Huckingen. .
Wenn ich an der Schwelle zum Tod stehe und mich nicht mehr äußern kann, was soll dann geschehen? Soll alles, was medizinisch-technisch machbar ist, unternommen werden, um mein Leben so lang wie möglich zu erhalten? Oder sehe ich in der Apparate-Medizin nur eine Verlängerung des Leidens, möchte ich ohne „lebensverlängernde Maßnahmen“ sterben?
Das sind schwierige Fragen, die keiner gerne überdenkt. Fragen aber auch, die mancher gerne geklärt haben möchte - im eigenen Interesse und in dem der Angehörigen. In einer Patientenverfügung kann man seinen Willen festhalten. Tröstlich zu wissen ist aber auch: In vielen Krankenhäusern - wie etwa den MalterserKrankenhäusern St. Anna in Huckingen und St. Johannes in Homberg - gibt es sogenannte „ethische Fallbesprechungen“.
Was ist darunter zu verstehen? „Es gibt Schwerstkranke, die auf der Intensivstation liegen, sich in einer kritischen Situation oder im Sterbeprozess befinden und nicht mehr für sich sprechen können. Ärzte, Pfleger, Seelsorger, gesetzliche Betreuer und oft auch Angehörige kommen zusammen, um die Lage zu analysieren, um über die Krankheitsprognose und über medizinische Möglichkeiten zu sprechen, um zu erörtern, was getan werden sollte - nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten“, erklären die beiden Krankenhausseelsorger Ludger Camp (St. Anna) und Jochem Kiwitt (St. Johannes).
Ziel ist es, eine Übereinkunft zu erlangen, einstimmig zu entscheiden, welche nächsten Schritte unternommen werden. „Das gelingt nicht immer, aber oft. Es ist entlastend für alle Beteiligten, die Gemeinschaft gibt ihnen mehr Sicherheit, auch das Richtige zu tun“, sagt Jochem Kiwitt. Letztendlich verantwortlich ist zwar der behandelnde Arzt. Die Empfehlung des Gremiums hat aber großes Gewicht - vor allem wenn der Patient nichts verfügt hat. „Seelsorger und Angehörige haben einen anderen Blick auf den Patienten als die Mediziner, bringen andere Aspekte mit in die Diskussion ein. Sie kennen die Biografie, wissen meist, was er sein Leben lang gesagt, welche Meinungen er vertreten hat. Oder können beurteilen, ob religiöse Aspekte für ihn wichtig waren“, so Kiwitt.
Meist geht es in den Fallbesprechungen darum, ob die laufende Therapie erweitert oder begrenzt werden soll. „Nur selten stellt sich uns die radikale Frage, ob die Maschinen abgestellt, die Therapie abgebrochen werden soll. In der Regel tasten wir uns in eine Richtung vor, beschließen etwa, von maximaltherapeutischen zu palliativtherapeutischen Maßnahmen überzugehen. Wir können uns auch mehrfach treffen, um Schritt für Schritt weitere Entscheidungen zu treffen“, berichtet Ludger Camp.
38 ethische Fallbesprechungen (Dauer: etwa 45 Minuten) gab es 2011 im St.-Anna-Krankenhaus, dabei ging es um 36 Patienten (acht Gespräche waren es im kleineren Haus St. Johannes). Sechs Unterredungen fanden nicht auf der Intensiv-, sondern auf einer normalen Station statt. „Manchmal gibt es unheilbar Kranke, die aber Entscheidungen für die noch verbleibende Zeit treffen müssen - etwa ob sie eine bestimmte OP noch durchführen lassen sollen oder nicht. Sie wollen das vielleicht mit anderen besprechen“, so Camp. Das seien Gespräche, die dem Gremium sehr nahe gingen, oft aber von großer Wichtigkeit für die Betroffenen seien.
Anberaumt werden ethische Fallbesprechungen immer öfter von den Ärzten, aber auch Pflegepersonal, Angehörige, Seelsorger oder Patienten selber können sie einberufen (lassen). Für die Gremiumsmitglieder, die schwere Entscheidungen treffen müssen, gelte: „Wenn es alle gemeinsam tragen, dann ist es zu ertragen“, so Ludger Camp. Oberstes Gebot ist, dass alles „im Sinne des Patienten geschieht“.
Zweittext
Regeln für ethisches Verhalten
Ethik im Krankenhaus: „Das bedeutet, dass wir das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und seine Menschenwürde immer im Blick haben müssen“, sagen Ludger Camp und Jochem Kiwitt. Beim ethischen Handeln können grundsätzliche - für alle Mitarbeiter verbindliche - Vorgaben sehr hilfreich sein.
Ein „Klinisches Ethik-Komitee“ in St. Anna und St. Johannes berät über und erlässt solche „Verfahrensanweisungen“. Es tagt viermal im Jahr und besteht aus Vertretern verschiedenster Berufsgruppen - vom Geschäftsführer der Klinik über Ärzte bis hin zu Externen wie einem Anwalt oder einem „normalen Bürger“.
Im Ethik-Komitee geht es weniger um Einzelfälle als vielmehr um die Entwicklung von Leitlinien. „Eine unserer Vorgaben in punkto Sterbebegleitung ist, dass ein sterbender Mensch, wenn eben möglich, in ein Einzelzimmer gelegt wird“, gibt Kiwitt ein Beispiel. Eine andere festgeschriebene ethische Regel: „Ein Notfall wird bei uns auf jeden Fall behandelt, auch wenn der Patient keinen Krankenversicherungsschutz hat“, so Camp.
„Wie verfahren wir mit freiheitsentziehenden Maßnahmen bei Patienten?“ oder „Wie stehen wir zu Organtransplantation und Organspende?“ sind Fragen, die ins Ethik-Komitee gehören. Erörtert wurde im St. Anna auch, ob man den Zeugen Jehovas zusagen solle, sie ohne Verwendung von Blutkonserven zu operieren (da diese Blutprodukte grundsätzlich ablehnen). „Die Anfrage haben wir abgelehnt“, berichtet Camp.
Damit ethische Handlungsanweisungen auch praktisch umgesetzt werden, müssen sie auf den Stationen bekanntgemacht werden. „Wir organisieren daher auch Fortbildungen für die Mitarbeiter“, so Camp.
Erst kürzlich beschloss das Komitee übrigens Folgendes: Jeder Patient soll bei der Aufnahme darauf aufmerksam gemacht werden, wie wichtig im Ernstfall eine „Patientenverfügung“ für ihn ist.