Duisburg. . Passen die Revierparks noch in unsere Zeit? Die Konkurrenz der Freizeitangebote wird größer: Kletterparks, Wellnessoasen, Festivals. Was könnte die Besucher wieder in die Erholungsgebiete ziehen, die einst für die Bergleute geschaffen wurden? Schließlich gibt es dort viel Platz für neue Ideen.
Warmes Wasser prasselt auf die verspannten Schultern. Hier soll die Entspannung beginnen. Doch der Duschraum im Solebad des Revierparks Mattlerbusch in Duisburg wirkt gar nicht einladend. Er ist karg, grau und weiß gekachelt – mit „Wellness“ hat das nicht viel zu tun.
Über den Umkleiden erinnern die gelb gestrichenen Lüftungsrohre an den Decken an die Schulzeit in einem Gebäude mit Siebziger-Jahre-Muff. Die Plastikstühle rund um das Solebecken würden einem Campingplatz gut stehen.
Zwischen 1967 und 1974 entstanden die Revierparks. Orte für Arbeiter. Für ehrliche Malocher. Die sollten sich in den Revierparks ausruhen und entspannen können. Doch der Malocher ist ein Kerl von gestern, ein Auslaufmodell, abgelöst vom Büromenschen.
Statt an kaputten Lungen leiden die Menschen nun unter Burnout und anderen Stress-Krankheiten. Die Revierparks scheinen diesen Wandel verpasst zu haben. Ihnen haftet ein staubiges Image an. Sie sind von gestern. Wenn sich nichts verändert, stehen sie vor dem Aus.
Die Ursprungsidee für die Revierparks war, den körperlich hart arbeitenden Menschen im Ruhrgebiet Erholung zu bieten, sagt Karola Geiß-Netthöfel (55), Regionaldirektorin des Regionalverbands Ruhr (RVR). Der Verband ist zusammen mit den Städten, auf deren Gebiet der Revierpark liegt, Besitzer der Anlagen.
Die Menschen im Ruhrgebiet gierten einst nach solchen Freizeitoasen. Geiß-Netthöfel erinnert sich an ihre Kindheit im Revier: „Der Himmel über der Ruhr war damals noch nicht blau. Wenn meine Mutter die Wäsche raushing – in der Tat dieser alte Spruch ist wahr –, dann war die Kleidung schwarz von den Kokereien und anderen Umweltbelastungen.“
Früher suchten in den Parks Bergleute Erholung
Die Revierparks sollten also Orte der Erholung sein, grüne Lungen für die Ruhrgebietsmenschen. Doch der klassische Stahl- und Kohle-Malocher ist im Pott heute eine Rarität. Immer weniger Jobs gibt es in der Industrie, dafür sind andere gefragt: Software-Entwickler, Forscher, Künstler, Berater, Vordenker, Strukturwandler. Das Ruhrgebiet erfindet sich neu, nicht ganz freiwillig. Aber die Revierparks sind noch von gestern, das Publikum wünscht sich offenbar andere. Es will nicht nur grüne Wiesen und bunte Blumen, sondern „Events“. Freizeit 2013 soll spektakulär sein, nicht bodenständig.
Immer weniger Besucher kommen in die Revierparks, vor allem in die Bäder: Im Jahr 2000 schwammen dort noch 2,8 Millionen Menschen. 2012 nur noch zwei Millionen. Das sind 28,6 Prozent weniger.
Zwar konnte sich im gleichen Zeitraum der Gesamtumsatz der Revierparks und Freizeitzentren erhöhen, von 23 Millionen auf 26,3 Millionen Euro. Doch das reicht längst nicht aus, um die gestiegenen Kosten für Energie und Personal zu decken, so der RVR. Darum muss der Regionalverband zuschießen: rund 2,8 Millionen Euro pro Jahr.
Die wirtschaftliche Situation der Revierparks sei teilweise bedenklich, erklärt Geiß-Netthöfel: „Wir haben Gesellschaften mit Liquiditätsproblemen.“ Wie dramatisch die Lage ist, zeigt sich etwa im Revierpark Vonderort, der in Oberhausen an der Stadtgrenze zu Bottrop liegt. Wenn das Freibad dort nicht grundlegend saniert wird, droht laut Betreiber die Schließung schon im kommenden Jahr.
Ein weiterer Grund für den Besucherschwund: Die Freizeit-Konkurrenz im Revier. Die Geographen Christian Krajewski und Paul Reuber von der Universität Münster sprechen von einer „Pluralisierung des Geschmacks in der Erlebnisgesellschaft“ im Ruhrgebiet. Heißt: Jeder sucht sich heute die Erholung, die zu ihm passt. Zugleich sind in den letzten zwei Jahrzehnten im Ruhrgebiet immer mehr „Großfreizeiteinrichtungen“ entstanden – und auch mit denen müssen die Revierparks um die Freizeit der Menschen konkurrieren. Die Dichte an Freizeitangeboten im Ruhrgebiet ist enorm: Laut der beiden Forscher gibt es in Nordrhein-Westfalen 13 Zoos und Tierparks – allein sechs davon liegen im Ruhrgebiet.
Das Angebot ist groß – Museen, Einkaufszentren, Kinos, Musicals
Im Ruhrgebiet tobt ein Kampf um die Freizeit der Menschen. Museen, Einkaufspaläste, Riesenkinos, Musicals locken. Rücksicht auf Mitbewerber gibt es offenbar nicht. Ein Beispiel: das Freizeitzentrum Kemnade bei Witten. Seit im Jahr 2010 in Hagen das moderne Westfalenbad eröffnet hat, wandern die Besucher ab.
