Duisburg. .
Wo Wohnen zur Kunstform wird und Kunst soziales Engagement hervorbringt: Drei Teilnehmer des Kulturhauptstadtprojekts „2-3 Straßen“ in Duisburg-Hochfeld schildern ihre Aktivitäten.
In den letzten zehn Jahren hat Christoph Perl in acht Städten gewohnt, zuletzt in Wien. „Am 16. Jänner“, wie der gebürtige Grazer in schönem Österreichisch sagt, ist er nach Hochfeld gekommen – als Teilnehmer von „2-3 Straßen“.
Mit diesem Projekt erforscht der Künstler Jochen Gerz die Kulturhauptstadt 2010, und Perl lebt in einem dieser Häuser in der Nähe des Hochfelder Markts, die mal bessere Zeiten gesehen haben.
„Ich find’s hier enorm angenehm“, sagt der bildende Künstler Perl, der sich bewusst für die Teilnahme entschieden hat. „Ich mag Projekte im öffentlichen Raum, die nicht heraus schreien, dass sie Kunst sind.“ Gereizt habe ihn auch der experimentelle Charakter, ganz unterschiedliche Leute zusammenzubringen und dann zu schauen, was passiert. In Hochfeld mag er die Straßen, die „kunterbunte Mischung an Leben“, die Nähe zum Rhein. „Das Bar-Angebot ist etwas dürftig“, findet er. Und mit Blick auf Duisburg: „Ich mag Industrie mitten in der Stadt.“ Im Vergleich zu Wien oder Amsterdam gehe es in Hochfeld doch recht beschaulich zu.
Gegenleistung für Mietfreiheit
Als Gegenleistung für ein Jahr mietfreies Wohnen wird von Perl – wie von allen anderen Teilnehmern – erwartet, dass sie schreiben; aus allen Texten entsteht dann ein großes Ruhrgebiets-Buch.
Mit vier weiteren Teilnehmern hat Perl für Samstag eine Aktion vorbereitet. Sie laden insgesamt 20 Nachbarn ein, für zwei Stunden vorbeizukommen. Gemeinsam wird in halbstündigen Blocks geschrieben – zum Beispiel über Hochfeld gestern und heute – und gemeinsam abgespeichert. „Das ergibt im Buch fünf Abschnitte.“
Den 21-jährigen Lukas Niermann haben zwei Motive bewegt, sich an „2-3 Straßen“ zu beteiligen. Nach zwei Semestern Studium in Köln (Philosophie und Musikwissenschaft) hat es ihn gereizt, ein Jahr lang mietfrei wohnen zu können, „zu schreiben und die Zeit selber zu füllen.“ Aus einer schlichten Notwendigkeit ist sein soziales Projekt entstanden. „Clemens, der unter mir wohnt, hat keinen Herd. Deswegen habe ich für ihn mit gekocht.“ Dann kamen weitere Esser dazu. Irgendwann hat Lukas angefangen, sie mit einer Glocke zur Mahlzeit zu rufen. Heute serviert Lukas frischen Minztee aus Schraubverschlussgläsern und Couscous mit Tomatensoße.
Den Weg geebnet
„Diese Wohnung ist durch das Projekt ein Ausstellungsraum, das Kochen soll die Atmosphäre lockern“, sagt Lukas. Es habe ihm auch den Weg geebnet zu einigen türkischen Nachbarn. Er habe sich das eine oder andere Ei geliehen, sei auch mal mehlbestäubt bei Nachbarn aufgetaucht und habe ein Stück Kuchen geschenkt bekommen. „Ich koche auch für Touristen und Besucher“, lädt Lukas an die Sankt-Johann-Straße 3 ein.
Mit am Tisch sitzt auch Constanze Geertz (30). Die in Wolfsburg geborene Werbetexterin hat in den letzten zehn Jahre in München gelebt. Sie ist durch einen puren Zufall auf die Website von „2-3 Straßen“ geraten. „Ich will Schriftstellerin werden“, sagt sie. Der einjährige Aufenthalt in Hochfeld könne dazu beitragen. Mit ihrem Projekt will sie „Kindern Spaß an Sprache vermitteln“. Die Leitung der Grundschule am Hochfelder Markt ist angetan von ihrem Nachmittags-Angebot. Da geht sie zum Beispiel mit Drittklässlern auf eine Wörter-Schnitzeljagd. „Es melden sich mehr Kinder freiwillig als ich nehmen kann. Und sie gehen sehr nett miteinander um“, freut sich Constanze Geertz.