Ruhrgebiet. Während Dortmund Härte zeigt, versucht Duisburg-Hochfeld Zuwanderer aus armen Ländern Europas zu integrieren. Der Stadtteil investiert Millionen für bessere Verhältnisse.
Der Notruf richtete sich direkt an den „sehr geehrten Herrn Janssen“, den Sozialdezernenten von Duisburg, und er sparte nicht an drastischen Beschreibungen. Er zeichnet das Bild eines vom Untergang bedrohten Stadtteils, klagt über Verwahrlosung und Müll, Prostitution und menschenunwürdige Wohnverhältnisse, und er nennt auch jene, die diese Zustände in den Stadtteil gebracht haben: aus Bulgarien zugezogene Roma. Der Appell aus dem Stadtteil, Duisburg-Hochfeld zu retten, so lange es noch geht, dringt aus jeder verzweifelten Zeile.
Ehemalige Arbeiter-Quartiere
Was die Nordstadt für Dortmund ist Hochfeld für Duisburg. Zwei problembeladene ehemalige Arbeiter-Stadtteile, die gerade wegen ihrer multikulturellen Struktur, wegen ihrer niedrigen Mieten die Armen Südosteuropas anziehen. Bevor die Situation gänzlich aus den Fugen geriet, zog Dortmund im Sommer die Notbremse. Man gründete eine Taskforce aus Polizei, diversen städtischen Ämtern und Wohlfahrtsverbänden, schloss den Straßenstrich sowie die sogenannten Ekelhäuser, die völlig überbelegten Behausungen, und kehrte mit eisernem Besen – wohl auch die Zuwanderer aus der Stadt.
Duisburg wählt nun einen anderen Weg. Mit einem Handlungskonzept, das soziale Maßnahmen vorsieht, die jährlich 19 Millionen Euro kosten. Dessen Ziel: Integration. „Die Grenzen sind offen, und sie bleiben es. Ob wir das nun schön finden oder nicht. Wir reden da auch über Menschenwürde“, sagt Duisburgs Sozialdezernent Karl Janssen, und sein Ton ist dabei gleichermaßen bestimmt wie verteidigend. Er weiß, dass sich teure Hilfsprogramme, noch dazu für eine alles andere als geliebte Minderheit, nur schwer verkaufen lassen. Vor allem in einer finanziell klammen, seit Jahren unter Haushaltssicherung stehenden Stadt wie Duisburg.
In Hochfeld, da gab es dieses Haus, in dessen Keller Zuwanderer einen Brunnen gruben. Niemand hatte dort noch leben wollen. Es gab kein Wasser, keinen Strom, keine Heizung. Bis irgendjemand auf die Idee kam, es an jene zu vermieten, die in ihrer Heimat noch Schlimmeres gewohnt waren. Sie zahlten pro Nacht, pro Matratze und gruben in ihrer Not nach Wasser. So wie auch in Dortmund, wo sie in ähnlichen Bruchbuden unterkamen. „Als wir mit unserer Taskforce eines dieser Häuser kontrollierten, floss uns schon im Treppenhaus Urin entgegen. In einer nicht funktionsfähigen Dusche lag eine tote Ratte“, sagt Jürgen Walter, der Chef der Dortmunder Taskforce.
Vorbild Dortmunder Nordstadt
Wie in Duisburg-Hochfeld gab es in der Dortmunder Nordstadt den sogenannten „Arbeiterstrich“, auf dem sich die bulgarischen Tagelöhner oft für gerade einmal drei Euro die Stunde verdingten. Dazu kam die Straßen-Prostitution. In Duisburg weniger als in Dortmund, dafür sollen sich dort angeblich sogar Kinder anbieten. Parallel dazu stieg in Nordrhein-Westfalen die Kriminalitätsrate, und nicht wenige der Täter, die gefasst wurden, waren in der Dortmunder Nordstadt gemeldet.
Dortmund griff durch, kontrollierte vor allem, schloss alles, was aus hygienischen oder ordnungsrechtlichen Gründen nicht erlaubt war. „Die Stadt musste einfach die Reißleine ziehen. Und wir waren erstaunt, nach ein, zwei Wochen wurde es ruhiger. Wir fragten uns, wo sind die alle geblieben?“, sagt Taskforce-Chef Walter. Die Zahl der Problemhäuser, die von Nachbarn gemeldet würden, sinke. Teilweise hätten Vermieter begonnen zu renovieren. Und die Busse der Linie Dortmund - Plowdiw, mit der die Roma in die bulgarische Heimat pendelten, hätten sich reduziert.
Duisburg und Dortmund wollen künftig stärker kooperieren, aus den Erfahrungen des jeweils anderen lernen. Und doch unterscheidet sich der Weg, den man in Duisburg einschlagen will, deutlich. Das Handlungskonzept sieht mehr Kita-Plätze vor, Schokotickets, damit die Roma-Kinder zur Schule fahren können, Sprach- und Elternkurse, rudimentäre Krankenversorgung. Sozialarbeit eben. Dezernent Janssen ist davon überzeugt, dass „Nichtkümmern das Schlimmste ist“, dass es keine Lösung sei, nur mit Verdrängung zu arbeiten.
Die Menschen, die aus der bulgarischen Stadt Shumen zuwandern, leben dort in Ghettos, in Elendsquartieren. Armutsflüchtlinge eben. 4164 Menschen waren es bis Oktober dieses Jahres, die sich in Duisburg, vor allem aber im Stadtteil Hochfeld, ansiedelten. 4164 gemeldete Menschen wohlgemerkt. Als EU- Bürger genießen sie die, wenn auch bislang eingeschränkte Freizügigkeit. Und so schlecht ihre Wohnverhältnisse in Hochfeld auch sein mögen, in Shumen waren sie garantiert schlimmer.
Stadtkonzept setzt auf Hilfe vom Land
Duisburgs Sozialdezernent Janssen, der sein Konzept just im Rat vorstellte, setzt auf finanzielle Hilfe von Land, Bund und Europäischer Union. Ihm bleibt angesichts der desolaten Haushaltslage der Stadt kaum etwas anderes übrig. Doch Michael Willhardt, jener Hochfelder, der im Sommer Janssen den Notbrief über seinen Stadtteil schrieb, ist da skeptisch. „Das Konzept ist klug, die Maßnahmen sind es auch, aber das alles ist leider nicht finanzierbar“, sagt der Sprecher der Initiative „Zukunftsstadtteil Hochfeld“.
Für ihn, der vor 20 Jahren aus Kassel in den Duisburger Stadtteil zog, der sich dort bürgerschaftlich engagiert, sind stärkere Kontrollen unerlässlich. „Sonst“, sagt Willhardt, „verlassen auch noch die letzten Besserausgebildeten Hochfeld“.
Hochfeld im Brennpunkt