Duisburg. . 2-3 Straßen, das Projekt des Kulturhauptstadtjahres, legt zum Finale eine Textsammlung vor: 3000 Seiten umfasst das Buch, an dem zahlreiche Autoren ein Jahr lang aus sozialen Brennpunkten schrieben. Die Ruhr.2010-Veranstalter sind begeistert.

Selbst eine Tageszeitung ist auf dickerem Papier gedruckt als "2-3 Straßen TEXT" von Jochen Gerz, dessen Projekt im Kulturhauptstadtjahr 78 interessierte Autoren in soziale Brennpunkte, darunter Hochfeld, zum kostenlosen Wohnen einlud, solange sie täglich schreiben.

Das Ergebnis ist 3000 Seiten lang, ein Beitrag fließt in den nächsten und wieder in den nächsten. Ohne Absatz, ohne Kapitel, ohne Überschriften oder Kennzeichnung. Zwischen manchen Autoren gibt es deutliche Brüche, andere unterscheiden sich schon in der gewählten Sprache oder Schreibweise, der eine liest sich dadaistisch, der andere prosaisch. Es ist: atemlos. Und damit trifft es auch den Kern des Kulturhauptstadtjahres, das den Interessierten durch seine Angebotsvielfalt hetzte.

In private Geschichte eintauchen

Da gestand denn auch Regina Wyrwoll, Generalsekretärin der Kunststiftung NRW und damit Financier des Produkts, sie werde das Buch nicht von Anfang bis Ende lesen. "Ich mag es, weil es mir ermöglicht, vollkommen frei damit umzugehen, in private Geschichten einzutauchen und auch wieder auszusteigen."

Für den Künstler Jochen Gerz ist das Projekt die Erfüllung eines alten Traumes, dass "Schreiben gesellschaftliche Folgen hat", obwohl es eigentlich eine isolierende Tätigkeit sei und also gar nicht sozial. Dennoch entwickelten sich Ideen, Projekte, Kontakte.

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Von DerWesten

Nachhaltigkeit ist ebenso gewährleistet: Gut die Hälfte der Teilnehmer bleibt in den Projektwohnungen, die Vermieter gewähren 33 Prozent Mietnachlass, wenn sie weitermachen, in die Stadtteile gehen, Menschen motivieren.

"Die Kultur ist da angekommen, wo Menschen sind"

Mark Nerlich von der Universität Lüneburg arbeitet derzeit an einer Studie zu dem Projekt. "Eine Straße ist ja kein Hotel. Die normale Fluktuation liegt bei 3 - 4 Prozent. Und dann kommt da ein Haufen Leute, die auch noch alle ambitioniert sind", beschreibt er die Situation Aus Sicht des Stadt-Soziologen. Eine erste Erkenntnis: "Das Projekt hat zu mehr Kulturwahrnehmung in der Stadt angestiftet." Dass manche Teilnehmer abgesprungen sind, dass sich mancher Autor vom Künstler Gerz gegängelt fühlte, hält er hingegen für völlig normal. Würde man das Werk auf diese Dissonanzen reduzieren, wäre es gar piefig.

Bei der Präsentation des telefonbuchdicken Werks im Rathaus war das mediale Interesse groß. Professor Klaus Schäfer, Staatssekretär des Kultur-Ministeriums, nannte das Werk ein "Juwel" und lobte, dass "Kultur da angekommen ist, wo Menschen sind, und nicht nur in Exzellenzzentren".

Kreative aus aller Welt

Dr. Söke Dinkla, die Leiterin des Kulturhauptstadtbüros in Duisburg, zeigte sich überwältigt und gerührt von dem Projekt. "Es wird in die Geschichte der Städte, aber auch in die Kunstgeschichte eingehen", prophezeite sie. Dass Kreative aus aller Welt in die schrumpfenden Metropolen kamen, das sei fast wie ein Märchen.

Oliver Scheytt, Geschäftsführer der Ruhr.2010, ergänzte, dass hier das Credo der Kulturhauptstadt, Kultur für alle von allen zu befördern, umgesetzt worden sei. Er zitierte den damaligen IBA-Emscher-Chef Karl Ganser, der im Vergleich zu den Wutbürgern, die derzeit in der Republik zu beobachten seien, im Ruhrgebiet Mutbürger ausgemacht habe, die sich einbringen und mitgestalten.

Dazu ein Zitat aus dem Text: "Kann ich einfach irgendetwas schreiben und es ist schon Kunst, wenn ich nur daran denke, dass es Kunst sein soll ? Oder muss ich noch nicht einmal daran denken? Reicht das Schreiben an sich? Ist es nicht eher ein Handwerk? Kunst kommt von können, sagte meine Oma immer."