Duisburg/Essen. .
Neue Archive entstehen in Nordrhein-Westfalen: Am Duisburger Innenhafen entsteht das größte Archiv Europas, in Essen umhüllt rostender Stahl die Erinnerungsarchitektur.
Was haben ein ehemaliger Gutshof im rheinischen Pulheim, ein früherer Getreidespeicher im Duisburger Innenhafen und ein Gymnasium im Zentrum von Essen gemeinsam? Alle drei Orte verwandeln sich derzeit zu neuen Orten des Gedächtnisses.
Die Renaissance der Erinnerungskultur beschert NRW drei ungewöhnliche neue Archivgebäude, die auch baulich Facetten des Geschichtlichen verkörpern. In Zukunft stehen an den drei Standorten mittelalterliche Urkunden, Amtsbücher, Karten, Briefe und vieles mehr im Zentrum.
Duisburg entwickelt das größte Projekt: Hier erweitern die österreichischen Architekten Ortner & Ortner den denkmalgeschützten ehemaligen RWSG-Speicher aus den 1930er Jahren um einen turmhohen giebelförmigen Aufsatz (Höhe 78 m), an den sie entlang des Innenhafens einen 160 m langen, 6-geschossigen Büroriegel anschließen, dessen ungewöhnliche Wellenform in markantem Kontrast zum Archivturm steht.
In Anlehnung an den Bestand sind die Fassaden in bräunlichem Klinker ausgeführt. Das mit 160 Regalkilometern angeblich größte Archiv Europas (Gesamtfläche: ca. 40.000 qm), das die bisher getrennten Archivbestände des Landes versammeln soll, wird sich im oberen Teil als geschlossen monolithischer Block präsentieren, soll sich mit seinen Foyers jedoch zum Hafen hin öffnen und mit großen runden Bullaugenfenstern auch im Inneren spektakuläre Einblicke in die Depoträume bieten. Seine Schätze – neben Papierenem auch Foto- und Filmmaterial sowie Tondokumente – sollen auch den Bürgern zur Einsicht offenstehen. Duisburg nimmt in unmittelbarer Nähe zur Erweiterung des Museums Küppersmühle ein weiteres Großprojekt in Angriff, das, wenn alles gut geht, 2013 seine Tore öffnen wird.
Auch Essen sortiert seine Vergangenheit neu. Nachdem die Reviergeschichte im neuen Ruhrmuseum auf Zeche Zollverein in allen Details museal präsentiert wurde, wird in dem alten Jugendstilbau der Luisenschule – im Schatten der Thyssen- und RWE-Hochhäuser – derzeit die Stadtgeschichte im engeren Sinn aufbereitet.
Labyrinth im Keller
Das neue Archivgebäude, in seinem Kleid aus rostbraunem Stahl ist Teil eines erneuerten Gesamtensembles, das den Schulhof auf drei Seiten umschließt. Erd- und Untergeschoss des historischen Gebäudes mit seinem neogotischen Foyer und den Klassenzimmern stellen den Kernbereich einer Ausstellung zum Thema „Essen in der NS-Zeit“ dar, die Ende des Jahres eingerichtet sein soll. Während Geschichte hier in Vitrinen präsentiert wird, soll das im Krieg zum Luftschutzbunker aufgerüstete Labyrinth der Kellerräume die bedrückende Atmosphäre jener Jahre vermitteln. Die Essener Architekten Ahlbrecht-Felix-Scheidt haben den Altbau saniert und Anbauten aus den 70er Jahren freigelegt –, ihr Clou aber ist der durch eine gläserne Fuge angeschlossene Block des neuen Archivs, den eine hinterlüftete Stahlfassade in Rostbraun umhüllt. Gegliedert wird sie durch vertikale Schlitze, hinter denen sich Lüftungsklappen verbergen, die den Magazinbereich vor Sonne schützen.
So kann die Stadt nun auf 4 Etagen und 17 Regalkilometern ihre papierene Geschichte für die Zukunft bewahren – als Hommage an den Stahlstandort Essen wie als tresorhaftes Sinnbild für die Speicherfunktion des Baus. Und natürlich will der verwitternde Corten-Stahl auch als Symbol für den Prozess des Alterns generell verstanden werden.
Ortswechsel: Die ehemalige Benediktinerabtei Brauweiler in Pulheim, in dem seit den 1980er Jahren das Rheinische Amt für Denkmalpflege und seine Restaurierungswerkstätten ihr Domizil haben, ist zu einem „Archiv für Künstlernachlässe“ der Bundestiftung Kunstfonds umgebaut worden. Ziel des Archivs ist es, die Werk-Komplexe jüngerer Kunst aufzubewahren, zu dokumentieren und sie nicht zuletzt für Ausstellungen als Leihgaben zur Verfügung zu stellen.
In den letzten Wochen sind hier nicht weniger als 7000 Arbeiten dokumentiert worden. Der Bedarf ist hoch, die Produktion von Nachkriegskunst enorm, viele Nachkriegskünstler wollen heute ihr Werk gut sortiert und geschlossen der Nachwelt zur Verfügung stellen. Ein weiterer Neubau mit weiteren 4.000 qm ist bereits in Vorbereitung.