Essen. Machtmissbrauch, Männerbünde und Kinder, die im Stich gelassen wurden. Das steht in der neuen Missbrauchs-Studie im Bistum Essen.

Geschlossene Männerbünde, systemisches Vertuschen und Strukturen, die sogar extreme Täterkarrieren begünstigen: So lautet das Ergebnis einer neuen Studie zum Thema Missbrauch im Bistum Essen. Als erstes katholisches Bistum in Deutschland hat Essen das Thema mit sozialwissenschaftlichen Methoden untersuchen lassen.

Das Münchener Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) hat auf der Datenbasis unter anderem der ersten Essener Missbrauchsstudie von 2017 erforscht, welche strukturellen und systemischen Bedingungen sexuelle Gewalt im Bistum Essen begünstigt haben und bis heute begünstigen. Erstmals überhaupt in Deutschland waren auch Betroffene zur Mitarbeit und zur Präsentation der Studie eingeladen. „Ich will, dass andere ermutigt werden, sich zu melden “, berichtet Stephan Bertram, 59, der in Bottrop vom damaligen Priester H. missbraucht wurde, einem Mehrfach-Intensivtäter, der später ins Erzbistum München versetzt wurde, wo er weitermachte.

Unvorstellbare Wucht

Johannes Norpoth, ebenfalls Betroffener im Bistum Essen und Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz: „Das vorliegende Gutachten zeigt durch den Ansatz der fallbezogenen und gemeindeorientierten Analyse die unvorstellbare Breite und Wucht der Auswirkungen von sexualisierter Gewalt für alle beteiligten Akteure, aber auch die vielen Facetten von Verantwortung für die Missbrauchstaten.“

Erstmals untersucht eine Studie die Auswirkungen des Missbrauchs auf die Gemeinden. „Es gibt kein Konzept für den Umgang mit straffälligen Klerikern“, stellt Helga Dill vom IPP fest. Und: „Die Belastungen für die Gemeinden halten jahrzehntelang nach dem Aufdeckungsmoment an, Schweigen, Verdrängung Bagatellisierung, Leugnung, Schuldumkehr, soziale Ausgrenzung gegenüber den Betroffenen.“ Dies sei der mangelhaften Informationspolitik des Bistums geschuldet.

Abscheuliche Taten

Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck redet nicht von Scham oder Reue wie viele Amtskollegen, sondern findet deutliche Worte: „Die abscheulichen Taten von Priestern wurden vertuscht, klein geredet oder durch Versetzungen und Lügen verheimlicht. Dadurch wurde den vielen Betroffenen großes Unrecht angetan. Zudem wurde vielfach auch nicht verhindert, dass sich diese Täter weitere Opfer suchen konnten. All dies war möglich, weil die Zusammenarbeit in unserer Bistumsverwaltung von Machtfragen, fehlenden Absprachen, mangelnder Offenheit und lange Zeit von der Vorstellung geprägt war, dass zuallererst die Kirche und ihre Priester zu schützen seien.“

Das Bistum Essen zieht erste Konsequenzen aus der Studie. Ein Personalgremium, das mit Männern, Frauen, Klerikern und Laien multiprofessionell besetzt wird, berät künftig den Bischof.