unterschiedlichen Parteien, zählt das Parlament. Klassische Wahlkreise gibt es übrigens nicht – der Wähler entscheidet sich allein für eine Partei. So ist es beispielsweise möglich, dass sich auch ein Hamburger um Themen aus NRW kümmert und ein Bielefelder in Duisburg antritt. Die Wählhelfer haben am Sonntag alle Hände voll zu tun. 336.385 Duisburger sind zur Europawahl zugelassen. Bei der Kommunalwahl sind es knapp 20.000 mehr. Zunächst werden die Stimmen für die Europawahl ausgezählt, später dann die für die Kommunalwahl.

Pünktlich zur großen Abstimmung stellt die WAZ die Kandidaten der derzeit im EU-Parlament vertretenen Parteien vor – sowie den Vertreter der als Euro-Kritiker bekannten „Alternative für Deutschland“ vor. Sie verraten Persönliches, erklären, für welche Themen sie sich auf EU-Ebene engagieren wollen und welche Meinung sie zu Zuwanderungsfragen haben – ein Thema, das vor allem Duisburg umtreibt. Gleichzeitig präsentieren wir Ihnen auf dieser Seite Projekte, die mit Hilfe von EU-Gelder umgesetzt werden konnten. Von 2007 bis 2013 flossen aus verschiedenen Fonds über 65 Millionen nach Duisburg. Gefördert wurde unter anderem das Projekt „Soziale Stadt“, Arbeitsmarkt-Maßnahmen und europäische Begegnungen, beispielsweise durch Comenius-Programme, die den Austausch zwischen Schulen fördern.

Kommunalwahlen 2014

Jens Geier (SPD): „Viele Projekte in Duisburg umgesetzt 

„Seit 1945 haben wir Frieden, wir können grenzenlos reisen, in anderen Ländern studieren und sind Exportweltmeister – Deutschland profitiert von Europa“, erklärt Jens Geier. Der SPD-Politiker wurde 2009 bereits ins Europaparlament gewählt. Bevor er selbst Abgeordneter wurde, arbeitete der 52-Jährige nach seinem Studium für einen Parlamentarier. Vor seinem Mandat war der Historiker für eine Beratungsgesellschaft tätig, die beispielsweise auch die Stadt Duisburg bei Immobilienprojekten beriet.

Der 52-Jährige schwärmt: „Ich finde es faszinierend, in einem supranationalen Parlament über Ländergrenzen hinweg Politik zu machen.“ In den vergangenen Jahren hat er sich vor allem mit Haushalts- und Regionalpolitik beschäftigt. „Mit EU-Geldern konnten viele Projekte in Duisburg umgesetzt werden“, betont der Vater eines Sohnes. Aber es bleibe genug zu tun. „Die Leute interessiert das Freihandelsabkommen, sie wollen wissen, wie die Lebensmittel, die aus den USA in die EU kommen könnten, produziert werden. Sehr viele lehnen das Freihandelsabkommen deshalb ab.“

Auch bei der Integration der Zuwanderer habe die EU Duisburg in der Vergangenheit unterstützt und beispielsweise Sprachkurse mitfinanziert. „Europa ist grenzenlos, wir genießen die Freizügigkeit. Wir haben keine Steuerungsmöglichkeit, wo sich die Menschen niederlassen.“ Zudem würde Geld aus dem Regional- und Sozialfonds in Länder wie Bulgarien und Rumänien investiert, um die Lebensverhältnisse und Infrastruktur zu verbessern. „Die Krise in der Ukraine hat gezeigt, dass es auch in Zukunft wichtig ist, ein starkes Europa zu haben“, wirbt Jens Geier.

Dennis Radtke (CDU): „Energiepolitik ist eine fundamentale Zukunftsfrage“ 

Der Bochumer Dennis Radtke tritt für die CDU im Ruhrgebiet bei der Europawahl an. Mit dem 34-Jährigen haben die Christdemokraten einen Vertreter des Arbeitnehmerflügels aufgestellt. Radtke arbeitet als Sekretär bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie und ist Vorstandsmitglied der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft NRW. „Als Gewerkschaft vertreten wir nicht nur viele Arbeitnehmer, sondern auch die Betriebe in energieintensiven Branchen.“ Die Energiepolitik ist für ihn ein wichtiges Feld, das nicht nur in Düsseldorf und Berlin entschieden werde, sondern im besonderen Maß ein europäisches Thema, „eine fundamentale Zukunftsfrage“, sei. „Hohe Kosten für Energie und Rohstoffe belasten zunehmend die Unternehmen und gefährden Arbeitsplätze. Mein Anliegen ist, dass keine Arbeitsplätze in der Region durch falsche Weichenstellungen in der EU gefährdet werden“, macht Radtke deutlich.

