Duisburg. . Spuren lesen kann nicht nur bei der Verbrechensaufklärung von großem Nutzen sein. Dass auch im Alltag ein wachsames Auge und eine gute Beobachtungsgabe von Vorteil sein können, zeigt das Buch „Profiling. Im Fluss der Zeichen“ von Oliver Bidlo, Professor an der Uni Duisburg-Essen.
„Was ist hier passiert?“, nuschelt der oft wortkarge Ermittler am Tatort, während er zugleich an ersten Erklärungen bastelt. Tausende schauen ihm dabei gebannt zu. Durch Fernsehserien wie CSI Miami oder Cold Case hat das Thema Profiling neue Anhänger gefunden. Es wirkt schillernd und manchmal fremd, und hat doch direkt mit unserer Lebenswelt zu tun.
„Wir alle sind unbewusst oder bewusst Profiler in unserem Alltag, denn wir bewerten viele Dinge, die auf uns einströmen“, sagt Dr. Oliver Bidlo von der Universität Duisburg-Essen (UDE). Wie die moderne Spurensuche funktioniert, beschreibt der Kommunikationswissenschaftler in seinem neuen Buch „Profiling. Im Fluss der Zeichen“.
Tatorte sind überall
Es entstand durch ein fachübergreifendes Seminar am Institut für Optimale Studien (IOS) und nutzt die kulturwissenschaftliche und soziologische Perspektive. Dabei geht es besonders um die Kunst des Interpretierens. Orte, Menschen und Räume lassen sich lesen – man muss nur genau hinsehen: „Tatorte werden aus Zeichen gesponnen, und diese Zeichenketten umhüllen die Welt wie ein Schleier. Es geht um eine Geschichte, die rekonstruiert werden soll“, erklärt Bidlo.
Versteht man es, Zeichen durch das Erklären von Texten, Bildern oder Spuren zu dekodieren, lässt sich mehr entdecken, als es auf den ersten Blick scheint.
„Was ist ein Zeichen?“ und „Was also ist eine Spur?“, fragt deshalb der Autor, um anschließend gewöhnliche Lebensbereiche einzubeziehen: das Wohnzimmer als Symbolmilieu oder Kunden- und Bewegungsprofile in der Überwachung. Wohnräume können viel über jemanden aussagen, denn der Mensch versucht, sich mit Symbolen auszudrücken und eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen. Bidlo regt die Fantasie an und sensibilisiert dafür, Vorurteile auszublenden.
Was schließen wir also aus einer teuren Stereoanlage? Sie ist ein erster Faden in einem Netz aus Zeichen. Sie verweist nicht nur darauf, dass der Besitzer gerne Musik hört und Wert auf einen idealen Klang legt. Auch müssen die Adressaten (Besucher) die Anlage als besonders wertvoll und gut erkennen, was sie zugleich in Kenner und Nichtkenner aufteilt. Ein weiterer Punkt: Ungewollt oder gewollt wird die ausgewählte Musik geadelt – wird ihr doch unterstellt, dass sie es wert ist, mit dieser teuren Anlage gespielt zu werden.
Bauchgefühl und Intuition
Situationen realistisch einzuschätzen, gelingt natürlich mal besser und mal schlechter. Dr. Bidlo, zugleich Soziologe, bestätigt, dass unser Handeln keinesfalls zufällig ist, auch wenn uns die Motive dafür nicht immer ganz bewusst sind. Bauchgefühl und Intuition spielen unterschwellig mit.
Der Leser lernt, wie sich die Methode des Profilings bzw. der Operativen Fallanalyse (so der deutsche Begriff) im Beruf oder Studium praktisch anwenden lässt. So kann man im Alltag eigene Fallanalysen anstellen, z.B. vor Bewerbungen, mündlichen oder schriftlichen Prüfungen oder allgemein wichtigen Gesprächen. Das ist unterhaltsam, schärft die Wahrnehmung und bringt neue Erkenntnisse über sich selbst und andere.
Kriminologische Beispiele machen diese Vorgehensweise anschaulicher. Wer das Geschehene rekonstruiert, kann den Täter entlarven. Doch sind die einzelnen Zeichen und Vorgänge nicht immer eindeutig. „Es ist eher die Vielzahl der Tathandlungen, aus dem sich ein Netz von Bedeutung weben lässt. Dadurch kann man herausfinden, ob eine Tat geplant oder spontan erfolgte“, weiß Bidlo.