Duisburg. .

Die Räume des Duisburger Standorts der Telefonseelsorge befinden sich in einer unauffälligen Seitengasse im Stadtzentrum. Das Büro wirkt groß und dezent, zumeist abstrakte Kunst hängt an den Wänden, es ist nachts sehr still. In einem der Räume spricht Angelika Heuser*, mit Headset, ihre Stimme ist leise und beruhigend. Einen Raum weiter wartet ihre Kollegin Martina Bocholt* noch auf einen Anruf.

„Wenn auf beiden Leitungen gesprochen wird, wird der Anrufer automatisch zur nächsten Telefonseelsorge nach Wesel oder Essen weitergeleitet“, erklärt der Leiter der Duisburger Telefonseelsorge Olaf Meier.

Die Telefonseelsorge ist 24 Stunden pro Tag erreichbar, an sieben Tagen die Woche, auch feiertags. Eine Leitung ist immer besetzt, die zweite zu der Hauptanrufzeit von 14 Uhr bis 2 Uhr nachts. Die 120 ehrenamtlichen Mitarbeiter, die hauptsächlich Mitarbeiterinnen sind, verpflichten sich nach ihrer Ausbildung zu mindestens sechs Nachtdiensten à acht Stunden pro Jahr und zu 24 vierstündigen Tagdiensten jährlich.

Nachts sind Gespräche inniger

Es ist 23 Uhr – Schichtwechsel. Normale Schichten dauern nur vier Stunden, die Nachtschicht ist eine Doppelschicht. Für die Mitarbeiter gibt es einen extra Raum mit einer Liege, „manche wollen vorschlafen“, erklärt das Olaf Meier. In den Toilettenräumen gibt es eine Dusche, „falls jemand direkt von der Arbeit kommt oder nach der Nachtschicht wieder direkt zur Arbeit muss“, sagt Meier.

21 500 Anrufer pro Jahr

Die Telefonseelsorge Duisburg/Mülheim/Oberhausen ist unter den Nummern 0800- 111 0 -111 bzw. -222 jeden Tag und jede Nacht erreichbar. Im Jahr 2011 erreichten die Duisburger Telefonseelsorger gut 21 500 Anrufe. Zieht man Aufleger-, Schweige- und Scherzanrufe ab, so wurden circa 15.000 seelsorgliche Beratungsgespräche geführt. Fast ein Viertel aller Anrufer wenden sich für einen längeren Zeitraum, teils über Jahre, an die Telefonseelsorge. Gut ein Drittel der Gespräche drehen sich um die Themen Partnerschaft, aber auch (psychische) Gesundheit ist ein wichtiges Thema. Das durchschnittliche Gespräch dauert eine halbe Stunde. Weitere Informationen: www.telefonseelsorge-duisburg.de.

Angelika Heuser hat schon viele Nachtschichten mitgemacht. „Die Gespräche in der Nacht sind inniger – die Menschen sind hellfühliger“ antwortet die Ehrenamtliche nach langem Überlegen auf die Frage, ob die Telefonate in der Nachtschicht anders sind, „aber vielleicht bin ich in der Nacht auch einfach anders“. „Nachts hat auch die Seele den Schlafanzug an“, sagt Olaf Meier nachdenklich.

Anrufer und Seelsorger bleiben anonym

Manche Anrufer rufen aus Schlaflosigkeit an, meist, weil sie ein Problem nicht ruhen lässt. Aber die Anrufer wählen aus anderen Gründen die Nummern 0800 – 111 0 111/222 statt die der nächtlichen „Radioseelsorger“. Einer von diesen ist Jürgen Domian. Die Gespräche mit ihm werden sogar im WDR-Fernsehen übertragen. „Bei Domian rufen die Menschen an, weil sie ihn kennen – bei uns wird angerufen, weil die Menschen uns nicht kennen“. Bei der Telefonseelsorge sind nicht nur die Anrufer hundertprozentig anonym, sondern ebenso die Mitarbeiter – auch, um sie zu schützen. „Die Büro-Adresse ist nicht bekannt, damit die Anrufer hier nicht nachts vor der Tür stehen“, erklärt Meier, „und die Namen der Mitarbeiter werden nicht gesagt, damit diese nicht auch noch zu Hause angerufen werden, wenn ein Anrufer deren Nummer aus dem Telefonbuch herausgesucht hat“.

Die Telefonseelsorge ist 24 Stunden pro Tag erreichbar, an sieben Tagen die Woche, auch feiertags. Foto: Frank Preuß
Die Telefonseelsorge ist 24 Stunden pro Tag erreichbar, an sieben Tagen die Woche, auch feiertags. Foto: Frank Preuß © preuß/ruhrkontrast

Die Ehrenamtlichen sollen möglichst wenigen Menschen erzählen, dass sie bei der Telefonseelsorge arbeiten. Aus einem schlichten Grund, wie Meier erklärt: „Wenn ich weiß, meine Nachbarin arbeitet bei der Telefonseelsorge, rufe ich dort nicht mehr an, weil ich anonym bleiben möchte und befürchte, ich könnte von ihr am Telefon erkannt werden“. Je mehr Menschen wissen, wer bei der Telefonseelsorge am anderen Ende der Leitung sitzt, desto kleiner wird der Kreis der möglichen Anrufer.

Einsamkeit: die Pest unserer Zeit

„Wir möchten aber eine möglichst niedrige Hemmschwelle“, erklärt Meier. Deswegen sind die Anrufe auch kostenfrei und sie erscheinen dank 0800-Nummer auch nicht in der Einzelauflistung der Telefonrechnung. Die Kosten übernimmt – auch für Anrufe vom Handy aus – die Telekom.

Trotzdem werden manche Anrufer erkannt – wiedererkannt. Es gibt sehr viele Wiederanrufer, manche rufen täglich an. Da kann es trotz 120 Mitarbeitern in wechselnden Schichten vorkommen, dass am anderen Ende der Leitung der selbe Seelsorger sitzt.

„Wir können ja nicht unser Gedächtnis löschen“, erzählt Meier, „manche rufen täglich an, kurz, bevor sie zu Bett gehen – da sind die Telefonseelsorger oft die ersten Menschen, mit denen sie an dem Tag gesprochen haben“.

Einsamkeit – das ist ein großes Thema bei den Anrufen. „Einsamkeit ist eine Pest unserer Zeit“, sagt Martina Bocholt nachdenklich. Sie hat auch schon einen Menschen am Telefon auf seinem letzten Weg begleitet: „Der Anrufer sagte, er hätte Tabletten genommen, um sich das Leben zu nehmen und gefragt, ob ich bei ihm bleiben würde“. Die Seelsorgerin schluckte. Und blieb bei ihm.

Ein sehr gutes Gefühl

Solche Gespräche werden in regelmäßigen Seminaren und Treffen besprochen – die Seelsorger haben den Umgang damit gelernt.

Dennoch lässt es sich manchmal nicht vermeiden, dass man die Gespräche im Kopf mit nach Hause nimmt, erzählt Bocholt, auch wenn schon die Sonne wieder aufgeht. „Ich mag die Nachtschicht“, sagt sie, „wach in den Tag zu starten, nachdem man anderen Menschen geholfen hat – das ist ein sehr gutes Gefühl“.

*Namen von der Redaktion geändert