Duisburg. Die Polizei hat den Mann, der in Marxloh auf Kinder eingestochen haben soll, schon 2023 als „Person mit Risikopotenzial“ eingestuft.

Die Polizei in Bayern wusste bereits im Januar, dass jener Mann öffentlich einen Mord angekündigt hatte, der inzwischen als der Messer-Angreifer (21) von Duisburg-Marxloh beschuldigt wird. Aber eilige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr wurden auf Dienstwegen durch Strafverfolgungs- und Justizbehörden in Bayern und Duisburg verzögert, bis es zu spät war (wir berichteten). Am 29. Februar erst erreichte die Polizei Duisburg ein Durchsuchungsbeschluss – nachdem der möglicherweise psychisch kranke Mann auf zwei Kinder (9/10) eingestochen hatte. Aus einem Bericht des Innenministers Herbert Reul (CDU) gehen darüber hinaus neue Details zum Fall hervor: Die Polizei Duisburg hatte den Beschuldigten bereits 2023 für mehrere Monate als „Person mit Risikopotenzial“ eingestuft.

Demnach habe er im Februar 2023 einem Arzt gegenüber eine Gewalttat gegen seine Mutter angekündigt, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Bericht des Ministeriums. Daraufhin sei der junge Deutsch-Bulgare „durch die Kreispolizeibehörde Duisburg im Februar 2023 als Person mit Risikopotential im Sinne des Konzeptes ,PeRiskoP‘“ (siehe unten) eingestuft worden.

Messer-Angriff von Duisburg-Marxloh: Beschuldigter soll Mutter Gewalt angetan haben

Nach der zwischenzeitlichen Versöhnung mit seiner Mutter, der Rückkehr in deren Haushalt und dem danach mutmaßlich gewaltfreien Zusammenleben sei der Mann im Oktober 2023 wieder „ausgestuft“ worden. Er galt also nicht mehr als Risikoperson. Vorausgegangen war laut Reul-Bericht eine „erneute Bewertung“ durch die Polizei in Duisburg. Im Januar 2024 erfuhr man im Präsidium dann jedoch von zwei weiteren Fällen von häuslicher Gewalt des Mannes gegen seine Mutter.

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„Ob der Beschuldigte infolge der Vorfälle aus Januar 2024 wieder als Person mit Risikopotential hätte eingestuft werden sollen, ist Gegenstand einer derzeit noch andauernden fachaufsichtlichen Prüfung“, schließt der Bericht des Innenministers. Diesen hatte Reul am Donnerstag nach Anträgen von SPD- und AfD-Fraktion dem Innenausschuss des Landtags vorgelegt.

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Im selben Monat, am 8. Januar, soll der 21-Jährige in einem Chat einem Zeugen in Bayern einen Mord für September 2024 angekündigt haben. Diese Information habe die Polizei in Duisburg aber nicht rechtzeitig erreicht. „Wir hatten – nach der jetzigen Berichtslage – keinerlei Information“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Warum ein Ermittlungsrichter, der die Polizei unterrichten wollte, diese telefonisch nicht erreicht habe, werde noch versucht zu ermitteln.

Die bayerische Polizei hatte den Verdächtigen als Absender der Chat-Nachricht ausfindig gemacht und die Ermittlungsakten zunächst an die Staatsanwaltschaft Regensburg weitergegeben. Von dort sei der Vorgang an die Staatsanwaltschaft Duisburg weitergeleitet worden. Letztlich hatten die Ermittler dort zwar einen Durchsuchungsbeschluss gegen den 21 Jahre alten Deutsch-Bulgaren erwirkt, der aber nicht mehr vor dem Angriff Ende Februar umgesetzt worden war.

Mann attackiert Kinder in Marxloh

Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | JUSTIN BROSCH
Duisburg, 28.2.2024, kurz nach 12 Uhr: Die Polizei sperrt in Marxloh die Dahlstraße ab.
Duisburg, 28.2.2024, kurz nach 12 Uhr: Die Polizei sperrt in Marxloh die Dahlstraße ab. © WAZ | Semih Köse 
Duisburg, 28.2.2024, gegen 13 Uhr: Eltern warten vor der Grundschule an der Henriettenstraße auf ihre Kinder. Die beiden Opfer der Gewalttat hatten sich aufs Schulgelände gerettet.
Duisburg, 28.2.2024, gegen 13 Uhr: Eltern warten vor der Grundschule an der Henriettenstraße auf ihre Kinder. Die beiden Opfer der Gewalttat hatten sich aufs Schulgelände gerettet. © WAZ | Egemen Semih Köse
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | JUSTIN BROSCH
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | JUSTIN BROSCH
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | JUSTIN BROSCH
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | JUSTIN BROSCH
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
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Ob es bei den Justizbehörden in Nordrhein-Westfalen etwa wegen eines falsch eingetragenen Aktenzeichens, einer fehlenden telefonischen Vorwarnung und nicht mitgelieferter Unterlagen zu Verzögerungen kam, werde durch die Dienstaufsicht untersucht, heißt es auch in diesem Bericht.

