Duisburg. Pater Patrick ist Militärseelsorger in Afghanistan. Der gebürtige Duisburger kümmert sich im Lager bei Masar-e Sharif um die Sorgen, Nöte und Ängste der deutschen Soldaten. Er ist der einzige, der in der Kirche und auch draußen im Lager keine Waffe trägt.

Sonntagmorgen, 10 Uhr. Zeit für den katholischen Gottesdienst. Rötlich schimmert in der Ferne die Marmal-Gebirgskette. Das deutsche Feldlager trägt ihren Namen. 3.400 deutsche Soldaten sind hier stationiert, davon neun Prozent Frauen.

In der Ferne liegt Masar-e Sharif unter einer Dunstglocke. Die Spürhunde haben das Gotteshaus verlassen. Das Gebäude ist für die Messe freigegeben. Wie jeden Sonntag oder Dienstag, wenn der katholische Priester oder der evangelische Pastor zum Gottesdienst rufen. Die Gefahr ist allgegenwärtig, der Tod lauert überall, auch in der kleinen Kirche an einer staubigen Ecke des Lagers.

Die Angst vor Bomben ist allgegenwärtig

„Der Innenraum wird vor jedem Gottesdienst auf Sprengsätze untersucht“, sagt Pater Patrick. Seit über drei Jahren ist der gebürtige Duisburger als Militärpfarrer im Dienst. Afghanistan ist sein erster Auslandseinsatz. Insgesamt sind im Feldlager Marmal Soldaten aus 17 Nationen, Nato-Bündnispartner, mit rund 7.000 Soldaten stationiert. Etwa 11.000 Flüge starten und landen monatlich auf dem eigenen Flughafen. Er liegt somit auf Platz fünf in der Größenordnung der betriebsreichsten Flughäfen in Deutschland.

Pater Patrick ist seit  mehr als drei Jahren als Militärpfarrer im Dienst.
Pater Patrick ist seit mehr als drei Jahren als Militärpfarrer im Dienst. © Sabine Ludwig

Ein paar Mal die Woche kommen neue Soldaten. Die Frauen und Männer sind freiwillig für vier bis sechs Monate nach Afghanistan gekommen. Vor Ort sind sie 24 Stunden im Einsatz, tragen fast rund um die Uhr Uniform, an sieben Tagen in der Woche. Auslandseinsätze fördern Karriere und Prestige. Doch sie haben ihren Preis.

Die Militärseelsorge ist gut besucht

Gefahren gibt es überall, auch wenn die hohe Mauer und die gesicherten Zugänge anderes vermitteln. „Wir sind hier im Krieg. Auch wenn die Atmosphäre im Lager noch so abstrakt erscheint“, betont Christian S. Der Hauptmann freut sich auf das Wiedersehen mit Frau und Sohn. „Ich hoffe nur, der Kleine erkennt mich noch. Ich wünsche mir, dass er dann ‚Papa’ zu mir sagt.“ Auch Christian S. besucht den Gottesdienst, wie jeden Sonntag. Die Hoffnungen, Wünsche und Befürchtungen der Soldaten ähneln sich. Die Gedanken hier im kargen Norden Afghanistans drehen sich um das Wesentliche: Die Familie, den Partner, den Freund oder die Freundin. Und die Angst, dass nach einer Rückkehr nichts mehr so ist wie vorher.

Pater Patrick kennt die Ängste der Soldaten. Die Militärseelsorge ist gut besucht, die Nachfrage nach einem Gespräch, nach Klärung von zu vielen Gedanken, Ängsten, Wünschen und Hoffnungen ist da, stetig und steigend.

Wunder geschehen meist woanders

Der Pater ist der einzige, der in der Kirche und auch draußen im Lager keine Waffe trägt. Seine Andacht erinnert an den deutschen Gottesdienst – für die Soldaten ist der Kirchenbesuch ein Stück Heimat, ein wenig Normalität in der Fremde. Danach kommen sie zu ihm, Hände werden geschüttelt, die Bitte nach einem Gespräch wird geäußert.

Der Duisburger ist Zivilist, wie es alle Militärpfarrer sind. Er weiß um seine Verantwortung als katholischer Seelsorger für das gesamte deutsche Kontingent in Afghanistan. Alle können zu ihm kommen, mit ihm reden, auch die ohne Religion oder die, die Zweifel haben. Daran, ob es diesen einen Gott überhaupt gibt. Die Gedanken hier im Kriegsgebiet reduzieren sich auf das Wesentliche, Wunder geschehen meist woanders.

