Duisburg. . Ist das noch Lobbyismus oder schon Korruption? Werner Bender berät die Behindertenbeauftragte der Stadt als Sachverständiger und vertreibt hauptberuflich die von ihm empfohlenen Hilfsmittel. Die sind auch noch teurer als die anderer Anbieter.

Am Ende stehen eine Behindertenbeauftragte, die eine deutliche Belehrung des Rechnungsprüfungsamtes über sich ergehen lassen musste, ein Unternehmer aus Duisburg, dem rechtliche Schritte angedroht werden, öffentliche Kassen, aus denen zu viel Geld floss - und das alles, weil öffentliche Gebäude für Blinde und Sehbehinderte barrierefrei gebaut werden sollen.

Ist das noch Lobbyismus oder schon Korruption? Ein Geschmäckle hat es jedenfalls, wenn Werner Bender in einer AG des Beirats für Menschen mit Behinderung als Sachverständiger des Vereins zur Förderung der Blindenbildung berät. Bei Vorträgen im Zentrum für Personalentwicklung der Stadt Duisburg wird er indes als "Consulting Barrierefreies Bauen“ angekündigt. Ganz eigentlich ist er aber Leiter Vertrieb/Marketing der Ilis-Leitsysteme gGmbH aus Hannover, die genau jene Hilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte entwickelt, produziert und installiert - die er in seinen anderen Funktionen empfiehlt.

Das bekennt auch der Geschäftsführer der Ilis, Dr. Wolfgang Hirsch. "Das hat natürlich ein Geschmäckle, aber wir sind halt seit 2001 in diesem Geschäft und haben viel Erfahrung.“ Fast entschuldigend fügt er hinzu: "Wir bekommen auch längst nicht alle Aufträge.“ Stattdessen würden sie sich ihre Beratertätigkeit, ihre Konzepte inzwischen honorieren lassen.

Der Kleine Prinz, Ämter und City-Palais als Referenzen

In der Referenzliste von Ilis stehen Projekte wie "Der Kleine Prinz", das Amt für Soziales und Wohnen sowie das Bezirksamt Rheinhausen. Auch im City-Palais, in der Rheinhausen-Halle und im Rhein-Ruhr-Bad sind Ilis-Produkte eingebaut worden. Ein Preisvergleich nach Informationen, die der WAZ vorliegen: Es geht um Handlaufbeschriftungen, etwa visitenkartengroße Aluschilder, auf denen in Druckbuchstaben und in Blindenschrift die Information steht, Notausgang beispielsweise. Für 30 dieser Schilder verlangt Ilis 1876 Euro inklusive Montage und Übernachtung des aus Hannover angereisten Monteurs, der Duisburger Mitbewerber berechnete alles in allem 200 Euro. Anderes Beispiel: reflektierende Bänder an Treppenstufen. Bei Ilis soll der laufende Meter 18 Euro kosten, inklusive Montage, beim Mitbewerber aus Velbert 5 Euro. Von Summen im knapp sechsstelligen Bereich ist bei all diesen Projekten die Rede.

Architekten-Stimmen

Foto: Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool
Foto: Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Ein Architekt bestätigt, dass die Anforderungen in Duisburg deutlich höher seien als in anderen Städten. Das Bauordnungsamt gebe das Thema Barrierefreiheit komplett an die Behindertenbeauftragte ab und die nutze, dass die Gesetzgebung nicht eindeutig sei. "Da hilft dann nur verhandeln, Kompromisse finden, aber tendenziell teurer ist es hier immer.“ Beispiel: Muss eine Tiefgarage dafür gerüstet sein, dass ein blinder Rollstuhlfahrer alleine hinausfindet? "Das ist eine Frage der Wahrscheinlichkeiten“, sagt der Architekt vorsichtig, für den Bauherrn gehe es schnell um viel Geld.

Angeblich entsprechen die günstigeren Schilder nicht der Deutschen Industrie-Norm. Dieter Holthaus vom Vorstand des Blinden- und Sehbehindertenverbands Duisburg bestätigt, sie seien taktil nicht so gut und ergänzt: "Für uns als Verein ist es egal, wer es ausführt, solange die Standards eingehalten werden.“ Tests mit Sehbehinderten aus der städtischen Verwaltung haben indes ergeben, dass die Schilder gut lesbar sind.

In die Details der Brailleschrift

Dabei geht’s in die Details der Brailleschrift: Normgerecht seien halbrund erhabene Punkte, beschreibt Adolf Günther vom Duisburger Schilderprofi, Ilis mache sie kegelförmiger. "Aber damit sind sie auch so scharf, dass man eine Kartoffel darauf reiben kann“, sagt Günther. Besteht also gar eine Verletzungsgefahr, wenn Kinder über das Geländer rutschen? Dazu will sich keiner äußern. Aus unternehmerischer Sicht lobt Günther das Vorgehen von Ilis als "perfekt: selbst Normen setzen und sie dann als einziger umsetzen können, das ist eine Gelddruckmaschine“.

Nach Angaben von Insidern sucht sich Ilis-Mann Werner Bender offenbar sogar Aufträge selbst. Vom Meidericher U-Bahnhof soll er eine Foto-Dokumentation erstellt haben, die Schwachstellen aufzeigte. Anschließend habe er über die AG Handicap eine Anfrage in den Beirat eingebracht. Den städtischen Einkauf soll Bender telefonisch darüber informiert haben, dass nur seine Produkte DIN-gerecht seien.

Post vom Anwalt

Foto: Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool
Foto: Stephan Eickershoff / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool

Der Schilderprofi, der das Bürgerhaus in Neumühl mit sehbehindertengerechter Beschilderung ausgestattet hat, bekam Post von einem Ilis-Anwalt: Er verstoße gegen die Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung, weil im Vergleich das Schild im Bürgerhaus mit dem Schild am Kleinen Prinzen von Ilis in wesentlichen ästhetischen Elementen identisch sei. Geschäftsführer Adolf Günther wundert sich: Gefertigt habe er nach Vorgaben des Corporate Design Handbuchs der Stadt Duisburg, weil die Schilder einen Wiedererkennungswert haben sollen - in Schrift wie auch in Größe und Farbe (blau-weiß), ganz zu schweigen vom Logo.

Die Behindertenbeauftragte der Stadt, Petra Stry, in deren AG Bauen die Firma Ilis häufig inkognito vertreten war, soll die Grundsätze für das barrierefreie Bauen um Grundsätze für Leitsysteme ergänzt haben. Die darin geforderte "Pyramidenschrift“ bietet speziell die Firma Ilis an. Neueste Ausschreibungen der Stadt sind inzwischen produktneutral.

Das sagt die Stadt

Von Seiten der Stadt kam dazu diese Stellungnahme: "Aus Gründen des Datenschutzes können hier keine personenbezogenen Informationen gegeben werden. Richtig ist jedoch, dass eine vergaberechtliche Prüfung hinsichtlich der Vorgaben für die Ausschreibung der Gewerke zur Barrierefreiheit vorgenommen wurde. Nach detaillierter Prüfung hat das Rechnungsprüfungsamt festgestellt, dass kein Korruptionsfall vorliegt. Es ist nunmehr sichergestellt, dass die Hinweise bezüglich der Barrierefreiheit für eine Vergabe von Gewerken produktneutral erfolgen.“