Ruhrgebiet. .

Die Kulturhauptstadt ist vorbei, die Stadt bleibt. Und was noch? Neben inneren Werten viele äußere, Menschen, Museen und eine Autobahn. Ein Gott, ein Gitarrist – und ein Geist: diedurchaus wertvolle Ruhr.2010-Resterampe.

Kulturhauptstadtteil: Nehmen wir mal eine mittlere Ruhrgebietsstadt, mittendrin und von durchschnittlichem Ruf. Herne! Und gucken nach. Allein da im Kulturzentrum sind noch immer fünf Leute damit beschäftigt, die Kulturhauptstadt, Sektion Herne abzuwickeln. „Abrechnung, Dokumentation“, sagt Sprecherin Bärbel König-Bargel. „Am 25. machen wir die Dankeschön-Party für alle Beteiligten, im Februar eröffnen wir die Retrospektive, eine Fotoausstellung. . .“

Zum Schluss, Ende Juni werden sie immer noch zu dritt sein. Und, natürlich, weiter mit dem Kulturkanal befasst: Wegen seines großen Erfolges schippern die Schiffe der Weißen Flotte auch weiter über die Wasserstraße. Und Herne ist aufgefordert worden, mit allen beteiligten Kanalstädten am Wettbewerb „Erlebnis NRW“ teilzunehmen. Erlebnis NRW ist ein Tourismus-Entwicklungsprogramm der Landesregierung für die nächsten Jahre. Und so führt eines zum anderen.

Käsestange am Kanal: Die Ausstellung war schon vorbei, bevor es Herbst wurde in der Kulturhauptstadt, aber seither floss viel Wasser die Emscher hinunter und an ihrer Kunst entlang. Zwei Drittel der Installationen der „Emscherkunst“ auf der Insel zwischen Köttelbecke und Kanal stehen noch, darunter ein Faulturm im Mosaikmantel und in Herne die löchrig-gelbe Wassermarke, die die Bürger längst zur „Käsestange“ erkoren. Und in Oberhausen die Brücke wird nun auch bald fertig.

Kunst unterm Dach: Das hofft das Revier auch für die (Um-) Bauprojekte, für die das Jahr einfach nicht gereicht hat. In Duisburg müssen sie noch den Kubus auf die Küppersmühle heben, bevor das Museum zu Ende erweitert werden kann. In Dortmund wird der „U-Turm“ auch nach der „Jetzt-aber-wirklich“-Eröffnung noch weitere erleben. Immerhin: Das Museum ist drin, und die Winkelmann-Filme unterm Dach machen die Großstädter glücklich. Gelsenkirchen hat die Kunst auf dem Dach, ist darüber aber nicht einstimmig glücklich: Die Herkules-Skulptur von Markus Lüpertz auf dem Nordstern-Turm ist ein Blaubart von einem Gott geworden. Muss man nicht mögen, kann man aber.

Das Ruhrmuseum und das neue Folkwang haben in und sogar mit der Kulturhauptstadt eröffnet, waren zwar nicht zwingend Teil von ihr – aber dafür Nutznießer des Titels, der ihnen Tausende Besucher brachte. „Die“, sagen sie bei Ruhr.2010, „kamen nicht von ungefähr.“ Genau wie die Dann-doch-Genehmigung für das Bochumer „Musikzentrum“, die Neufassung des Konzerthauses. „Die Kulturhauptstadt“, sagt Stadtsprecher Thomas Sprenger, „hat Idee und Entwicklung stark unterstützt.“

Erinnerungen in Dosen: In den Kellern und Gärten des Reviers warten die verkauften Tafel-Tische von der A 40 auf die Freiluft-Saison, und eine Künstlerin hat aus den Schachtzeichen, diesen gelben Ballons, Börsen genäht. Was ansonsten nicht niet- und nagelfest war, hat Ruhr.2010 in eine Schatztruhe gepackt: die Schnee-Umhänge von der Eröffnungsfeier, die Butterbrotdosen für das Still-Leben, Hinweisschilder, Warnwesten, Kappen, Tassen, T-Shirts. Sie brauchen noch Erinnerungen für Zuhause? Am letzten Januar-Wochenende ist in Essen Flohmarkt!

Junge mit Gitarre: Oliver Hasse bleibt auch. Der Musiker kam aus Magdeburg nach Mülheim, mit seiner Gitarre und zwei Reisetaschen. Er zog dort ins Projekt „2-3 Straßen“, spielte im Fahrstuhl, in der Fußgängerzone und auf den Bühnen der Stadt. Vieles, was Kreative wie er in den drei beteiligten Wohnvierteln des Reviers veränderten, soll über das Jahr hinaus Bestand haben. Wie die Liebe, die Oliver Hasse im Hochhaus fand. Und die Platte, die er dort aufnahm. Die bleibt auch.

Grüne Autobahn: Kunst ist, wenn ausgerechnet eine Schnellstraße durch den Ballungsraum ein Naturereignis werden soll. Neben ihre Parkautobahn pflanzte die Kulturhauptstadt rund 1000 Mammutbäume und rote Pfähle an ihre Seite, damit der Vorbeifahrende die Zwerge erkennt, die so schnell wie ein Auto Riesen werden sollen. Ausfahrten verwandeln sich in Stadttore, Kreuze in begrünte Parkflächen, 58 Kilometer A 42 werden ein einziges Panorama. Es grünt so grün, wenn der Winter geht. Und der soll ja bald so vorbei sein wie die Kulturhauptstadt.

Geist und Gefühl: Bei allem Fassbaren, die Kulturhauptstadt hinterlässt auch ein Gefühl. Einen neuen Geist im Revier, ein „Wir-Gefühl“, das schon lange da war, vielleicht aber nun stärker ist als die Kirchtürme der einzelnen Kommunen. Jetzt, wo die „Ruhris“ der Welt ein Jahr lang zeigen durften, was sie haben und können, sagen sie mit Stolz: „Ich komme aus dem Ruhrgebiet.“ Für die Suchbegriffe „Wir-Gefühl Ruhrgebiet“ findet „Google“ im Netz 100 000 Einträge.

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© Ingo Otto / WAZ FotoPool

Akrobaten und Artisten: Und dann gibt es Dinge, die sind in der Schwebe, wie es die Schachtzeichen waren. Urbanatix zum Beispiel, diese großartige Artistik-Show von Amateuren und Profi-Akrobaten, wird es wieder geben: Im Februar beginnen sie zu proben, im November zeigen sie eine neue Show. Langfristig soll daraus eine feste Artistenschule werden, Entwürfe für ein eigenes Gebäude im Bochumer Westpark gibt es schon.

Und noch ‘ne Burg: 15 Kilometer nördlich hat ein 25 Meter hoher Bretterbau die Herzen vieler Herner erobert: Die Motte, der Nachbau einer mittelalterlichen Burg, war so etwas wie das Wahrzeichen der Ausstellung „Aufruhr 1225“. An ihr teilten sich die Meinungen scharf, von „Unbedingt erhalten“ bis „Sofort abreißen“. Jetzt hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) einen Abnehmer gefunden, der nächste Woche vorgestellt wird. LWL-Sprecher Frank Tafertshofer sagt: „Die Motte bleibt in der Gegend, im weitesten Sinn.“

Und das gilt ja irgendwie auch für die Kulturhauptstadt.