Duisburg. Pflegebedürftigen steht laut Gutachten eine bestimmte Pflegezeit zu, trotzdem ist der häusliche Dienst oft schneller weg. Laut Kasse ist das in Ordnung. Für Betroffene hat die Praxis aber bisweilen kuriose Konsequenzen. So wie für Dieter Glade, dem nun der Rauswurf aus der Rentenversicherung droht.
Als Dieter Glade neulich Post von seiner Rentenversicherung bekam, staunte er nicht schlecht: Obwohl er seine Lebensgefährtin über 14 Stunden in der Woche pflegte, gerade genug also, um rentenversichert zu bleiben, wurde ihm weniger Pflegezeit anerkannt.
Die Begründung war simpel: Der ambulante Pflegedienst, der drei Mal in der Woche beim Waschen half, rechnete dafür jeweils 38 Minuten ab. Tatsächlich leistete das Team aber nur 20 Minuten. Doch weil Glade die vollen 38 Minuten Hilfe von seinem Pflegepensum abgezogen bekam, drohte ihm nun der Rauswurf aus der Rentenversicherung.
Die Fälle gibt es zuhauf
Er ist nicht der einzige Duisburger, der sich über ambulante Pflegedienste ärgert, wenn sie sich nur einen Bruchteil der Zeit kümmern, die im Pflegegutachten des Betroffenen festgelegt wurde. „Das ist so, als würde ich auf dem Markt ein Kilo Möhren für 80 Cent kaufen, das Geld übergeben, aber nur die Hälfte der Möhren bekommen“, fasst Glade sein Problem zusammen.
Wo Pflegebedürftige Kritik loswerden können
Der erste Gang sollte der zur Geschäftsstelle der Krankenkasse sein. Die AOK bietet außerdem eine Pflegehotline unter 0800/ 32 90 329 und Pflegeberater, die ins Haus kommen und Leistungen ambulanter Dienste prüfen.
Tenor vieler Experten aus der Branche: Wer unzufrieden ist, sollte das Pflegeunternehmen einfach wechseln. Bei 62 Firmen in Duisburg ist die Auswahl groß. Tipps von Bekannten, die mit ihrem Pflegedienst zufrieden sind, können ein guter Anhaltspunkt sein.
Wer gar nicht weiter weiß, kann sich bei der NRW-Landesstelle für pflegende Angehörige unter 0800 220 44 00 (gebührenfrei) oder dem NRW-Patientenbeauftragten ( 0234/915 351 940 zum Ortstarif) beraten lassen. Gibt es bei Streitfällen keine Lösung, stehen für Rat und Klärung auch die bundesweit tätigen Experten der Vital und Aktiv Pflegeberatung zur Verfügung (kostenlose Hotline: 0800/611 611 1). Sie unterstützen Betroffene zudem bei Widerspruchsverfahren zur Pflegestufe.
„Solche Fälle gibt es zuhauf und sie sind der Grund, warum wir ein bundesweites Pflegenetzwerk gegründet haben“, sagt Jörg Kröning von Vital und Aktiv, einem Zusammenschluss von Pflegefachleuten. Zwar wird im Pflegegutachten stets festgelegt, bei welchen Aufgaben die Senioren Hilfe erhalten sollen. Für diese „Verrichtungen“ gibt es vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen auch grobe Zeitkorridore zur Orientierung. Eine Ganzkörperwäsche soll demnach durchschnittlich 20 bis 25 Minuten dauern.
Bezahlt wird Leistung, nicht Zeit
Doch in der Praxis gestaltet sich die Lage kompliziert. „Abgerechnet wird nach bezahlter Leistung“, erklärt etwa eine Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg. Heißt: Wenn der Pflegedienst die Ganzkörperwäsche in der Hälfte der Zeit schafft, bekommt er von der Kasse die gleiche Vergütung. Er ist nicht verpflichtet, Richtzeiten voll auszuschöpfen. „Derzeit verhandeln wir, dass Pflegekassen nicht mehr nur nach Leistung, sondern auf Wunsch auch nach Einsatzminuten zahlen können“, so die Sprecherin. Spruchreif ist das Modell „Zeit auf Kassenleistung“ noch nicht.
Nur privat lässt sich bei Pflegediensten auch jetzt schon ein Kostenvoranschlag auf Zeitbasis anfragen. „Dazu raten wir auch“, sagt Kröning, „denn so sind Betroffene auf der sicheren Seite, wirklich die Pflegezeit zu bekommen, die sie brauchen.“
Dieter Glade hat dem häuslichen Pflegedienst mittlerweile gekündigt: „Für mich ist das ein Fall von Abrechnungsbetrug, auch wenn die Kassen das anders sehen mögen.“