Duisburg. Bei der Wunschbaum-Aktion für Senioren sind die Geschenke übergeben worden. Wir waren bei einer Bescherung dabei. Dank an Leser und Pflegerinnen.

Immer wieder spinkst Gertrud Sinka, 83, in die rote Weihnachtstüte auf ihrem Schoß. Die Bescherung hier in der DRK-Tagespflege für Demenzerkrankte in Rheinhausen hat gerade erst begonnen. Es ist eine von vielen Bescherungen, die möglich werden durch die Spenden für die Wunschbaum-Aktion von DRK Pflege und Betreuung Duisburg gGmbH, WAZ und NRZ (siehe Text unten). Gertrud Sinka ist eine der Beschenkten.

Spannend, was da wohl in den Tüten steckt. Aber die 83-Jährige traut sich nicht, ihr Geschenk zu öffnen. Auch Michael Heinemann lässt seine grüne Verpackung unberührt. „Machen Sie doch die Tüten mal auf“, fordert Franziska Llerandi die Senioren auf. „Wir sind eben gut erzogen“, scherzt der 64-Jährige. „Oh, Marzipan und Süßkram, das hab ich mir gewünscht. Ich wollte so gerne ein bisschen schnucken, aber hier ist ja tonnenweise Marzipan drin“, sagt er und ist gerührt.

Bescherung in Rheinhausen: Süßkram, Kuschelsocken, Deo und das Wunschparfum

Die Wunschbaum-Aktion für Duisburger Seniorinnen und Senioren trifft auch in diesem Jahr wieder ins Herz. Sowohl die Beschenkten, als auch die Betreuerinnen freuen sich und sind stolz, dass es so viele Menschen gibt, die einfach Fremden eine Freude machen. Und dann findet der sehr schlanke 64-Jährige auch noch kernige Kuschelsocken und ein Männer-Deo, das er liebt und sich gewünscht hatte.

„Was ist das für eine tolle Aktion“, sagt er immer wieder und spricht mit den Worten Gertrud Sinka aus der Seele. „Dass es so was noch gibt, dass man zu Weihnachten Geschenke von Duisburger Bürgern bekommt, die man nicht kennt“, sagt sie sichtlich bewegt und hält ihr Wunschparfum fest in der Hand. Und dann fängt sie zu erzählen an.

Dass es so was noch gibt, dass man zu Weihnachten Geschenke von Duisburger Bürgern bekommt, die man nicht kennt.
Gertrud Sinka (83)

Die Erinnerung ist wieder da

„Wir waren alle Deutsche und haben in Schlesien gewohnt. Meine Verwandten waren nach dem Krieg längst nach Deutschland gezogen. Aber ich habe in einer Munitionsfabrik in Polen gearbeitet und durfte lange nicht ausreisen. Deutsch durften wir auch nicht sprechen, das war verboten.“ Darum wurde zu Hause nur heimlich und sehr leise Deutsch gesprochen, damit Sohn und Tochter es nicht mitbekommen. „Kinder sind ja laut. Wenn jemand auf der Straße gehört hätte, dass wir Deutsch sprechen, hätten wir nie ausreisen dürfen“, erzählt Gertrud Sinka. Nein, leicht seien all‘ die Jahre nicht gewesen.

Die Erlebnisse aus früheren Jahrzehnten sprudeln auf einmal nur so aus ihr heraus: Die Kriegsjahre, dass sie so früh geheiratet hat und dass ihr – immer kranker Mann – nach der Übersiedlung nach Deutschland bei Krupp in Rheinhausen eine Arbeitsstelle bekam.

Gertrud Sinka packt aufgeregt ihr Geschenk aus.
Gertrud Sinka packt aufgeregt ihr Geschenk aus. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Die Erinnerung ist wieder da. Und genau das ist das Ziel der Tagespflege für Demenzkranke: Den Geist wieder zum Leben zu erwecken, wachzurufen, was oft verschüttet scheint. „Denn die 16 Tagesgäste sind alle demenzkrank – alle auf einer anderen Ebene“, erklärt die stellvertretende Leiterin Franziska Llerandi. Die 33-Jährige ist mit Herz und Seele dabei. „Manchmal ist es anstrengend, aber ich habe den Beruf, den ich über alles liebe.“ Das muss sie gar nicht erwähnen, man spürt und sieht es.

Tränen und Umarmungen

Liebevoll geht sie mit den Tagesgästen um, die wiederum eine enge Beziehung zu ihr haben, das kann man nicht nur beobachten. „Die Mädchen hier sind einfach toll, die sind so nett und arbeiten sich den Buckel krumm“, sagt der 64-Jährige immer wieder voller Respekt. „Demenz und Krankheit sind kein Tabuthema, es wird besprochen und thematisiert, damit jeder Rücksicht nimmt und den anderen versteht. 95 Prozent der Gäste hier sind demenziell verändert“, sagt die 33-Jährige. Die Männer und Frauen, die die Einrichtung zwei- bis fünfmal in der Woche besuchen, werden in jeder Weise unterstützt: geistig, seelisch und körperlich.

