Duisburg. Der Duisburger Pfarrer und Stadtdechant Roland Winkelmann ist beurlaubt: Ihm wird „grenzverletzendes Verhalten“ vorgeworfen. Die Details.

Der Duisburger Pfarrer und Stadtdechant Roland Winkelmann ist von seinen Ämtern befristet freigestellt worden. Bischof Overbeck habe dem Wunsch des Pfarrers entsprochen. Das teilte das Bistum Essen am Freitag mit. Damit steht die Großgemeinde Süd mit sieben Kirchorten von Serm bis Bissingheim erst mal ohne Pfarrer da, und für das Duisburger Stadtdekanat muss eine Vertretung gefunden werden.

Vorangegangen sind dieser Entscheidung Rechercheanfragen dieser Redaktion, weil es verschiedene Hinweise gab auf einen Bezug Winkelmanns zum Gutachten über Fälle sexuellen Missbrauchs, das das Bistum Essen kürzlich veröffentlicht hat.

Das Bistum betont, dass das staatsanwaltliche wie auch das kirchenrechtliche Ermittlungsverfahren keine Hinweise auf strafbare Handlungen ergeben hatten.

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Dennoch sind „grenzverletzende Vorfälle“ aus den Jahren 2013 und 2021, die Winkelmann angelastet werden, Teil des Gutachtens. Die Wissenschaftler nutzen sie als Beispiel dafür, wie Verantwortliche im Bistum mit Problemsituationen umgehen, wo sie versagt haben und wie es besser laufen müsste.

Entscheidung über die Zukunft des Stadtdechanten liegt nun in Rom

Winkelmann ist gebürtiger Duisburger, nach dem Studium und Stationen in Essen und Gladbeck war der heute 59-Jährige zunächst Pfarrer an St. Michael in Wanheimerort. Seit 2000 war er zuständig für die beiden Gemeinden St. Dionysius in Mündelheim/Serm und St. Stephanus in Ungelsheim/Hüttenheim. Seit 2009 ist er Pfarrer der Großgemeinde St. Judas Thaddäus in Duisburg-Süd und seit 2018 zudem Stadtdechant.

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Auf Nachfrage erklärt Winkelmann, dass er sich zu einem schwebenden Verfahren nicht äußern wolle, sein Verfahren liege „dem vatikanischen Dikasterium für die Glaubenslehre zur Prüfung vor“. In einem Interview mit der Rheinischen Post hatte er sich kürzlich jedoch zum Gutachten geäußert:

„Als Mitglied in der Kirche und als Pfarrer machen mich diese Missbrauchsfälle und auch der Versuch ihrer Vertuschung bis auf Bischofsebene fassungslos. Mir tut auch das Misstrauen, dass uns Priestern bisweilen pauschal entgegengebracht wird, weh. Ich bin deshalb vielleicht noch zurückhaltender als es vielleicht angebracht ist, wenn ich beispielsweise Kindergärten besuche und die Kinder in ihrer Unbefangenheit zu mir kommen.“

Und weiter: „Wichtig und gut finde ich auch, wie unser Bischof Overbeck mit dem Missbrauchsskandal umgeht: Da wird alles beim Namen genannt, nichts wird vertuscht, und es werden auch die nötigen Konsequenzen gegen diejenigen gezogen, die sich schuldig gemacht haben.“

Gutachten dokumentiert „Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ im Bistum

Das sehen die Wissenschaftler gänzlich anders. Zwar ist der Fall pseudonymisiert, aus sicherer Quelle wurde unserer Redaktion der Bezug zu Winkelmann aber bestätigt. Er dokumentiere die „Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit“, denn das Bistum verändere sich im Bereich Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt, habe hier aber dennoch nicht entschieden genug eingegriffen, kritisieren die Forscher.

Demnach gab es eine erste Meldung zu grenzverletzendem Verhalten 2013. Zwei Messdiener hatten sich beschwert, weil sie sich „bedrängt“ fühlten vom Pfarrer. Er habe zwei Jungen zu sich nach Hause eingeladen, Alkohol angeboten. Es wird von Briefen auf Pfarramtspapier berichtet, die „sehr persönliche, emotionale und sexualisierte Äußerungen enthielten“.

Ein weiterer Messdiener berichtete ebenfalls von „häufigem unangemessenem Verhalten“ des nicht immer nüchternen Pfarrers.

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Kirchenrechtler: Vorgänge „gravierend, aber nicht strafrechtlich relevant“

Der Vorgang sollte dem Personaldezernenten vorgelegt werden. Laut Studie erklärte ein Kirchenrechtler, dass die Vorgänge „gravierend“ seien, aber nicht strafrechtlich relevant. Sie wurden als Personalsache betrachtet, nicht als Missbrauchsfall, tauchen deshalb auch in keiner Liste oder Akte zu beschuldigten Pfarrern auf.