„Jeder, der einmal hier war, überdenkt sein Leben neu.“ 

„Ich gehe auf Menschen als Mensch ein. Ich bin in erster Linie Seelsorger, kein Therapeut oder Sozialarbeiter. Dafür gibt es andere.“ Natürlich arbeite er mit ihnen Hand in Hand, als Teil eines psychologischen Netzwerkes. „Wir sorgen auch dafür, dass ein Soldat seinen Dienst unterbrechen oder sogar abbrechen kann, falls die Notwendigkeit vorliegt.“

Die meisten Soldaten wüssten, auf was sie sich bei Auslandseinsätzen einlassen. „Doch jeder von ihnen kommt anders nach Hause zurück und jeder, der einmal hier war, überdenkt sein Leben neu.“ Er erinnert sich an den Soldaten, der sich taufen ließ. „Das war in Kunduz, nachdem sein Kamerad tödlich verunglückt ist.“

Laute Verzweiflung und Schocks

In Situationen der Ungewissheit ist Pater Patrick für seine Soldaten Tag und Nacht erreichbar. „Wenn sie mich für ein Gespräch brauchen bin ich da – 24 Stunden, rund um die Uhr.“ Es sind gerade die ganz extremen Erfahrungen, die prägen und oftmals auch seelische Narben hinterlassen. „Sterben, Tod und Verletzungen, ich bin bei ihnen und stehe ihnen bei. Wir Militärseelsorger hören zu, nehmen Anteil an den Sorgen, Nöten und Konflikten, die ein solcher Einsatz mit sich bringt.“

Hier werden Soldaten produziert

Hinterlassenschaften der Sowjets aus den 1980er Jahren...
Hinterlassenschaften der Sowjets aus den 1980er Jahren... © NRZ
...dienen heute als Trainingsobjekte in dem Ausbildungszentrum der afghanischen Armee
...dienen heute als Trainingsobjekte in dem Ausbildungszentrum der afghanischen Armee © NRZ
Nur zehn Prozent der Rekruten können lesen, rechnen oder schreiben...
Nur zehn Prozent der Rekruten können lesen, rechnen oder schreiben... © NRZ
...hier erhalten sie einen Alphabetisierungs-Grundkurs
...hier erhalten sie einen Alphabetisierungs-Grundkurs © NRZ
Ein Veteran aus vielen Kriegen: General Patyani leitet das Trainingszentrum
Ein Veteran aus vielen Kriegen: General Patyani leitet das Trainingszentrum © NRZ
Auf dem Schießplatz
Auf dem Schießplatz © NRZ
Sie sollen künftig für die Sicherheit in Afghanistan sorgen
Sie sollen künftig für die Sicherheit in Afghanistan sorgen © NRZ
Imamadi Ramazani (re) im Gespräch mit NRZ-Reporter Jan Jessen (li)....
Imamadi Ramazani (re) im Gespräch mit NRZ-Reporter Jan Jessen (li).... © NRZ
...der 21-Jährige stammt aus einem kleinen Dorf im Norden des Landes und ist Soldat geworden um seine Familie zu ernähren
...der 21-Jährige stammt aus einem kleinen Dorf im Norden des Landes und ist Soldat geworden um seine Familie zu ernähren © NRZ
7200 Soldaten werden im KMTC in Kabul gleichzeitig ausgebildet
7200 Soldaten werden im KMTC in Kabul gleichzeitig ausgebildet © NRZ
Die Grundausbildung dauert neun Wochen
Die Grundausbildung dauert neun Wochen © NRZ
1500 beenden wöchentlich ihre Ausbildung
1500 beenden wöchentlich ihre Ausbildung © NRZ
Auf dem Marsch in eine ungewisse Zukunft - ab 2014 sollen sie die Verantwortung für die Sicherheit im gesamten Land übernehmen
Auf dem Marsch in eine ungewisse Zukunft - ab 2014 sollen sie die Verantwortung für die Sicherheit im gesamten Land übernehmen © NRZ
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Wenn ein Soldat im Einsatz stirbt, werden zuerst die Angehörigen informiert. Zuhause in Deutschland hat Pater Patrick die Vorgesetzten oft begleitet, wenn sie der Familie die Todesnachricht überbringen. Er kennt das lange Schweigen, das dann einsetzt, wenn Worte fehlen, aber auch die laute Verzweiflung des Schocks. Er ist da, spendet Trost oder einen mitfühlenden Händedruck.

Kaffee und Kuchen vermitteln Vertrautheit

Pater Patrick zeigt auf den nahen Ehrenhain. Allen 53 deutschen Soldaten, die hier seit Mandatsbeginn 2001 gefallen sind, wird mit einer Steininschrift gedacht. „Es gibt Angehörige, die kommen, um noch einmal ganz nah bei ihnen zu sein und um ganz bewusst Abschied zu nehmen – in der Umgebung, in der sie getötet wurden.“ Nach dem Rückzug aus Afghanistan wird es die Gedenkstätte im Camp Marmal nicht mehr geben. Sie wird abgebaut und in die Heimat verlegt.

Nach dem Gottesdienst sitzen die Soldatinnen und Soldaten im Aufenthaltsraum der Militärseelsorge zusammen. Kaffee und Kuchen vermitteln Vertrautheit und sogar ein wenig Gemütlichkeit. „Ein bisschen ist es hier wie zuhause“, lacht der Westfale. Fünf Monate ist er schon hier. In wenigen Tagen wird er ins Kloster seiner bayerischen Wahlheimat zurückkehren.

Vom nahen Flugfeld steigen zwei Hubschrauber auf. Einer davon ist ein Rettungshelikopter. Die beiden Helis fliegen in Richtung Marmal-Gebirge. Mission unbekannt.