Duisburg. . Die Einführung des Bachelor-/Master-Systems an der Uni Duisburg-Essen läutete das Ende des Integrierten Studiengangs Sozialwissenschaften ein. Nach Ablauf der Fristen stehen einige Studenten nun vor einem Scherbenhaufen: Sie können ihr Studium nicht beenden, weil keine Prüfungen mehr zugelassen werden.

Thomas Schmidt steht vor dem Scherbenhaufen seines Studiums. Der 30-jährige Soziologiestudent ist im 14. Semester, möchte gerne seine Diplomarbeit schreiben – allerdings gibt es seinen Studiengang nicht mehr. Er wurde abgeschafft.

Nun hängt er in der Luft. Schmidt heißt eigentlich nicht so. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen – aus Angst, noch mehr Schwierigkeiten zu bekommen. Die Lage ist kompliziert und der Beginn der Misere reicht einige Jahre zurück. Der erste Brief der Uni Duisburg-Essen kam schon 2007: Die Hochschule teilte den Studenten mit, dass sie das Bachelor- und Master-System einführen und damit den Integrierten Studiengang Sozialwissenschaften (ISS), der mit dem Diplom abschloss, abwickeln will. Auch Thomas Schmidt bekam den Brief, setzte allerdings zwischendurch mit dem Studium aus, um seine Großmutter zu pflegen. „Ich habe immer nebenher in der Pflege gearbeitet. Das war mir wichtig, dass sie zu Hause bleiben kann“, erklärt er. An der Uni war er in der Zeit nur selten anzutreffen – und dennoch wehren sich Schmidt und seine Kommilitonen, die ebenfalls wegen Krankheit oder anderen Schwierigkeiten zwischendurch pausierten, gegen das Image des Langzeitstudenten.

Der Student

Schmidt hat sich hochgearbeitet. „Die Regelstudienzeit beträgt zwar neun Semester, aber eine Umfrage in Duisburg hat ergeben, dass die meisten 14 oder 15 Semester brauchen“, erklärt der Student. Als ehemaliger Hauptschüler besuchte er so genannte Brückenkurse, erwarb auf diesem Weg die Fachhochschulreife und studierte Soziologie. Sein Studium finanziert er sich mit einem Nebenjob in der Uni-Bibliothek. „Die Uni Duisburg hat immer dafür geworben, sich um die Kellerkinder des Ruhrgebiets zu kümmern, dabei war es anfangs gar nicht so einfach, als Hauptschüler an der Uni klar zu kommen. Und jetzt will man uns nicht mehr haben“, erklärt der angehende Soziologe, der später einmal in der Bücherei arbeiten will. Die Uni hatte indes die Fristen, um sich beispielsweise für Prüfungen anzumelden, zweimal verlängert. Seit März ist Schluss.

Der Prüfungsausschuss

Über Ausnahmeregelungen, etwa welche Entschuldigungen für die Verlängerung des Studiums anerkannt werden, befindet der Prüfungsausschuss. Er entscheidet unabhängig und wird mit Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und zwei studentischen Vertretern besetzt. In früheren Zeiten hatten Professoren den Vorsitz, die die Regeln kulant und studentenfreundlich auslegten. Dies habe sich nun unter dem aktuellen Vorsitzenden, Professor Achim Görres, erheblich geändert. Selbst Uni-Angestellte sprechen von „atmosphärischen Störungen“ und einem „vergifteten Klima“. Auf Nachfrage antwortet Görres: „Die Wahrnehmung unserer Aufgabe durch den Ausschuss verläuft ohne Probleme.“

Das sehen die Studenten anders: „Es gibt Fälle, da wollte Görres, dass die Studenten ihre Ärzte von der Schweigepflicht entbinden, damit er die Diagnose prüfen kann“, berichtet ein weiterer Betroffener. Dem widerspricht Professor Achim Görres: „Wir hinterfragen keine ärztlichen Diagnosen. Wenn ein medizinisches Attest einem Studierenden bescheinigt, dass er oder sie länger krank ist, dann muss dieser Student normalerweise von der Prüfung zurücktreten. Eine Verlängerung beispielsweise der Bearbeitungszeit ist nur möglich, wenn der Prüfungsausschuss einen Nachteilsausgleich gewährt. Diese Beeinträchtigung muss aus dem Attest ersichtlich sein.“

