Duisburg/Mülheim/Oberhausen. Alles abgesagt, die Kita leerer: Seit dem Hamas-Angriff auf Israel ist das Leben der Jüdischen Gemeinde Duisburg/Mülheim/Oberhausen ein anderes.

Der brutale Terrorangriff der Hamas in Israel hat Auswirkungen auf den Alltag der Jüngsten in Duisburg: Rund 20 Kinder sind seit dem Ausbruch des Kriegs nicht mehr in die Kita gekommen, berichtet Alexander Drehmann, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg, Mülheim, Oberhausen.

Alle öffentlichen Veranstaltungen habe er für die nächsten Wochen abgesagt. Wie es weiter gehe für seine 2400 Gemeindemitglieder, das wolle er vom Kriegsverlauf abhängig machen. Das so formulieren zu müssen, könne er schon kaum fassen. Seine Kippa trägt er außerhalb der Synagoge schon lange nicht mehr, der Davidstern ist unter dem Hemd verborgen, Rabbiner David Geballe setzt außerhalb der eingezäunten, abgesicherten und von der Polizei geschützten Gemeinde auf Kappen und Hüte.

Jüdische Gemeinde Duisburg, Mülheim, Oberhausen: Angst in einer neuen Dimension

„Die Angst ist in einer Dimension da, wie wir sie vorher nicht hatten“, sagt Drehmann. Er hat selbst Verwandte in Israel, alle wehrfähigen Menschen seien eingezogen worden, die Familie sei voller Sorge. Auch einer der Sicherheitsbediensteten der Duisburger Gemeinde hänge nach einem Urlaub noch in Israel fest.

Die Gottesdienste seien aktuell deutlich schlechter besucht, weil die Menschen sich unsicherer fühlen, sagt Rabbiner David Geballe. Er halte vor allem digital Kontakt, müssen zweimal täglich sein Handy aufladen, weil so viele seinen Trost suchen. Mit den jüngeren Gemeindemitgliedern habe er Zoom-Konferenzen gehalten.

Diesem Statusbericht der Gemeinde hörte am Montag Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aufmerksam zu. Die ehrenamtliche Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW hatte das Gespräch mit der Gemeinde gesucht und wurde mit offenen Armen empfangen.

Israel als Rückzugsort „gerät ins Wanken“

Israel sei für viele Juden in Deutschland eine Rückversicherung, dieser Rückzugsort gerät nun ins Wanken, bedauert Leutheusser-Schnarrenberger. „Israel ist aktuell ein gefährlicher Ort.“ Sie betonte, dass Israel nach dem „barbarischen Angriff der Hamas auf junge Festivalbesucher ein Selbstverteidigungsrecht hat“.

Diese Botschaft müsse nun auch in Schulen verbreitet werden: „Schulen sind die Orte, an denen man junge Menschen erreichen und dazu bringen kann, die Würde des Menschen zu achten.“ Rabbiner Geballe zeigte sich nicht ganz so zuversichtlich, denn Lehrkräfte müssten diese Haltung auch teilen. Ihm sei etwa zugetragen worden, dass ein Lehrer Anne Frank als Romanfigur bezeichnet habe. Antisemitismus sei in allen Gesellschaftsschichten präsent.

Seit dem blutigen Angriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung gelten auch an der Jüdischen Gemeinde Duisburg höhere Sicherheitsmaßnahmen.
Seit dem blutigen Angriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung gelten auch an der Jüdischen Gemeinde Duisburg höhere Sicherheitsmaßnahmen. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

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Oberbürgermeister Sören Link, der bei dem Gespräch in der Synagoge ebenfalls zugegen war, berichtete von seinen Sorgen: Seit dem Terroranschlag der Hamas und den Demos in Duisburg habe er die Sorge gehabt, dass es sich auch hier hochschaukelt, „das ist zum Glück nicht passiert“.

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Das friedliche Zusammenleben in Duisburg verteidigen

Geschäftsführer Alexander Drehmann sagt, dass Stadt und Polizei zur Sicherheit der Gemeinde „alles getan haben, was machbar ist“. Lieber wäre ihm nur gewesen, wenn die bundesweit wahrgenommene Demo in der Vorwoche verboten worden wäre.

Das sei auch sein Wunsch gewesen, sagt Link, „die Wortwahl bei den Aufrufen, bei den Demos hat mich erschrocken. Aber die Einschätzung der Juristen war, dass die Kundgebungen nicht untersagt werden können.“ Er sehe das friedliche Zusammenleben aller Menschen in Duisburg in Gefahr, diesen Schatz „müssen wir verteidigen“.

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Aufruf zur Demo am Mittwoch

Er bedauere, dass er ein Zusammenrücken der Zivilgesellschaft noch nicht wahrnehmen könne. Dem pflichtete Leutheusser-Schnarrenberger bei: „Man spricht zu Hause darüber, aber das reicht nicht, man kann hier nicht nur zuschauen.“

Drehmann berichtet, dass der Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir bei einem Besuch kürzlich berichtete, dass die Mitglieder der AG60 der SPD aus Angst nicht zu einer Demo gehen würden.

Dem Aufruf des Bündnisses für Zivilcourage sollten sie aber folgen, sind sich alle einig. Drehmann wünscht sich, dass viele Duisburger zu der Demo am Mittwoch um 18 Uhr auf den Flachsmarkt kommen. „Das wäre ein starkes Zeichen an Islamisten, an extreme Linke, extreme Rechte, auf gut Deutsch an die Vollidioten.“

>>DAS IST SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER

  • Die FDP-Politikerin ist Juristin. Ab 1990 war sie im Deutschen Bundestag, von 1992 bis 1996 und von 2009 bis 2013 war sie Bundesjustizministerin.
  • Bis 2009 war sie als Abgeordnete tätig, zeitweise Stellvertretende Fraktionsvorsitzende. In Bayern war sie 13 Jahre lang Vorsitzende der FDP.
  • Seit 2019 ist sie ehrenamtliche Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW. In dieser Funktion ist sie Ansprechpartnerin für Betroffene, außerdem setzt sie sich für präventive Maßnahmen gegen Antisemitismus ein.