Duisburg. Das Bistum Essen hat seine Missbrauchsstudie in Duisburg vorgestellt. Gäste thematisierten mehrfach die Vorwürfe gegen Stadtdechant Winkelmann.

Der Anspruch ist die eine Seite, die Wirklichkeit eine andere. „Was die katholische Kirche sich beim Thema sexualisierte Gewalt auf die Fahnen geschrieben hat, hörte sich wie ein Aufbruch an. Doch die Realität sieht nach wie vor anders aus.“ Das war die vielfach vorgebrachte Kritik aus den Reihen der circa 60 Besucherinnen und Besucher am Mittwochabend im Katholischen Stadthaus. Dort stellte das Ruhrbistum seine Aufarbeitungsstudie zu sexualisierter Gewalt im Bistum vor.

Immer wieder Thema war im Stadthaus der Fall von Stadtdechant Roland Winkelmann. Der Pfarrer wurde Anfang März wegen möglicher „sexualisierter Grenzverletzungen“ vorübergehend von seinen Ämtern entbunden, nachdem unsere Redaktion Fragen zu Vorwürfen gegen ihn gestellt hatte. Von diesen aber erfuhr die Gemeinde erst aus unserer Zeitung.

Sexualisierte Grenzverletzungen in Duisburg: Gemeindemitglieder zutiefst verunsichert

Eine Frau erklärte, sie sei zur Freistellung des Pfarrers hin- und hergerissen. „Jetzt ist er aus der Gemeinde weg, der Druck auf ihn und die Einsamkeit werden noch größer. Er ist aus seinem Freundeskreis rausgerissen, das tut mir einerseits auch leid.“ Man könne ja vielleicht sagen, so ihr Vorschlag, er solle zu seinem Verhalten stehen. „Dann tragen wir dich mit, aber ab jetzt wird hier einiges anders.“

Der beschuldigte Winkelmann hatte seine Pfarrei St. Judas Thaddäus nach der Freistellung Anfang März in einem Schreiben über die vorübergehende Entbindung von seinen Ämtern informiert. Darin hatte er betont: „Es geht ausdrücklich nicht um sexuellen Missbrauch.“

Wie sehr der Fall viele Gemeindemitglieder durchschüttelt, wurde am Beitrag einer anderen Frau deutlich. Auch sie sagte, sie wisse kaum, wie sie mit der Situation umgehen solle. Ihr stockte die Stimme, sie war verzweifelt, erschüttert und ratlos.

„Werden wir wieder aus der Presse erfahren, wie es jetzt mit Roland Winkelmann weitergeht, oder ist ein anderer Weg geplant?“, fragte ein junger Mann, der in der Jugendarbeit der Gemeinde St. Judas Thaddäus tätig ist. Nein, das werde die Gemeinde von der Kirche selbst erfahren, versprach Generalvikar Klaus Pfeffer.

Generalvikar Klaus Pfeffer: „Auch mir sind Fehler unterlaufen“

Generalvikar Klaus Pfeffer stellte vor der Diskussion die zentralen Ergebnisse und Empfehlungen zum Thema vor, die im Münchener Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP-Studie) erarbeitet wurden. Sehr offen präsentierte Pfeffer die Ergebnisse der Studie. „Die Wissenschaftler hatten zur Bedingung gemacht, dass die katholische Kirche bereit ist, Fehler anzuerkennen und den Willen zur Änderung zu haben. Den haben wir“, sagte Pfeffer.

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Immer wieder machte der Generalvikar deutlich, wie schwierig es – trotz des Willens zur Veränderung – sei, rechtzeitig einzugreifen. Man habe eine Fürsorgepflicht den eigenen Mitarbeitern gegenüber, müsse sich aber auch um mögliche Missbrauchsopfer kümmern. Die richtige Balance zu finden, sei wirklich schwierig. „Auch mir sind Fehler unterlaufen“, räumte er ein.

