Duisburg-Marxloh. . Vor 50 Jahren schlossen die Bundesrepublik und die Türkei das Anwerbeabkommen für Gastarbeiter. Im türkischen Seniorentreff in Duisburg-Marxloh tauschten die Einwanderer nun ihre Erinnerungen an die ersten Tage in Deutschland aus.
„Ich erinnere mich als sei es erst gestern gewesen, wie ich als junger Mann mit nichts außer ein paar Hemden und Hosen im Koffer in Istanbul in den Zug stieg und nach Deutschland aufbrach, um ein paar Monate hier zu arbeiten und mit etwas Geld in der Tasche wieder zur meiner Familie zurückzukehren“, sagt Ali Sezer. Der 71-Jährige ist 1965, im Rahmen des Anwerberabkommens mit der Türkei, wie Tausende vor ihm ab 1961 dem Ruf einer „gut bezahlten“ Arbeit gefolgt und gen Westen gereist. Heute trifft er sich regelmäßig beim türkischen Seniorentreff der AWO in Marxloh mit Menschen, die alle eine ähnliche Zuwanderergeschichte haben und sinniert gerne über längst vergangene Tage und ein halbes Jahrhundert türkischer Einwanderung in Deutschland.
„Als ich am Hauptbahnhof München ankam, war ich in großer Erwartung dessen, was mich in den kommenden anderthalben Jahren erwarten würde. Ich konnte kein Wort Deutsch und wusste auch ansonsten nicht viel über das Land. Ein Mann holte mich am Bahnsteig ab und teilte mir mit, dass ich in Moers Untertage arbeiten solle“, sagt Sezer. Kurz darauf fand er sich auch schon in einem Gastarbeiterheim unweit der Zeche wieder, die von nun an sein Leben entscheidend prägen sollte. In den ersten Jahren sind die Gastarbeiter oft in kurzfristig errichteten Holzbaracken inmitten kleiner Siedlungen bzw. firmeneigenen Wohnheimen untergebracht worden. Die Einrichtung war in der Regel karg. Die meisten Gastarbeiter schliefen in Etagenbetten.
Familie nach Duisburg geholt
Schon recht bald wurde Sezer klar, dass sein Engagement in Deutschland länger dauern würde. Er verdiente nicht so gut, wie er sich das zunächst erhofft hatte. Nach drei Jahren holte er seine Familie und zog mit ihr nach Duisburg. „Diese Stadt und dieses Land ist unsere zweite Heimat geworden“ sagt er heute. Die Steigerhymne gehört schon längst zu seinen Lieblingsliedern und auch wenn die Arbeit hart und die Bezahlung nicht immer besonders gut gewesen sei, Untertage hat er Freunde fürs Leben gefunden. „Ich will diese Erinnerungen nicht missen“, sagt Sezer.
Auch Ismet Güntürk ist Ende der 60er Jahre mit dem Zug nach München gereist. In der einen Hand umklammerte er fest ein Fetzen Papier und mit der anderen hielt er die Hand seiner Frau fest, die „ein wenig verunsichert gewesen ist“, erinnert sich Güntürk. In ihren Herzen trug das junge Ehepaar die Hoffnung, nach einigen Jahren genug Geld verdient zu haben, um in ihrer Heimat ein Haus für sich und ihren zweijährigen Sohn bauen zu können.
Orientierungslos bei der Ankunft
„Auf dem Zettel stand die Anschrift unseres Arbeitgebers. Ein Florist. Am Bahnhof waren wir zunächst recht orientierungslos bis uns ein Bulgare, der türkisch sprach und unsere Not erkannte, half. Er erklärte uns , wo man ein Ticket kaufen konnte und brachte uns zu unserem Zug Richtung Ruhrgebiet“, sagt der 71-Jährige. Seit 41 Jahren lebt das Ehepaar Güntürk samt Kindern und mittlerweile auch mit ihren Enkelkindern in Duisburg. „Wir sind mit einem Koffer gekommen und werden liegend in einer Kiste aus dieser Stadt herausgetragen“ sagt der Rentner, der sich und seine Familie schon längst hat einbürgern lassen, um am „demokratischen System teilnehmen zu können.“
Bedriye Eravci ist die Älteste im Marxloher Seniorentreff. Die 81-Jährige blickt gerne auf ihre ersten Tage in Deutschland zurück. „Ich habe in meiner Anfangszeit in diesem Land persönlich nie etwas Schlechtes erlebt. Im Gegenteil. Ich glaube, dass in den 60er und 70er Jahren der gegenseitige Respekt und die Hilfsbereitschaft zwischen Gastarbeitern und Deutschen sehr groß war. Ich habe viel von meinen deutschen Nachbarn gelernt“, blickt sie in die Vergangenheit zurück.