Kulturhauptstadt. . Das Großprojekt „2-3 Straßen“ von Jochen Gerz zieht Bilanz – und legt einen Zwei-Kilo-Textklotz vor: 10.000 Beiträge von 887 Menschen, entstanden in Duisburg, Dortmund und Mülheim. Eine Lektüre wie ein Ziegelstein, aber spannender zu lesen.

Das greifbarste Ergebnis besteht aus zwei Bänden, ist mit Verpackung knapp drei Kilogramm schwer und knapp 3000 Seiten dick. Die Rede ist von dem Kunstprojekt 2-3 Straßen, für das im vergangenen Jahr 78 Menschen für ein Jahr mietfrei in Wohnungen in Dortmund, Duisburg und Mülheim wohnen durften. Einzige Bedingung: Sie sollten jeden Tag einen Text schreiben und die anderen Quartierbewohner und Besucher zum Mitschreiben animieren.

Jetzt liegt das Buch vor – in 2000er Auflage im DuMont-Verlag erschienen. Und unterm Strich haben 887 Menschen haben daran mitgeschrieben, in 16 Sprachen und mehr als 10 000 Beiträgen spiegelt sich darin die Welt im Allgemeinen, das Kulturhauptstadtjahr im Speziellen und das Leben in drei Quartieren in Dortmund, Duisburg und Mülheim im Besonderen.

In einem einzigen Text ohne jeden Absatz, für den Generalsekretärin Regina Wyrwoll von der Kunststiftung NRW empfahl, ihn zu konsumieren, wie man Radio hört: Einfach mal aufschlagen, ein bisschen lesen, bis man keine Lust mehr hat. Und um dem Radiogedanken noch ein wenig näher zu kommen: Sie träumt davon, aus den 3000 Seiten ein Hörbuch zu machen, das dann kontinuierlich im Internet läuft: zum Reinhören und wieder Weghören, wie ein Radio eben.

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Zu dieser Erfolgsmeldung – das Buch ist da – kommt die Bewertung des zweiten Aspekts: Wie weit hat die Anwesenheit der Autoren die Quartiere verändert? Immerhin, so die Projektleitung, bleibt gut die Hälfte der Teilnehmer in den Quartieren wohnen, in Duisburg und Dortmund bleibt ihre Miete immerhin um ein Drittel reduziert und hier glauben die Projektverantwortlichen, dass der Samen für einen Wandel durch Kultur aufgeht.

In Duisburg-Hochfeld ist ein „Kreatives Adressbuch“ erschienen, in Dortmund ein Gemeinschaftsgarten und eine kleine Bibliothek, es soll eine Quartierzeitung und gemeinschaftlich zu nutzender Büroraum entstehen. „Kultur ohne Stadtteilerneuerung ist denkbar, aber keine Stadtteilerneuerung ohne Kultur“, so die Bilanz der Duisburger.

Aus Mülheim gab es gestern keine Erfolgsmeldungen, das dortige Wohnungsbauunternehmen betonte, der Wandel in dem Hochhaus, in dem die Kreativen mietfrei hatten wohnen dürfen, sei bereits vollzogen gewesen, anders als in Duisburg oder Dortmund gebe es dort keine Leerstände.

Zwei bis drei Neuigkeiten

Zwei von drei Standorten also, in denen die Saat aufgegangen ist? Für die Verantwortlichen jedenfalls gab es gestern Grund genug, die soziale Skulptur noch einmal als eines der wichtigsten Projekte des Kulturhauptstadtjahres zu würdigen, eines, in dem Hochkultur und Alltag zueinander gefunden hätten.

Eine erste Untersuchung der Universität Lüneburg indes hat gezeigt: bei den rund 1300 Teilnehmern der Besucherschulen waren mehr als die Hälfte professionell Interessierte: Stadtplaner und Quartiersmanager, die wissen wollten, ob und was Kultur zur Stadtteilerneuerung beitragen kann. Es müssen ja nicht immer Ziegelsteine im Buchformat dabei herauskommen.