Denn, Geschenke zu bekommen, wie jetzt vor Weihnachten, sind Auslöser für Erinnerungen. Das Gehirn wird gefordert, die Vergangenheit wieder wachgerufen. Es darf auch geweint werden, dann sind Umarmungen – auch unter den Gästen – die passende Antwort. Es gibt viele Bastel- und Tanzstunden, um die Motorik in Schwung zu bringen.

Nicht bei jedem erkennt man auf den ersten Blick, dass es sich um einen demenzkranken Menschen handelt. „Aber die Angehörigen, die oft noch berufstätig sind, wissen das natürlich“, erklärt Franziska Llerandi. Es gibt viele Gründe, warum die Tagespflege gebraucht wird. Manche Gäste haben kein besonders enges Verhältnis zu ihren Verwandten, andere haben keine Familie. Oft wollen die Angehörigen nicht, dass ein dementer Mensch den ganzen Tag zu Hause alleine die Wände anguckt. Sie möchten, dass der Tag sinnvoll gestaltet wird, damit die Menschen ein würdiges Leben führen.

„Gesundheit und Glück wollen sie alle haben, aber das kann man nicht kaufen. Wir wollen Dinge tun, die sie jeden Tag glücklich machen und sie gerne wieder zu uns kommen“, sagt Altenpflegerin Llerandi. Und dazu gehöre zu hundert Prozent die Wunschbaum-Aktion. „Es ist eine ganz tolle Sache.“

>> TAGESPFLEGE FÜR DEMENZKRANKE

  • Sehr begehrt ist die Tagespflege für Demenzkranke in Rheinhausen, die im April 2024 zehn Jahre besteht. 16 Tagesgäste zwischen 64 und 97 Jahren werden täglich von Zuhause abgeholt und spätnachmittags wieder zurückgebracht. Das Stammpersonal besteht aus sieben Frauen und fünf Fahrern.
  • Zurzeit baut das DRK eine weitere Tagespflegeeinrichtung in Homberg, die 2024 fertiggestellt werden soll.
  • „Viele werden schon früh von Angehörigen angemeldet, damit sie zu uns kommen können, wenn ein Platz frei wird“, erzählt die stellvertretende Leiterin Franziska Llerandi (33). Die Pflegekasse übernimmt – zumindest teilweise – die Kosten. Ein Tag schlägt mit 150 Euro zu Buche.
  • Wer Pflegestufe 3 hat, für den übernimmt die Kasse drei Betreuungstage in der Woche. „Viele Verwandte übernehmen aber die restlichen zwei Tage und zahlen aus eigener Tasche, wenn die Angehörigen fünfmal pro Woche den Tag in der Einrichtung verbringen sollen“, sagt die 33-Jährige. (EA)

>> HERZLICHEN DANK, LIEBE LESERINNEN UND LESER!

Liebe Leserinnen und Leser,

wir danken Ihnen herzlich, auch im Namen der DRK Pflege und Betreuung Duisburg gGmbH, für Ihre Spendenbereitschaft und für die großzügigen und liebevoll verpackten Geschenke an die vom DRK betreuten Seniorinnen und Senioren. Bei der dritten Wunschbaum-Aktion von DRK Pflege und Betreuung Duisburg gGmbH, WAZ und NRZ konnten wie im Vorjahr 500 ältere Mitbürger beschenkt und erfreut werden.

„Alle 500 Wunschbaumkarten sind wieder schnell weg gewesen“, berichtet Larissa Albert, Assistentin der Geschäftsführung bei der DRK Pflege und Betreuung Duisburg gGmbH. „Die Bären-Apotheke in Neumühl hatte direkt nach dem ersten Wochenende nach Nachschub – nach neuen Wunschbaumkarten – gefragt, weil der Baum im Duisburger Norden erneut einfach wahnsinnig schnell leer gepflückt war.“ Die fünf Wunschbäume standen in der Bären-Apotheke, in der Forum-Apotheke in Hochemmerich, in der Süd-Apotheke in Huckingen sowie in den Räumen der DRK-Tagespflege Mariencampus in Hochfeld sowie denen der DRK-Tagespflege in Rheinhausen.

Senioren wünschen sich Socken, Rätselhefte, ein Spielzeugauto – „das erdet und macht demütig“

Ein Spender übernahm direkt alle Wunschkarten, die anfangs am Baum in Hochfeld aushingen. Er möchte anonym bleiben. Ans Pflege-Team dort richtete er folgende Zeilen (gekürzt):

„Ich bin durch den Bericht in der WAZ auf diese Aktion aufmerksam gemacht worden und hatte den spontanen Drang, den ‚Mädels und Jungens‘ Ihre Wünsche erfüllen zu wollen. Da meine Mutter nach ihrem Schlaganfall bei Euch in der Tagespflege ist und seither so große Fortschritte gemacht hat und auch gerne bei Euch ist, möchte ich etwas zurückgeben. Eure Einrichtung, die Gruppe und das gesamte Team unterstützt uns als Familie und in erster Linie meine Mutter.

Ich habe die Wünsche alle gelesen und musste dabei auch ein paar Tränen verdrücken. Es sind so viele bescheidene Wünsche dabei und auch ein paar ausgefallene. Ein Mann an die 90 wünscht sich ein Spielzeugauto. Einen roten Ford Mustang. Drei Mädels wünschen sich warme Socken, andere einfach nur Rätselhefte. Das erdet einen und macht demütig.“ (pw)

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