Duisburg-Marxloh. „Die Panik ist noch da“, sagt die Mutter eines Schulkindes am Tag nach dem Angriff. Fake News kursier(t)en in Marxloh. So ist die Stimmung dort.
An den Messerangriff auf die beiden Grundschüler auf dem Schulweg erinnert am Donnerstagmorgen, am Tag nach der Attacke, kaum noch etwas an der Dahlstraße in Duisburg-Marxloh. Das rot-weiße Absperrband der Polizei ist bis auf wenige verknotete Überreste entfernt. Den Bodenmarkierungen der Ermittler schenken die Menschen aus dem Viertel keine Beachtung mehr. Sie gehen wieder mit ihren Hunden Gassi, tragen ihre Einkäufe ins Haus oder holen sich einen Kaffee in der Trinkhalle an der Ecke. Alles andere als Alltagsstimmung herrscht dagegen vor der Henriettenschule, in der sich der Junge und das Mädchen nach dem Angriff schwer verletzt in Sicherheit gebracht hatten.
Viele Eltern haben ihre Kinder am Tag nach dem Messer-Angriff zur Schule begleitet. „Die Panik ist immer noch da“, sagt Nurhayat Palta, die in der Nachbarschaft wohnt und deren siebenjähriger Sohn auf die Gemeinschaftsgrundschule geht. Zumal es während des Polizeieinsatzes am Mittwochmittag viele Gerüchte gegeben hat, die nur langsam wieder eingefangen werden können.
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So sei die Schreckensnachricht verbreitet worden, dass jemand Kindern die Kehlen durchschneiden würde. Oder dass ein Psychopath in die Schule eingedrungen wäre. Die Angst ging um bei Eltern und Grundschülern. „Mein Sohn hat die ganze Nacht geweint“, sagt Nurhayat Palta. Der Siebenjährige sei mit ihr erst morgens gegen vier Uhr eingeschlafen. „Ich werde alles dafür tun, dass er nicht in Gefahr ist.“
Nach dem Messer-Angriff in Marxloh: Hitzige Schulversammlung und große Solidarität
Eine interne Schulversammlung sei entsprechend sehr hitzig und emotional gewesen, schildert die Mutter, aber die Solidarität unter den Eltern sei sehr groß. Sie organisieren jetzt, dass kein Kind mehr alleine zur Schule gehen müsse.
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Das gilt am Donnerstag auch für andere Schulen im Stadtteil, wie Rikarda Licht berichtet. Sie ist in der Kleiderkammer des Petershofs tätig, dort war der Angriff „das Gesprächsthema“. Alle Helfer der Kleiderkammer, meist Kroaten, Serben und Albaner, haben demnach ihre Kinder zur Schule gebracht und sie auch wieder abgeholt. Manche schicken ihre Kinder gar nicht zur Schule. „Die Eltern sind sehr besorgt und verunsichert. Alle sind sich aber auch einig: Das hätte überall passieren können.“
Mütter lassen ihre Kinder mit tränenfeuchten Augen in der Schule zurück
Genauso sieht das Ceylan Palta, die wie ihre Schwester auch Kinder auf der Henriettenschule hat. „Wir sind sehr zufrieden mit der Schule und den Lehrern“, betont sie und freut sich über die Polizei, die aktuell Streife fährt. Ein Beamter ist auch auf dem Schulhof, wo außerdem zwei Notfallseelsorger mit Eltern und Schülern sprechen. „Wir wollen mehr Sicherheit, mehr Polizisten“, fordert Ceylan Palta, denn die Polizeipräsenz wirke beruhigend auf sie und die übrigen Nachbarn. Damit ihre Kinder nicht alleine sind, hat sich die Reinigungskraft heute extra freigenommen.
Zwar spielen die Kinder auf dem Schulhof an der Henriettenstraße in der großen Pause ausgelassen und fröhlich miteinander. Sie lachen. Für einen Moment scheinen sie die Messerattacke auf ihre Mitschüler vergessen zu haben. „Aber wenn sie später zu Hause sind, ist das anders“, weiß Nurhayat Palta. „Unser großer Wunsch ist es, dass sie den Vorfall komplett verarbeiten“.
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Schwer ist die Situation nicht nur die Grundschulkinder, sondern auch für die Eltern. So haben einige Mütter tränenfeuchte Augen, als sie das Schulgebäude verlassen, wo ihre Kinder jetzt unterrichtet werden. Freiwillige Unterrichtsangebote wie die Türkisch-Stunden schwänzen allerdings viele Schüler und bleiben zu Hause bei ihren Familien.