Vereinbart wurde, dass sich der Pfarrer ärztlich untersuchen lassen solle mit Blick auf eine Suchtgefährdung. Er solle sich im persönlichen Kontakt mit Jugendlichen zurückhalten, sie nicht allein treffen, nicht mehr an Freizeitmaßnahmen teilnehmen. Bei Verstößen gegen die Vereinbarung wären weitere Schritte bis zur Amtsenthebung möglich. „Ob die Einhaltung der Vereinbarung … jemals überprüft wurde, ist unklar“, schreiben die Autoren der Studie.

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2021 haben sich zwei junge Männer erneut an das Bistum gewandt, weil der Pfarrer durch „grenzverletzendes Verhalten“ auffalle. Dabei ging es um Berührungen an der Schulter, aber auch um eine bedrängende Situation in der Sakristei.

Von anderen Messdienern sei berichtet worden, dass der Pfarrer nächtliche Nachrichten schicke, die doppeldeutig seien und mit Kuss-Smileys versehen waren. Im Frühjahr 2022 fragten die beiden Melder, warum das Bistum die Meldung nicht verfolge. Der Interventionsstab des Bistums empfahl daraufhin, in der Sache mit mehr Nachdruck voranzugehen und Bischof Overbeck beauftragte eine kirchenrechtliche Voruntersuchung. Im Mai 2022 kommt man zu dem Ergebnis, „dass keine Voraussetzungen zur Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens vorliegen“.

Nach Untätigkeit des Bistums wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet

Laut Studie habe sich auf Intervention der Melder ein Kirchenrechtler aus einem anderen Bistum mit eingeschaltet, der zu transparenten Maßnahmen riet. Bischof Overbeck habe daraufhin ein Dekret, das er verfügt hatte und das darauf abzielte, den Pfarrer „zu disziplinieren, etwa durch Coaching und geistliche Begleitung“, nicht unterzeichnet. Der Melder hatte inzwischen auch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, woraufhin das Bistum alle Akten übergab und abwartete.

Das Katholische Stadthaus am Wieberplatz in Duisburg braucht jetzt vertretungsweise einen neuen Stadtdechanten. (Archivbild)
Das Katholische Stadthaus am Wieberplatz in Duisburg braucht jetzt vertretungsweise einen neuen Stadtdechanten. (Archivbild) © Tanja Pickartz / far

Die Staatsanwaltschaft, die sich auf Nachfrage nicht zum Fall äußern wollte, hat nach Angaben des Bistums keine strafbare Handlung erkannt und das Ermittlungsverfahren im Februar 2023 eingestellt. Daraufhin sei der Fall zur Glaubenskongregation nach Rom geschickt worden mit der Bitte um einen Beschluss, heißt es aus dem Bistum.

„Das alte Muster der Bagatellisierung von Meldungen“

Die Forscher selbst sagen, dass bei dem Vorgang erkennbar sei, dass die handelnden Personen dem „alten Reflex“ gehorcht und zum Schutz der Institution und des Täters agiert hätten. Im Umgang mit Betroffenen seien die Bistumsmitarbeitenden „verunsichert“, „hin und hergerissen zwischen der Loyalität zum Priester und dem Anspruch, betroffenenorientiert zu handeln“, „greifen auf das alte Muster der Bagatellisierung von Meldungen zurück“. Dazu gehöre auch, dass sie erst wieder reagieren, „wenn externe Autoritäten ins Spiel gebracht werden“, heißt es in der Studie.

Die Autoren empfehlen eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit klerikaler Macht. Öffentliches Bedauern, finanzielle Leistungen an Betroffene oder Präventionskonzepte seien nicht ausreichend, weil sie auf Symptome einer Fehlentwicklung abzielen, sich aber nicht grundsätzlich mit dem Weiheamt auseinandersetzen.

Unterstützung von Bottroper Missbrauchsopfer

In den Duisburger Fall ist auch Markus Elstner involviert. Er wurde in Bottrop mehrfach von einem katholischen Pfarrer missbraucht, brachte diesen vor Gericht. Elstner zeigte Gesicht und wurde eines der prominenten Missbrauchsopfer, wohl deshalb haben ihn die betroffenen Duisburger kontaktiert und um Hilfe gebeten.

Während die Melder selbst sich wieder zurückgezogen haben, sagt Elstner zum konkreten Fall: Ein „Pfarrer hat einen Messdiener nicht anzupacken und auch nicht mit Alkohol zu versorgen.“ Seiner Meinung nach könne ein solches Verhalten nicht toleriert werden. Deshalb unterstützte er dabei, den Fall im Bistum nicht ruhen zu lassen.

>> STUDIE ZUR AUFARBEITUNG SEXUELLEN MISSBRAUCHS IM BISTUM ESSEN

  • Das Institut für Praxisforschung und Projektberatung München hat zu sexuellen Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt etwa an der Odenwaldschule geforscht.
  • Bei der sozialwissenschaftlichen Studie für das Bistum Essen wurden alle bisher bekannten Missbrauchsfälle seit 1958 (dem Jahr der Bistumsgründung) untersucht.
  • In der Analyse sollten Täterstrategien, Vertuschungsmechanismen und Risikokonstellationen analysiert werden. Ziel ist, Erkenntnisse für die künftige Präventionsarbeit zu ziehen.
  • Die Studie kann nachgelesen werden auf der Webseite des Bistums Essen.