Duisburg. Der Kampf gegen die Clan-Kriminalität ist in Duisburg ein Marathonlauf. Wie die Sonderermittler arbeiten und was sie über die Bosse wissen.
Knapp fünf Jahre arbeiten die Staatsanwälte vor Ort gemeinsam mit Polizei, Zoll, Ausländerbehörde, Steuerfahndung und Jobcenter und anderen Ämtern daran, die Stadt sicherer zu machen. Gerade erst sind die Netzwerkpartner in Bordellen und im Straßenverkehr wieder gegen organisierte Kriminalität in Duisburg vorgegangen.
Allein im vergangenen Jahr gab es 760 Verfahren im gesamten Bezirk, 424 davon in Duisburg. Der Leiter der Abteilung, Oberstaatsanwalt Nils Wille ist zufrieden: „Das Konzept ist aufgegangen, die zwei weiteren Stellen im vergangenen Jahr haben sich schon jetzt bewährt.“
Was macht den Erfolg der Staatsanwälte vor Ort aus?
Wille: Die Fallzahlen steigen weiter an, wir haben eine hohe Anklagequote. Das ist eine Besonderheit dieses Dezernats und dieser konzentrierten täterorientierten Arbeit: Viele Verfahren werden gebündelt und mit Anklageerhebungen oder Strafbefehlsanträgen zum Abschluss gebracht.
Wie viele Clan-Familien beobachten Sie?
Insgesamt sind es ungefähr hundert relevante Familien, 75 in Duisburg, 25 im Raum Oberhausen, Mülheim und dem Kreis Wesel. Dabei handelt es sich zum Teil um arabisch-libanesischstämmige Clans. Die hierarchisch-patriarchalische Familienstruktur gibt es aber auch bei bulgarischen und türkischen Familien. Deshalb haben wir unsere Arbeit ausgeweitet.
Bei der Schießerei am Hamborner Altmarkt sind die beiden Clanfamilien Sado und Demir beteiligt gewesen, außerdem Mitglieder der Hells Angels. Welche Verbindungen gibt es da?
Mit der Schießerei am Hamborner Altmarkt haben wir in Duisburg eine neue Eskalationsstufe erreicht. Dass da mit scharfen Waffen 30 Schüsse abgegeben werden, ist ja nicht alltäglich. Seither ist auch nichts vergleichbares mehr passiert. Das wird so für Duisburg, glaube ich, erst mal einmalig bleiben.
Das Verfahren wird in der für Rockerkriminalität zuständigen Sonderabteilung unserer Behörde geführt. Aber es gibt einzelne Personen aus Familien-Clans, die Rockergruppierungen nahestehen. Viele Erkenntnisse aus diesem Verfahren sind für unsere Ermittlungen in anderen Verfahren relevant, das gilt auch umgekehrt.
In Duisburg werden immer mal wieder Schrottimmobilien für unbewohnbar erklärt. Gibt es Zusammenhänge mit Clan-Kriminalität?
Einzelne Familien aus unserem Zuständigkeitsbereich verfügen über Immobilien in Duisburg und Umgebung. Ziel unserer Ermittlungen ist eher, woher das Geld dafür kommt. Ist es legal verdient oder ein Produkt von Geldwäsche, das mit dem Hauserwerb legalisiert werden soll?
Und wie können Sie das überprüfen? Schauen Sie auf die Bankkonten?
Ja, grundsätzlich können wir bei einem Anfangsverdacht jede Bank um Auskunft ersuchen. Sie benennen Kontobesitzer, Verfügungsberechtigte, Kontobewegungen. Durch die enge Netzwerkarbeit können wir weitere Erkenntnisse mit den übrigen Behörden austauschen. So konnten in der Vergangenheit Versicherungs- und Sozialleistungsbetrüge aufgedeckt werden.
Zu Beginn des Projekts Staatsanwälte vor Ort gab es öffentlichkeitswirksame Aktionen vor dem Jobcenter. Menschen im Sozialhilfebezug fuhren mit dicken Autos vor, die dann kassiert wurden. Wie erfolgreich ist so was?
Das war vor meiner Zeit. Der Erfolg war nicht so groß, weil nicht zu belegen war, dass die Fahrer, die im Leistungsbezug stehen, das Auto dauerhaft nutzen. Sie waren weder Eigentümer noch Halter und sagten, dass sie nur „leihweise“ damit unterwegs seien. Die meisten Fahrzeuge mussten daher zurückgegeben werden.
Ihre Gegner sind also sehr ausgebufft.
Die Familien sind gut vernetzt. Sie wissen, wie sie Eigentum verschleiern müssen. Unser Schwerpunkt ist, an die Hinterleute zu kommen. Es besteht der begründete Verdacht, dass junge Familienangehörige vorgeschickt werden, weil Strafen bei ihnen geringer ausfallen. Die Patriarchen selbst machen sich die Hände nicht schmutzig.