Die Ombudsfrau 

Schmidt und ein paar andere haben sich mit der Ombudsfrau der Uni, Birgit Kunde, in Verbindung gesetzt, damit sie zwischen den Parteien vermittelt. „In vielen Fällen gab es auch Erfolge, in anderen ist es schwieriger.“ Birgit Kunde differenziert zwischen den rechtlichen Rahmenbedingungen, die der Prüfungsausschuss überwacht, und der studentenfreundlichen Regelung der Ausnahmegenehmigung. Selbst vom Rektorat hat der Prüfungsausschuss einen Brief bekommen, sich kulanter zu zeigen. „Wir haben kein Interesse daran, Leute ohne Abschluss zu entlassen“, erklärt auch Martin Florack vom Institut für Politikwissenschaften. Allerdings hätten es 1218 Personen bis zum Stichtag geschafft, ihr Studium abzuschließen.

Birgit Kunde schlägt vor, dass diejenigen, die nun auf der Straße stehen, noch ins Bachelor- und Mastersystem wechseln dürfen, damit sie am Ende überhaupt einen Abschluss in der Tasche haben. Aber auch das müsste der Prüfungsausschuss genehmigen – und noch ist nicht klar, wie die Entscheidung ausfällt.

„Die Universität hat vor einiger Zeit beschlossen, Studierenden in Härtefallsituationen nach Einzelfallprüfung durch den Ausschuss noch die letzten Prüfungen zu ermöglichen. Weit mehr als die Hälfte der Studierenden haben bereits das Studium erfolgreich abgeschlossen oder sind auf dem besten Weg dahin. Wie in anderen Studiengängen auch, schaffen es nicht alle Studierenden, die notwendigen Prüfungen erfolgreich zu absolvieren. Es gibt keinen Grund für die Universität, von der bisherigen Praxis abzuweichen“, erklärt Görres.

Thomas Schmidt möchte keinen Bachelor-Abschluss, er will sein Diplom machen. „Beim Bachelor geht’s gar nicht darum, sich in der Tiefe mit etwas zu beschäftigen, da geht’s nur ums Bestehen, weil man gar keine Zeit hat.“ Er hat Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht und will nun vor Gericht erstreiten, dass er seine Diplomarbeit schreiben darf.

AStA unterstützt die Klage 

Welchen Erfolg die Klage von Thomas Schmidt haben wird, ist noch nicht abzusehen. Der Allgemeine Studierenden-Ausschuss (AStA), unterstützt ihn bei der Klage – und bereitet selbst noch gerichtliche Schritte gegen die Uni vor. AStA-Referent Daniel Lucas bezweifelt nämlich, dass das Rektorat überhaupt in Eigenregie beschließen kann, wann die Diplomstudiengänge auslaufen.

Andere Unis gehen wesentlich entspannter mit ihren Studenten um: die Ruhr-Uni Bochum etwa. Hier sind immerhin noch 1110 Studierende in auslaufenden Diplomstudiengängen eingeschrieben. Die Hälfte von ihnen in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Nur für die Sozial- und Ingenieurswissenschaften hat die Uni die Abgabefrist für Diplomarbeiten nochmals verlängert bis zum Ende des Wintersemesters. „Für die anderen Studiengänge gibt es keine Fristen“, sagt Sprecher Josef König.

Auch an der TU Dortmund gibt es keine fakultätsübergreifende Regelung zum Auslaufen der Diplomstudiengänge. Die Fächer regeln die Fristen also selbst. Auch hier kümmert sich eine Härtefallkommission um Zweifelsfälle. Von 29.000 Studierenden sind noch 1969 in 24 auslaufenden Diplom- oder Magisterstudiengänge eingeschrieben.