Duisburg. .

Tief eingetaucht in fast 900 Jahre Stadtgeschichte sind gestern zwölf WAZ-Leser, die im Stadtarchiv auch das sehen durften, das dem Nutzer sonst verschlossen bleibt. Auf drei Etagen in einem früheren Getreidespeicher im Innenhafen hütet die Stadt die überwiegend papiernen Schätze, die bis Anfang der 80er Jahre im Rathaus-Keller gelagert wurden.

Mit acht Regalkilometern „sind wir das zweitgrößte Archiv in NRW nach Köln“, erläuterte Ralf Heuser (55) bei dieser exklusiven Führung. Allerdings soll es bei dieser Menge auch bleiben, erläutert der stellvertretende Archivleiter: Etwa fünf Tonnen Akten werden pro Jahr vernichtet, fünf Tonnen kommen hinzu.

Vor Licht und Feuer geschützt

Zuerst geht es hinauf in die fünfte Etage. Zwei Stahltüren bilden eine Schleuse, die das historische Archiv vor Licht und Feuer schützen soll. Es ist warm, es ist stickig und es riecht nach altem Papier. Ralf Heuser zieht ein zerfleddertes Buch aus einem Regal „Wege und Straßenpolizei“ von 1865: „Das ist Fadenheftung, typisch fürs 19. Jahrhundert; das muss restauriert werden.“ Anschließend kommt es in einen beschrifteten Karton und ins moderne Rollregal.

Bilder aus 112 Jahren Stadtgeschichte in Duisburg

1/116

Weiter geht es ins „Protokollmagazin“. Hier ruhen alle Protokolle aus allen Rats- und Ausschusssitzungen. Ralf Heuser bietet den Vergleich: Der handschriftliche Protokollband für die Jahre 1770 bis 1773 ist dünner als das Buch einer einzigen Ratssitzung im Jahr 1992.

Das älteste Duisburger Stück

Und dann, nach einer Stippvisite in der Restaurierungswerkstatt, zieht er sich die weißen Baumwollhandschuhe über, die Besonderes verheißen. Das älteste Duisburger Stück wird in einem weißen Pappkarton aufbewahrt. Das Deckblatt zeigt ein Foto aus den 30er Jahren: „Da war die Urkunde aus dem Jahr 1129 noch in einem relativ guten Zustand“, so Heuser. Dass sie anschließend nicht sachgerecht gelagert wurde, zeigt das Original: Es ist fast schwarz. Aber Kölner Experten haben den Inhalt entziffert: König Lothar III. erlaubt darin den Duisburgern, außerhalb ihrer Mauern Steine zu brechen – auf einem Gelände, das bis heute Steinbruchstraße heißt und in Neudorf-Süd liegt.

Starben Könige oder Kaiser, mussten diese Rechte erneut bestätigt werden. Davon zeugt die besser erhaltene Urkunde aus Pergament, die im Findbuch die Nummer 137 trägt: Am 15. Juli 1562 in Prag von Ferdinand I. ausgestellt, bestätigt sie den Duisburgern alle ihre bisherigen Rechte. Sie wird – wie auf einem Bügel und geschützt von Folien – in einem Schrank aufgehängt.

50-Milliarden-Mark-Scheine

400 Jahre danach: Eines der ältesten Videos, das im Stadtarchiv gehütet wird, stammt aus den 1960er Jahren und zeigt „Die letzten Tage von Alsum“. Aus früheren Zeiten stammen die 15.000 Glasplatten, die in heute riesig erscheinenden Kameras als Negative dienten. Dazu kommen 58.000 Fotos. Auch die finanziellen Probleme der Stadt könnten gelöst werden – wären denn die 50-Milliarden-Mark-Scheine aus der Inflationszeit 1923 und 24 noch gültig...

Bilder einer 100-jährigen Zeitreise durch Duisburg

1/23

Deutliche weniger (5 Euro) kostet eines der wenigen Stücke, die das Stadtarchiv zum Verkauf anbietet: Neudrucke und CDs des berühmten Stadtplans von Johannes Corputius von 1566. Auch die Duisburger Zeitungen seit 1849 machen Geschichte lebendig.

Doch ihre eigentlichen Aufgaben können die Archivmitarbeiter kaum noch erledigen, bedauert Heuser. Seitdem das Standesamtsregister angegliedert wurde, „besteht fast 80 Prozent unserer Beschäftigung darin, Anfragen von Notaren und Anwälten wegen Erbschaften zu bearbeiten“.

Zum Schluss geht es für die Gruppe dorthin, wo alle Nutzer des Archivs willkomnen sind: in den Lesesaal. Der Blick fällt aufs neue Landesarchiv. Von einer so modernen Unterbringung können die Duisburger nur träumen.