Dem eigenen Anspruch gerecht zu werden, sei eine gigantische Herausforderung und der Lernbedarf bei der katholischen Kirche groß. Wichtig sei es jetzt, nicht in Hektik zu verfallen, sondern Räume zu schaffen, die einen freien Blick und offene Worte zulassen. Das sei auch die Empfehlung der Wissenschaftler. Geändert habe sich schon viel, aber es sei noch ein weiter Weg, an der Problematik des Umgangs müsse man ständig arbeiten.

Bis 2010 wurden Beschuldigte einfach versetzt

Bis zum Jahr 2010 seien beschuldigte Kleriker in andere Gemeinden oder Bistümer versetzt worden. Unterstützt oder begleitet habe man Betroffene von sexualisierter Gewalt nicht. Auch habe das Bistum nicht versucht, weitere betroffene Personen ausfindig zu machen, war das klare Bekenntnis. Ab dem Jahr 2010 beginne mit der öffentlichen Diskussion über den Missbrauchsskandal und den Amtsantritt von Bischof Overbeck in Essen ein hartes Durchgreifen gegenüber beschuldigten Klerikern, steht in der Studie. Ein Konzept für den Umgang mit straffälligen Gottesmännern aber ist noch nicht vorhanden.

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Es sei auch ein Trugschluss gewesen, dass mit der Versetzung der Priester der Fall für betroffene Gemeinden erledigt sei. „Nein, solche Taten wirken in den Kirchengemeinden noch Jahrzehnte weiter“, ist die Erkenntnis. Das Bistum habe seine Informationsaufgaben gegenüber den betroffenen Gemeinden in fahrlässiger Wiese vernachlässigt. Das besagt die Studie.

Nachfragen zu Vorwürfen in Duisburg

Auch die Priesterausbildung steht in der Kritik. Dort würden soziale und emotionale Bewährungserfahrungen jungen Männern vorenthalten. Sie hätten ein „undifferenziertes Verständnis von Sexualität, Homosexualität, Zölibat(-Verstoß) und sexualisierter Gewalt“.

Viele Zuhörer beteiligten sich mit ausgesprochen deutlichen Worten an der Diskussion, die nach über einer Stunde begann.

Konfrontiert wurde Klaus Pfeffer mit Vorwürfen, warum das Bistum nicht aktiv wurde, nachdem Gemeindemitglieder schon 2013 auf „grenzverletzendes Verhalten“ des Duisburger Stadtdechanten aufmerksam gemacht hätten. Auch später sei Vorwürfen nicht nachgegangen worden.

„2013 gab es noch keine Interventionsstelle, aber natürlich ist es ein fatales Versäumnis“, räumte Pfeffer ein. „Hätte, hätte – nachher ist man immer schlauer. Natürlich hätten wir aus heutiger Sicht viel früher eingreifen müssen.“ Man habe alle Unterlagen der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt.

Wie unsere Zeitung berichtete, hatten sich vorher allerdings die Betroffenen selbst an die Staatsanwaltschaft gewendet.

Missbrauchsopfer aus Bottrop zu grenzverletzendem Verhalten

Beim Thema „Sexualisierte Grenzverletzungen“ meldete sich Markus Elstner zu Wort, der zu der Veranstaltung eingeladen war. Der Bottroper war als Zwölfjähriger immer wieder von einem Priester missbraucht worden. Elstner gründete die Selbsthilfegruppe „Wegweiser“ und berichtete, dass die Traumatisierung sein ganzes Leben zerstört hat und er sich seit zehn Jahren für Missbrauchsopfer einsetzt, die sich jederzeit an ihn wenden können.

Auch mit der katholischen Kirche arbeitet er die fatalen vergangenen Jahrzehnte auf, setzt sich dafür ein, dass endlich angemessene Entschädigungen gezahlt werden. Zu grenzverletzendem Verhalten fand Elstner deutliche Worte. „Natürlich muss die Kirche schon in dem Stadium reagieren. Denn: Wann ist denn die Grenze überschritten, wann fängt Missbrauch an?“ Er bekam viel Zustimmung durch die Besucher.