Sind Ihnen besondere Fälle aus der letzten Zeit in Erinnerung?
Es sind Verstöße, die die ganze Bandbreite des Strafgesetzbuchs abdecken: Verstöße gegen das Waffengesetz, gegen das Betäubungsmittelgesetz, aber auch den Bereich der Wirtschaftskriminalität haben wir als einen weiteren Schwerpunkt ausmachen können, also Geldwäsche, Steuerhinterziehung. Straftaten in der Öffentlichkeit sind zurückgegangen, sie konnten durch die konsequente Arbeit und Präsenz zurückgedrängt werden. Uns gibt es ja unter anderem, weil es vor einigen Jahren häufiger Tumultlagen gab, Schlägereien, Jugendbanden waren auf den Straßen unterwegs, die Bürgerschaft fühlte sich unsicher. Diese Phänomene sind zurückgegangen und das kann man als Erfolg der engen Netzwerkarbeit bezeichnen.
Wie wichtig sind Informanten für ihre Arbeit?
Im Clanbereich gibt es ähnlich wie bei der Mafia eine Omertà, ein Schweigegelübde. Es ist niemand bereit, mit Polizei oder Staatsanwaltschaft zu kooperieren. In den Familien werden sämtliche Regeln des deutschen Rechtsstaats abgelehnt. Man hat seinen eigenen Friedensrichter, der alles regelt. Verdeckte Maßnahmen sind extrem schwierig. Von außen wird niemand in die Familien hineingelassen. Bei Rockern gibt es Einblicke durch Aussteiger oder Ehemalige. Bei den Clans kommt das kaum vor.
Welche Möglichkeiten haben sie dann?
Schlüssel sind für uns die Strukturerkenntnisse. Sämtliche Personen, die bei Kontrollen auffallen, werden in Berichten zusammengefasst und ergänzt mit Erkenntnissen der Netzwerkpartner. Wer hält sich mit wem wo auf, sitzt mit wem wo im Auto. Diese gebündelte Kenntnis bringt uns weiter.
Wissen Sie, wo die Zentralen der Familien sind?
Objekte wie die Clanvilla in Leverkusen sind uns bisher aber nicht untergekommen. Die oberen Ebenen residieren abgeschirmt, die Häuser sind eingezäunt, kameraüberwacht. Wir haben einzelne Objekte bei Durchsuchungen begangen. Da lebten aber eher untergeordnete Familienangehörige – oder die Häuser waren vermietet.
An die Patriarchen sind sie bislang nicht herangekommen?
Nein, das ist aber weiterhin das Ziel. Unser früherer Landesjustizminister Peter Biesenbach hat von einem Hochhaus gesprochen. Um in dem Bild zu bleiben, sind wir vielleicht in der 6. oder 7. von zehn Etagen angekommen, aber das obere Drittel fehlt uns noch. Wir brauchen einen langen Atem.
Wie gefährlich ist die Arbeit der Staatsanwälte? Können Sie anonym bleiben?
Die grundsätzliche Gefährdung der Strafverfolger ist gleich. Das Problem hat jeder Polizist, jeder Ermittler. Die Besonderheit im Clanbereich oder bei Rocker- und Mafiaverfahren ist, dass da mit anderen Mitteln Druck ausgeübt wird und so eine abstrakte Gefahr besteht. Bei den Sonderstaatsanwälten ist noch keiner persönlich in den Fokus der Beschuldigten gekommen. Anonym bleiben sie nicht. Sobald Beschuldigte und ihre Anwälte Akteneinsicht haben, sehen sie die Namen der ermittelnden Staatsanwälte. Im Prozess sitzen sie sich auch persönlich gegenüber.
Wie sieht ein normaler Arbeitstag aus?
Die Staatsanwälte bearbeiten die Akten für ihre eigenen Verfahren. Wird gegen ein Clanmitglied ermittelt, schauen sie, ob noch mehr gegen ihn vorliegt und es weitere Ermittlungsverfahren - auch bei anderen Behörden – gibt, die zusammengeführt werden können. Nach Möglichkeit werden alle Verfahren gebündelt, und im Falle hinreichenden Tatverdachts zur Anklage gebracht, dadurch kommen höhere Strafen zusammen, die bei ausländischen Mitbürgern auch eine Ausweisung möglich machen. Die Staatsanwälte vor Ort arbeiten aber auch fallunabhängig. Bei Netzwerkkonferenzen werden Erkenntnisse ausgetauscht über einzelne Clanmitglieder, die beobachtet werden. Wir begleiten auch Razzien und Kontrollen, in Person oder durch eine Rufbereitschaft, und können unmittelbar reagieren, wenn eine strafprozessuale Maßnahme notwendig wird. Wir können so richterliche Durchsuchungsbeschlüsse erwirken, wenn zum Beispiel nach dem Fund illegaler Glücksspielautomaten weitere Gebäudeteile wie Garagen oder Lager, nahelegen, dass da auch was zu finden ist. Bei Gefahr in Verzug und abends nach 21 Uhr ordnen wir solche Maßnahmen selbst an. Zuletzt war ein Dezernent bei Durchsuchungsmaßnahmen in Berlin zugegen.