Während das Justizministerium in Düsseldorf darin angibt, das „Deckblatt zur Übersendung“ aus Bayern habe keine besondere Eilbedürftigkeit erkennen lassen, betonte die Staatsanwaltschaft Regensburg am Donnerstag, die Akten zu dem Verdächtigen seien mit dem Hinweis „EILT SEHR“ rechts oben auf der Abgabeverfügung weitergeleitet worden.

Zudem sei das Datum, an dem Ermittlungsakten von der Polizei in Straubing an die Straubinger Zweigstelle der Staatsanwaltschaft Regensburg gegangen seien, im Bericht falsch angegeben, sagte ein Sprecher der Ermittlungsbehörde in Straubing. Im Bericht des NRW-Justizministeriums war vom 19. Januar die Rede, die polizeilichen Ermittlungen seien aber erst am 29. Januar abgeschlossen worden. Die Akten seien erst am 5. Februar bei der Zweigstelle der Staatsanwaltschaft gelandet (wir berichteten).

Der abgesperrte Tatort auf der Dahlstraße in Duisburg-Marxloh.
Der abgesperrte Tatort auf der Dahlstraße in Duisburg-Marxloh. © WAZ | Semih Köse 

Das NRW-Justizministerium räumte inzwischen ein, dass es sich beim 19. Januar um einen Schreibfehler handelt. Richtig sei der 29. Januar. Beim Eil-Hinweis beziehe sich die Aussage auf das Deckblatt, nicht auf die Abgabeverfügung.

SPD-Abgeordnete Kampmann: „Ein einziger Offenbarungseid“

„Der Bericht der Landesregierung war sowohl für das Innen- als auch für das Justizministerium ein einziger Offenbarungseid“, kritisierte die SPD-Abgeordnete Christina Kampmann. „Niemand wollte für dieses Desaster Verantwortung übernehmen. Stattdessen waren alle darum bemüht, Fehler bei anderen zu suchen. Hier muss noch einiges dringend aufgeklärt werden.“ In einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im Landtag soll der Fall nun aufgerollt werden. Die Oppositionsfraktionen von SPD und FDP haben die Sitzung gemeinsam beantragt, die am Dienstag (14.00 Uhr) stattfinden soll.

„Wenn es einen konkreten Hinweis eines Bürgers auf eine Gefährdung gibt, dann darf es nicht 51 Tage dauern, bis die zuständigen Behörden konkrete Maßnahmen ergreifen“, ergänzte der SPD-Abgeordnete Sven Wolf. „Erst recht nicht, wenn es sich bei dem Gefährder um eine polizeibekannte Person handelt.“ Das Konzept Periskop solle dazu dienen, tickende Zeitbomben sofort zu erkennen. „Scheinbar aber hat diese Zeitbombe mehr als sieben Wochen auf den Schreibtischen gelegen, ohne dass jemand das Ticken gehört hat.“

Gegen den mutmaßlichen Angreifer war Haftbefehl wegen zweifachen versuchten Mordes erlassen worden. Der Haftbefehl sei inzwischen in einen sogenannten Unterbringungsbefehl umgewandelt worden, hatte die Duisburger Staatsanwaltschaft mitgeteilt. Seit Dienstag befinde sich der Verdächtige in einer Psychiatrie. Im Laufe der Ermittlungen hätten sich Zweifel an seiner Schuldfähigkeit ergeben. (dpa)

>> FRÜHERKENNUNG VON GEFÄHRLICHEN PERSONEN MIT PRISKOP

Das Konzept zur Früherkennung von und zum Umgang mit Personen mit Risikopotenzial, PeRiskoP, greift seit Mai 2022 in allen 47 Kreispolizeibehörden Nordrhein-Westfalens. Mit dem Konzept sollen risikoträchtige Personen frühzeitig erkannt werden –losgelöst von politischen oder religiösen Motiven.

„Mit PeRiskoP können wir potenzielle Amokläufer nun landesweit leichter aufspüren. Natürlich gibt es keine hundertprozentige Sicherheit, aber wir hoffen, dank PeRiskoP bereits im Verdachtsfall eingreifen und so das Risiko schwerer Gewalttaten minimieren zu können“, sagte bei der Einführung 2022 Innenminister Herbert Reul. Er hatte PeRiskoP nach den Amokfahrten von Münster, Volkmarsen und Trier ins Leben gerufen.