Bei der Zuwanderung und ihren Auswirkungen in den Städten des Ruhrgebiets argumentiert der Christdemokrat differenziert. „Die CDU spricht sich klar gegen Sozialmissbrauch aus. Aber wir dürfen das Kind auch nicht mit dem Bade ausschütten. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist wichtiges Gut.“ Ebenso wichtig sei, die Situation in Rumänien und Bulgarien zu verbessern. Zudem will er dafür kämpfen, dass weitere Länder dem Entsendegesetz zustimmen. Es dürfe nicht sein, „dass Firmen aus dem Ausland Menschen hier in Deutschland arbeiten lassen und die in Duisburg eingesetzte Arbeitskolonne nach rumänischem Tarif entlohnt wird“.

Terry Reintke (Bündnis 90/Die Grünen): Europa soll jungen Arbeitslosen helfen 

Terry Reintke ist zwar erst 27 Jahre alt, engagiert sich aber bereits seit zehn Jahren für die grüne Jugend im Ruhrgebiet und auf Bundesebene. Vor allem mit Europathemen hat sich die gebürtige Gelsenkirchenerin befasst. Sie war viel in Europas Krisenländern unterwegs und hat erlebt, was die Jugendarbeitslosigkeit für die jungen Erwachsenen bedeutet – in Spanien zum Beispiel. „Dort sind 60 Prozent arbeitslos und 80 Prozent der über Dreißigjährigen müssen wieder bei ihren Eltern einziehen.“ Dagegen müsse etwas unternommen werden, etwa, indem man allen jungen Menschen unter 25 Jahren nach vier Monaten Arbeitslosigkeit zumindest einen Praktikumsplatz anbietet. Bei den jungen Leuten müsse ankommen: „Die EU ist ein Glücksfall und tut was für uns.“

Auch das Freihandelsabkommen mit den USA sei ein großes Thema im Wahlkampf. Die Leute hätten Sorge, dass beispielsweise gentechnisch veränderte Lebensmittel angeboten werden und welche Auswirkungen das Abkommen noch habe. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Debatte über Zuwanderung. Terry Reintke macht klar: „Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine wichtige Säule europäischer Politik und die Mehrheit der Menschen, die nach Deutschland kommt, hat eine sozialversicherungspflichtige Arbeit.“ Nichtsdestotrotz müssten die Kommunen bei der Integration der Menschen unterstützt werden.

Die Politikwissenschaftlerin, die in Berlin und Edinburgh studiert hat, weiß, dass viel Arbeit auf sie wartet. Sie steht auf einem aussichtsreichen neunten Listenplatz. „Aber ich bin jung, motiviert und brenne für Europa.“

Beret Roots (FDP): Das Freihandelsabkommen schafft Jobs 

Sie wurde in Kalifornien geboren, ihr Vater ist Brite, der in den USA lebt, die Großmutter kommt aus Dänemark, sie selbst hat einen deutsch-amerikanischen Doppelpass: Bei der FDP-Politikerin Beret Roots trifft sich Europa bereits in der Familie. Die Moerserin setzte sich in den vergangenen Monaten überraschend gegen die parteiinterne Konkurrenz durch und kandidiert nun für die Liberalen im Ruhrgebiet für das Europaparlament. Als Stellvertreterin des NRW-Spitzenkandidaten Alexander Graf Lambsdorff reist sie derzeit durchs Land, um die Wähler von liberalen Positionen zu überzeugen.

Gleichzeitig kandidiert sie in Moers für den Stadtrat, „denn, viele Entscheidungen, die von der EU kommen, werden kommunal umgesetzt“, sagt sie. „Europa ist ein Lebensgefühl, ich fühle mich als Europäerin“, erklärt die 28-Jährige, die Psychologie studiert hat und, wenn sie nicht gerade Wahlkampf macht, nun freiberuflich für eine Unternehmensberatung arbeitet. Der Verbraucherschutz liegt ihr am Herzen, mit dem Thema hat sie sich bereits als junge Liberale intensiv auseinandergesetzt.