Die neue Eventkultur macht es den Parks schwerer
Achim Nöllenheidt ist Buchautor und Lektor im Klartext Verlag. Unter anderem stellt er den Ruhrgebiets-Erlebnisführer „RuhrKompakt“ zusammen. Der 52-Jährige beschäftigt sich also von Berufswegen mit der Freizeit im Revier.
Wie beobachten Sie die Entwicklung der Revierparks?
Die Revierparks haben etwas Traditionelles. Das hat aber irgendwann nicht mehr gereicht, weil die einsetzende Eventkultur mehr Angebote gefordert hat. Die Menschen verlangen heute konkrete Unterhaltung in ihrer Freizeit.
Womit können die Revierparks punkten?
Die Badelandschaften der Revierparks halte ich für ein gutes Konzept. Die Parks müssen aber schauen, dass sie gegenüber anderen Freizeitangeboten nicht ins Hintertreffen geraten.
Und wie sieht das Freizeitangebot im Revier generell aus?
Generell gibt es im Ruhrgebiet ein vielfältiges Freizeit-Angebot. Mir fällt da spontan der gesamte Bereich Industriekultur ein. Die Trassenwege sind besonders beliebt. Zudem ist das Ruhrgebiet ein 1A-Museumszentrum. Und was immer gut läuft sind die Festivals.
Welches ist Ihr Lieblings-Ausflugsziel im Ruhrgebiet?
Die Halden finde ich ganz toll wegen des Ausblicks über die Dächer im Ruhrgebiet.
Die Konkurrenz ist groß: Denken wir etwa an die vielen Kletterparks im Revier – perfekt für Abenteuerlustige. Ob nun der „tree2tree“-Park in Oberhausen, Dortmund und Duisburg, der „Sea-Side-Beach-Climbing“-Park in Essen direkt am Baldeneysee oder der Klettergarten in Wetter am Harkortsee. Sie alle sind nichts für zarte Gemüter, balancieren die Besucher doch teilweise nur auf schmalen Holzbrettern in 20 Metern Höhe und mehr.
Ein weiteres Event können nur alte Bergbau-Regionen wie das Revier anbieten: Stollenführungen. Einmal die Welt unter Tage erleben, das bieten die vielseitigen Touren durch Zechen im ganzen Ruhrgebiet. Zollverein, Nachtigall, Nordstern – in vielen stillgelegten Zechen finden heute Führungen statt. Und für die Kleinen gibt es oft sogar eine Entdeckungstour mit Grubenhelm inklusive.
Andere Regionen in Deutschland wagen ganz andere Freizeit-Experimente. Berlin, zum Beispiel. Dort gibt es 20 Aktivplätze. Das sind Spielplätze für Erwachsene. Hier können zum Beispiel Jogger eine Pause einlegen und an Geräten die Muskeln dehnen und strecken. Sportvereine bieten dort Kurse an. In München organisiert das Sportamt Spielenachmittage für Erwachsene und Kinder in Parks oder an der Isar. In Frankfurt am Main setzt man unter anderem auf Senioren-Fitnessanlagen, Spielplätze für die „Best Ager“.
Viele Menschen im Revier wollen in der Freizeit Sport treiben
Wie groß die Nachfrage nach Sport und Bewegung ist, zeigt eine aktuelle Repräsentativumfrage des Landesinstituts für Arbeitsgestaltung NRW. Über 80 Prozent der rund 2000 Befragten sagten: Sport ist ihre Art, sich vom Arbeitsalltag zu erholen. Menschen, die hauptsächlich im Büro arbeiten, treiben sogar noch ein wenig mehr Sport als Arbeiter in der Industrie. Fast 40 Prozent der Befragten sagten, dass sie auch auf Wellness und Entspannungsübungen zur Regeneration setzen.
Wenn sich nichts verändert, müssen Revierparks geschlossen werden. „Das wollen wir aber definitiv nicht“, sagt die RVR-Regionaldirektorin. Im Gegenteil: Der RVR will die Revierparks neu aufstellen. Das Rezept dazu wird gerade erst geschrieben. Organisatorisch sollen die fünf Revierparks und zwei Freizeitzentren unter eine Dach-Gesellschaft im RVR gestellt werden. Bisher hatte jeder Park eine eigene Chefetage. Aber auch bei den Angeboten soll sich wohl etwas ändern. Das übergeordnete Thema der Revierparks soll Gesundheit und Gesunderhaltung werden.
Eine App für Jogging-Strecken in den Parks
Was wäre zeitgemäß für das Ruhrgebiet von heute? Vielleicht eine App-gestützte Jogging-Strecke. In Hamburg gibt es so etwas schon. Über die App wird die Streckenlänge aber auch der Bodenbelag angegeben.
In den Revierparks stehen sämtliche Angebote auf dem Prüfstand: Schwimmbäder, die unwirtschaftlich sind und unter hohem Konkurrenzdruck stehen, könnten geschlossen werden. Wo und wann, das ist noch nicht entschieden.
Ein Revierpark könnte als leuchtendes Vorbild dienen: Wischlingen in Dortmund hat sich vor drei Jahren schon neu erfunden. Der Kletterpark dort zieht Familien und junge Leute an. Die Nachfahren der Malocher freuen sich auch über einen Wohnmobilstellplatz und eine Beach-Bar.
Manchmal liegen scheußlich und schön dicht nebeneinander. Im Revierpark Mattlerbusch in Duisburg – der mit den gelben Lüftungsrohren und tristen Duschen – gibt es auch Wohlfühl-Ecken. Der gestresste Büromensch nimmt sie gerne an. Er sitzt auf der Bank vor der Saline. Solewasser rieselt an dem Reisiggeäst hinab. Der Duft von Salz liegt in der Luft. Es riecht nach Meer, mitten im Revier. Und der Büromensch: entspannt.