Duisburg.
Eine Prise sollte es sein und nun verteilt sich der Inhalt des Salzstreuers auf der Poulardenbrust. Justin lässt sich nicht beirren. Kimberly und Mandy matschen im klebrigen Eidotter. Mit faszinierendem Ekel tunken sie geschnittenen Schafskäse hinein. Dann wird paniert. Das soll man Essen können? „Genau so, ihr macht das richtig gut. Später kommt er in die Pfanne“, ruft Tom Waschat durch die Geräuschkulisse wie in einer Großküche zur Mittagszeit. Der Koch, der im WDR seine eigene Show hat, steht in schneeweißer Küchenuniform mit einem Dutzend Halbstarker in der kleinen Küche des Spielzentrum-Süd, einer städtischen Einrichtung in Großenbaum. Hier verbringen Jugendliche des Stadtteils und Kinder des naheliegenden Kinderheims ihre Nachmittage. Das Kinderheim, in dem auch Waschat einen Teil seiner Jugend verbrachte.
Das heutige Kochen mit dem Profikoch ist Teil eines Ernährungs- und Bewegungsprojekts des Jugendamtes: Fast 340.000 Euro stellte die Stadt in diesem Jahr für 47 Veranstaltungen mit Kindern zur Verfügung. Heute geht es um gesundes Essen, das sollen die Jugendlichen durch ein Drei-Gänge-Menü lernen. Und durch Tom Waschat, den die Stadt eigens hierzu engagiert hat.
Dabei liest sich das Menü wie aus dem Sternerestaurant: Geschmorte Pilze und Tomaten in Estragon-Butter, dazu gebackener Schafskäse. Brokkoli-Möhren-Püree mit soufflierter Poulardenbrust auf Nudeln von Tortillas. Als Nachtisch: Zimtsterne mit Apfel-Sahne. Justin und Kimberly ist anzumerken, dass ihre Leibspeisen heute nicht auf der Menükarte stehen. Und, dass die Situation für sie ungewohnt ist: Gemeinsames Kochen und Essen kennen sie aus ihren Familien scheinbar nicht.
Das bestätigt auch Ulrike Hoppe, Leiterin der Einrichtung: Vielen der Kinder müssen Essensrituale erst einmal erlernen. „In ihren Familien gibt es kein gemeinsames Abendbrot oder einen Frühstückstisch. Sie sind meist nur Minimalernährt.“ Jeden Tag gibt es im Spielezentrum deshalb einen gesunden Mittagstisch. Für Jugendliche aus dem Stadtviertel und für Kinder aus gegenüberliegendem Heim. Und heute das besondere Abendessen mit dem Profikoch. Waschat: „Ich möchte mit den Kinder völlig normale Dinge einfach Mal auf ungewohnte Weise zubereiten. Dabei können sie all das auch zu Hause oder in ihrem Heimgruppen nachkochen.“
Waschat lebte selbst im Heim
In der engen Küche indes sind alle Kinder mit Aufgaben versorgt: Kimberly schnippelt Äpfel an der Kochinsel. Jamy manövriert Teller und Besteck durchs Küchen-Kinder-Kuddelmuddel. Mit Justin deckt Waschat den angrenzenden Essenstisch. Auch Mandy hat einen Job: Sie probiert einen Krümel des vorbereiteten Zimtteiges. Er riecht nach Weihnachten. Doch sie spuckt den winzigen Klumpen auf den Fußboden. Da wird der vorher ruhige Koch sauer und weist das Mädchen mit der Strenge eines Küchenchefs zu Recht. Gleiches tut er, als Jamy, der Herr der Pfannen, die angebratenen Apfelstücke im Zucker ertränken will. Und als Kimberly nicht sofort ihren Arbeitsplatz aufräumen, stattdessen lieber etwas quasseln will.
Das Autoritäre in seiner Stimme hat einen Grund: „Hier gilt das Gesetz des Stärkeren“, sagt der Profikoch als er wieder zur Ruhe kommt. Denn er weiß, wovon er spricht. Als Fünfjähriger war er selbst ein Kind im Kinderheim. Genau hier, an der Rotdornstraße, kam er 1972 für ein halbes Jahr in Pflege. Und war von Beginn an eins: Außenseiter. „Die älteren Kinder und die, die wussten, dass sie länger im Heim bleiben müssen, haben uns ‚Gäste‘ getriezt.“ Seine Oma brachte ihm Schokolade vorbei, die er auf dem Gang verteilen musste, um keine Prügel zu bekommen. Sein Gang, Haus Neunzehn, erster Stock; Sein Zimmer: das letzte auf der linken Häuserseite. Seine Fensterbank, auf der er Nachmittage und Nächte verbrachte und vor der er später bei einer Zigarette nachdenklich stehen wird. „Ich habe damals gelernt die Hände hoch zu nehmen.“ Zum Schutz, aber auch um voranzukommen. Und so ist er heute nicht nur zum Kochen hier. Denn auch als Antrieb will er dienen. „Kinder, seht her: Ich habe es geschafft. Und ihr könnt das auch.“
Koch zwischen Lob und Tadel
„Ey, wir sind auch aus Haus Neunzehn!“, brüllen Justin, Kimberly und Jamy die nachdenkliche Atmosphäre weg. Sie klatschen Waschats hochgestreckte Hände ab. Was ihn damals isolierte, bringt ihm heute Akzeptanz. Justin, sonst von der Kategorie Rabauke, wäscht ohne Widerworte ab. Dass er nicht einmal weiß, wie der Wasserhahn funktioniert, zeigt, dass er das sonst nicht häufig tut. Doch Waschat lobt mindestens genauso oft: Mandy, die - ohne zu spritzen - die Möhren püriert; Justin, dessen Poulardenbrust mit Hilfe des Kochs noch einmal vor dem Salz-Tod gerettet wird; und Jamy, wie er mit vier Pfannen und Töpfe gleichzeitig hantiert, den Brokkoli abschmeckt und mit dem Pilz-Tomaten-Mix jongliert. „Er will Koch werden und ist vom Herd gar nicht mehr weg zu bekommen“, sagt Waschat, und der Elfjährige grinst, wo er sonst nur verlegen zu Boden guckt, wenn man mit ihm spricht.
Nach zwei Stunden ist das Menü gekocht, Messer und Gabeln klirren unaufhörlich, die Kinder mampfen. Vorbehalte gegen die unbekannten Zutaten? Wie weggeblasen. „Sie hatten ja alle selber in der Hand.“ Oder im Mund. Waschat steht vor Haus Neunzehn, blickt auf seine Fensterbank. Es ist eisig kalt und er blickt hinab. Im neuen Jahr will er zurückkehren, dann ehrenamtlich mit den Kindern besondere Gerichte zubereiten. „Ich will dem Heim und der Stadt etwas zurückgeben. Schließlich waren sie es, die mir damals die Winterstiefel gekauft haben.“