Vor Ort heißt also nicht in Marxloh?
Genau, der Vorstellung, dass die Staatsanwälte auf der Weseler Straße patrouillieren, sind wir sofort entgegengetreten. Wir sind da, wo es nötig ist. Dem Vorwurf, dass unsere Arbeit „Racial Profiling“ oder diskriminierend ist, sich also allein auf äußere Merkmale von Tatverdächtigen stützt, können wir einfach begegnen: Wir schreiten erst dann ein, wenn Straftaten begangen wurden. Uns interessiert nicht per se der Clan-Angehörige.
Sie sagen, dass Drogendelikte zunehmen. Welche Rolle spielt da der Duisburger Hafen?
Wenn Betäubungsmittel nach Duisburg kommen, dann eher über holländische und belgische Häfen und dann über den Landweg. Für den Clanbereich ist der Hafen kein Tatort. Die relevanten Hinweise ergeben sich aus der Vielzahl von Kontrollen und Durchsuchungen. In einer Wohnung entdeckten wir eine kleine Marihuana-Plantage, durch weitere Ermittlungen fanden wir in einer angemieteten Halle noch eine große Plantage.
Die Ergebnisse, die manche Razzien liefern, wirken auf den Laien überschaubar. Als zum Beispiel der Innenminister eine Aktion begleitet hat, wurden eine Handvoll Glücksspielautomaten abtransportiert. Stehen da Aufwand und Ertrag im Verhältnis?
Was wir da insgesamt an Erkenntnissen gewonnen haben, bringt uns sehr viel. Auch bei den Autokontrollen geht es nicht um den einen Schlagstock oder um zehn Gramm Marihuana. Uns geht es darum, wem gehört das Auto, wer sitzt drin. Wenn beispielsweise ein Rocker das Auto fährt und daneben ein Clanangehöriger sitzt, dann zeigt das, die agieren miteinander. Am Hamborner Altmarkt waren Menschen aus diesen Szenen beteiligt. Solche Erkenntnisse sind uns wichtig. Uns geht es nicht um die Bilanz des Tages. Uns geht es um den Beobachtungs- und Feststellungsbericht als wichtiges Element unserer Taktik.
Und wie werden die Erkenntnisse miteinander verknüpft? Gibt es dafür Programme, eine Künstliche Intelligenz?
Nein, die vier Staatsanwälte haben das meiste im Kopf. Sie kennen sich in den Clanfamilien aus. Würden Wechsel stattfinden, müssten wir einen Wissenstransfer gewährleisten. Manches wird verschriftlicht, manches in den Verfahren dokumentiert. Ein Beispiel: Im Rahmen einer gerichtlichen Hauptverhandlung sagte ein inhaftierter Angeklagter, der auf freien Fuß kommen wollte, dass er eine Wohnung angemietet habe, um da mit seiner Lebenspartnerin zusammenzuziehen. Unser Staatsanwalt wusste aber aus einem anderen Verfahren, dass er mit einer anderen Dame ein Kind erwartet. Daher ist er der Außerkraftsetzung des Haftbefehls entgegengetreten. Wäre ein anderer Dezernent da gewesen, hätte er diese Information nicht gehabt. Die im Zuschauerbereich sitzende Frau hat jedenfalls sehr entsetzt geguckt, wurde mir hinterher berichtet. Und der Mann blieb in Haft.
Gibt es Pläne, das Wissen besser greifbar zu machen?
Die Justiz hängt weit hinterher, was die technische Ausstattung betrifft. Die Pandemie hat zumindest insoweit geholfen, dass wir Laptops haben und mobil arbeiten können. Das ist der einzige technische Fortschritt, den wir begrüßen können, alles andere steckt leider weiterhin in den Kinderschuhen.
>>STAATSANWÄLTE VOR ORT
- Das Projekt Staatsanwälte vor Ort gibt es im Sommer fünf Jahre.
- Oberstaatsanwalt Nils Wille leitet es seit zwei Jahren. Der 45-Jährige ist seit 2020 in Duisburg, davor war er als Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf beschäftigt.