Zudem befürwortet die Jungpolitikerin das Freihandelsabkommen, das mit den USA geschlossen werden soll. „Auf diese Weise können neue Arbeitsplätze entstehen und die Wirtschaft wird wachsen“, nennt sie Vorteile des Abkommens. Falls Beret Roots ins Parlament gewählt wird, würde sie sich beispielsweise mit der Lebensmittelsicherheit und dem Datenschutz auseinandersetzen. Angesprochen auf das Thema Zuwanderung, sagt sie: „Wir müssen den Städten helfen, allerdings ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit ein hohes Gut in Europa.“

Fabio De Masi (Die Linke) befürwortet eine europaweite Vermögensabgabe 

Europa wurde Fabio De Masi in die Wiege gelegt. Der Europakandidat für die Linke hat einen deutschen und einen italienischen Pass, sein Vater stammt aus Italien. Zudem hat er Internationale Beziehungen in Hamburg und Kapstadt studiert. Der 34-Jährige engagierte sich schon früh politisch, war als Jugendlicher Schülersprecher und zählt zu den Mitbegründern von „Solid“, dem Jugendverband der PDS. Später wechselte er in die Linke. Bevor er Mitarbeiter der Bundestagsfraktion und von Sarah Wagenknecht wurde, arbeitete der studierte Volkswirtschaftler bei einer Unternehmensberatung. Die Themen, die er auf EU-Ebene anpacken würde, liegen denn auch im Bereich Wirtschafts- und Währungspolitik. „Ich lehne das Freihandelsabkommen mit den USA ab und setze mich für europaweite Vermögensabgaben ein“, gibt De Masi ein Beispiel. Die EU müsse ihre „Steueroasen“ für Konzerne abschaffen und eine Mindestbesteuerung in den Ländern einführen. Die Haushaltskompetenz sollte allerdings weiterhin bei den Nationalstaaten liegen.

Auch zur Zuwanderung hat der Vater eines Sohnes eine dezidierte Meinung. „Die CSU warnt ja vor Sozialmissbrauch der Zuwanderer in Deutschland. Das ist aber ein Sozialmissbrauch der Bosse. Wenn alle am gleichen Ort den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen, wäre viel geholfen.“ Es müssten die Tarife des Landes gelten, wo die Leistung erbracht wird – und nicht des Entsendelandes. Zudem kritisiert er, dass die Bundesregierung nicht alle Fördermittel zur Integration abgerufen hat, die die EU zur Verfügung stellt. „Ich will mich für die einfachen Leute in der EU einsetzen.“

Marcus Pretzell (AfD) will die EU reformieren 

Die Europaskeptiker von der „Alternative für Deutschland“ (AfD) haben regen Zulauf – wobei Kandidat Marcus Pretzell im Gespräch erst einmal widerspricht, ein Europaskeptiker zu sein. „Meine Kritik gilt ausschließlich der gegenwärtigen EU. Ich befürworte keinen europäischen Zentralstaat.“

Der Rechtsanwalt aus Bielefeld ist Spitzenkandidat der AfD in Nordrhein-Westfalen. In die neu gegründete Partei sei er eingetreten, weil sie seiner liberal-konservativen Einstellung entspreche. Konservativ ist er in Fragen der Familien- und Gesellschaftspolitik, liberal in wirtschaftspolitischer Hinsicht und wenn’s um staatliche Organisationen gehe. Zuvor war Pretzell fünf Jahre Mitglied in der FDP. Sollte er ins Parlament gewählt werden, möchte der Rechtsanwalt die Grundfeste der EU reformieren. „Die EU soll nur Themen behandeln, die die Mitgliedsstaaten nicht selbst regeln können, sei es im Bund, Land oder kommunal.“

Die Freizügigkeit innerhalb der EU treibe indes „seltsame Blüten“. Pretzell zeichnet das Bild vom rumänischen Gesundheitssystem, das ausblute, weil das Personal nach Deutschland abwandere – und auch die Ärzte aus der Bundesrepublik sich Jobs im Ausland suchen, weil dort die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen besser seien. „Hier muss mehr Gebrauch von EU- Strukturförderprogrammen gemacht werden, um die Lebensbedingungen der Bürger in den jeweiligen Ländern zu verbessern.“ Gegen Zuwanderung sei man nicht grundsätzlich, man befürworte das kanadische Modell, bei dem Zuwanderer Punkte sammeln und beispielsweise Sprachkenntnisse und ein Jobangebot vorweisen müssten.