Ratsherr: „Ich hatte die Befürchtung, dass was eskalieren könnte im Stadtteil“
Ratsherr Dieter Stradmann sagt, er habe nach der Tat viele Anrufe aus der türkischen Community und wilde Gerüchte erzählt bekommen. „Ich hatte die Befürchtung, dass was eskalieren könnte im Stadtteil“, sagt er gegenüber der Redaktion. Er habe vor Ort mit der Polizei gesprochen und danach die Leute beruhigen können.
Um Deeskalation war auch Bezirksvertreter Claus Lindner bemüht, der am Mittwoch einen Stadtteilrundgang organisierte, als er von der Tat hörte. Es seien kaum Menschen auf der Straße gewesen, wie sonst nur an einem Sonntagmorgen. „Die Leute hatten Angst um ihre Kinder.“
Natürlich auch aufgrund der brodelnden Gerüchteküche. Insbesondere die Bulgaren und Rumänen im Stadtteil seien geschockt gewesen, weil Kinder angegriffen wurden. Erst die Nachricht, dass die beiden Opfer nicht in Lebensgefahr schweben, habe die gut vernetzte Community besänftigen können. Dennoch ließen sich nicht alle Gerüchte beenden.
Tatverdächtiger und sein Vater sind bekannt im Viertel
Am Tatort, auf der Dahlstraße, hat am Donnerstag ein Kamerateam seine Ausrüstung aufgebaut, ein Fernsehreporter spricht Fußgänger und Anwohner an, ob sie den Vater des verhafteten 21-Jährigen kennen.
Der Mann ist in der Nachbarschaft bekannt und sein Sohn soll psychische Probleme haben, teilen zwei junge Frauen dem Reporter mit. Von einem Autofahrer erhält er weitere Informationen. Doch nicht jeder mag die Journalisten vor der Haustür. Aus einigen Wohnungsfenstern rufen Anwohner Beschimpfungen herunter; andere sind neugierig, was die Kameras da sollen.
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Ob betroffen oder nicht, die Familien aus Marxloh sind „maximal verunsichert“, hat der Kinderarzt Dr. Christoph Fangmann mitbekommen; seine Praxis ist nicht weit vom Tatort entfernt. Die Mütter und Väter begleiten aus Angst ihre Kinder auf dem Schulweg, auch wenn sie es sonst nicht tun. In der Praxis gab es zudem Augenzeugenberichte, dass der Täter nicht wie ein Erwachsener gewirkt habe, sondern eher wie ein junger Teenager.
Wieder ein Rückschlag fürs Image von Marxloh
Für viele Familien geht der Alltag am Tag eins nach der brutalen Tat allerdings weiter, wie Thomas Mielke vom Verein Runder Tisch Marxloh berichtet. Der Hintereingang zum Vereinssitz liegt direkt am Tatort, weshalb am Mittwochnachmittag zwei Musikprojekte nach Rücksprache mit der Polizei abgesagt wurden. Jedoch ist am Donnerstag wieder volles Programm.
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„Es gibt keine Rechtfertigung dafür, Kinder mit tödlichen Stichwaffen zu verletzen. Wir hoffen, die Kinder werden nach ihrer Genesung entsprechend betreut und finden wieder zurück in die Normalität“, sagt Mielke und räumt ein, dass es ihn und seine Mitstreiter erschreckt, „wenn eine solch abscheuliche Tat in einer solchen direkten Nähe passiert“.
So hofft er, dass die Familien ihre Kinder weiterhin zum Runden Tisch schicken, um etwa mit dem Kinderliedermacher Buddy Ollie zu musizieren. In der brutalen Attacke sieht er „ein weiteres Puzzleteil, welches dem Ruf unseres Stadtteils nicht guttun wird“.
Stimmungsmache von Rechts
So wolle die rechte Szene bereits den Vorfall für ihre Propaganda ausschlachten, schildert SPD-Bezirksvertreter Claus Lindner seinen Eindruck. Ihn „nerven“ die rechten Kommentare in den sozialen Medien. „Wenn Kinder verletzt sind, sollte man an was anderes denken.“
Tatsächlich herrscht am Donnerstag überall in Marxloh Unverständnis für diese Tat, unabhängig von Herkunft oder Religion. „Die Leute im Stadtteil sind entsetzt, auch weil es um Kinder geht“, sagt Citymanager Mehmet Erdoğan.