Duisburg. .

Thilo Sarrazin hat ein Problem mit Migranten. Und die Sozialdemokratie hat deshalb ein Problem mit Thilo Sarrazin. In Duisburg-Marxloh jedoch, dem Stadtteil in dem viele türkische Einwanderer leben, hat Sarrazin seine Anhänger.

Als Sozialdemokrat ist Thilo Sarrazin nicht mehr tragbar. Diese Ansicht vertreten inzwischen weite Teile der SPD-Basis an Rhein und Ruhr. Vor allem die jüngsten Äußerungen Sarrazins zur Vererbungslehre seien mit den Idealen der Partei nicht vereinbar.

Thilo Sarrazin hat ein Problem mit Migranten. Und die Sozialdemokratie hat deshalb ein Problem mit Thilo Sarrazin. Das ist auch in Duisburg-Marxloh so. Im Stahlarbeitervorort, im Stadtteil der türkischen Brautmodeläden, der immer noch eine der Hochburgen der Revier-SPD ist.

Ja, Sarrazin habe hier Anhänger. In Marxloh gebe es Bürger, vielleicht sogar SPD-Wähler, die den Satz „Deutschland schafft sich ab“ unterschreiben würden. Das wissen Helmut Kanngießer (70) und Manfred Slykers (50). Die beiden sind schon eine halbe Ewigkeit in der Partei.

Marxloh trägt einen Stempel. Den des Ausländer-Stadtteils, den Ghetto-Stempel. Doch „Ureinwohner“ Helmut Kanngießer sieht den Ort nicht in der Existenz-Krise. „Vor fünf Jahren, bevor die ganzen Brautläden kamen, war es hier gespenstisch“, er­zählt er. „Da standen Geschäfte leer, da waren Schaufenster zugeklebt. Heute ist wieder Leben im Ort.” Offiziell gilt ein Drittel der Einwohner als Migranten. „Gefühlt ist es jeder Zweite”, sagt Manfred Slykers.

„Der Spruch vom Gen der Juden – das ist völlig neben der Spur”

Vor wenigen Tagen noch hätten die Marxloher Sozialdemokraten ihrem Genossen Thilo Sarrazin sogar eine Chance gegeben, sich zu erklären. Aber das ist nun vorbei. Sarrazin gehört nicht mehr in die SPD, finden Slykers und Kanngießer: „Der Spruch vom Gen der Juden – das ist völlig neben der Spur.”

Sven Söhnchen, Mi­grations-Experte der SPD in Hagen-Eckesey, hofft, dass Sarrazin die SPD freiwillig verlässt.
Sven Söhnchen, Mi­grations-Experte der SPD in Hagen-Eckesey, hofft, dass Sarrazin die SPD freiwillig verlässt. © WP Michael Kleinrensing

Noch etwas nehmen sie dem Buchautor übel: „Was der schreibt, bringt uns vor Ort keinen Millimeter weiter. Der klagt nur an, ihn interessiert nicht, wie Migranten integriert werden könnten“, ärgert sich der Ortsvereinsvorsitzende. Dabei macht sich Slykers keine Illusionen. „Es gibt Probleme mit einigen Migranten. Ich glaube, es ist eine Bringschuld der Zuwanderer, die deutsche Sprache zu lernen. Manche müssten sich auch mehr um ihre Kinder kümmern. Darüber muss man reden, auch in der SPD.“

In Marxloh gehe es aber gar nicht so sehr um Einheimische oder Zugewanderte, sondern um Lebensperspektiven. Helmut Kanngießer erinnert sich an eine Zeit, in der ein Job bei Thyssen „so eine Art Lebensstellung war. Um da rauszufliegen, musstest du schon silberne Löffel klauen. Heute herrscht Unsicherheit“.

Und Slykers sagt: „Wenn einer mit einem mittelmäßigen Gesamtschulabschluss schon keine Lehrstelle mehr bekommt, dann darf man sich nicht wundern, wenn es im Stadtteil rumort. Das ist das Hauptproblem, nicht Religion oder Kultur.“

Sarrazin torpediere die eigene Partei

Das sehen viele Genossen so. Volkan Baran leitet in Dortmund den Arbeitskreis Migration und spürt „jede Menge Wut im Bauch”, wenn er an Sarrazin denkt. Baran hat persönlich mehr als 80 Migranten für die SPD-Mitgliedschaft angeworben. Sarrazin torpediere mit seinem Auftreten die eigene Partei: „Die SPD steht für Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und nicht für Ausgrenzung.”

„Es ist schon lange nicht mehr erkennbar, dass Thilo Sarrazin sich noch der sozialdemokratischen Grundidee verbunden fühlt”, meint Timo Schisanowski, Juso-Vorsitzender in Hagen. „Das Parteiordnungsverfahren ist völlig ge­rechtfertigt. Beim Thema In­tegration muss man seriös bleiben und nicht pseudowissenschaftliche Thesen verbreiten”, bestätigt Sinan Akin von der Projektgruppe Migration der SPD in Gelsenkirchen.

Doch Sven Söhnchen, Mi­grations-Experte der SPD in Hagen-Eckesey, hofft, dass Sarrazin freiwillig die SPD verlässt, denn: „Ich halte nichts davon, Menschen aus der SPD rauszuklagen, weil sie eine abweichende Meinung haben. Dann müsste man wahrscheinlich viele Verfahren einleiten.”