Duisburg. Die Weihnachtszeit ist auch für Häftlinge eine besondere Zeit. Welche Probleme dann im Knast entstehen und wie es trotzdem besinnlich wird.

Sechs stählerne Türen liegen zwischen den Zellen und einem Hauch von Weihnachtsgefühl. Justizvollzugsbeamte bahnen den Gefangenen mit großen Schlüsseln den Weg zur Gefängniskirche, zum geschmückten Weihnachtsbaum, zu kleinen Präsenten und Gesang.

In der Justizvollzugsanstalt Hamborn werden an Heilig Abend 186 Männer einsitzen, manche von ihnen nur einen Steinwurf von der Familie oder dem Lieblings-Dönerladen entfernt – und trotzdem unerreichbar. Gefängnis-Seelsorger Hauke Faust hat an diesen Tagen ein besonderes Augenmerk auf seine Gemeinde auf Zeit.

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Der Weihnachtsbaum im Knast ist mit Plastikkugeln geschmückt

Mit ein paar Gefangenen hat er einen mannshohen Tannenbaum geschmückt. Der evangelische Pfarrer lässt eine der Kugeln zu Boden fallen. Wie ein Flummi titscht sie auf dem Boden auf und kullert dann durch die Kirche. Glaskugeln wären hier ein Sicherheitsrisiko.

Die Kirche ist der größte Raum im Gefängnis, ein Multifunktionsort mit Misereor-Hungertüchern an den Wänden, einem Altar mit dicken Kerzen und Grünpflanzen, die die Gitter in den Fenstern kaum verdecken. Hier halten Beamte Versammlungen ab, lädt der muslimische Seelsorger zum Gebet, wird mit den Spielgruppen auch mal gekickert. Der Orgel in der Ecke fehlt zur Zeit ein Organist, manchmal sitzen Gefangene ein, die Klavier spielen können.

Manche Gefangene leben in einer „furchtbaren Einsamkeit“

„Weihnachten ist auch hier drinnen ein Familienfest mit Hoffnungen, Wünschen und überzogenen Erwartungen“, sagt Faust. Viele Insassen seien in dieser Zeit sehr traurig, aus unterschiedlichsten Gründen: „Da sind die Gefangenen aus einigermaßen intakten Familien mit Kindern, denen die Trennung in diesen Tagen noch schmerzhafter bewusst wird.“ Dann gebe es jene, die keine Familie haben, die vielleicht ihre Jugend im Heim verbrachten und schon viele Jahre im Knast gesessen haben. Beim gemeinsamen Weihnachtskarten schreiben habe einer nicht gewusst, an wen er sich wenden könnte.

Solche Menschen hätten „Kollegen“, mit denen man Drogen teilen könne, aber eine zerbrochene Familie, einen Mangel an Freundschaften gleiche das nicht aus: „Eine so furchtbare Einsamkeit, wenn jemand gar keine verlässlichen Bindungen hat, das macht mich sprachlos“, bekennt der Pfarrer.

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Und greift es dann doch auf für seine Predigten, die sich auch um Angst, Hoffnung, Perspektivlosigkeit oder Liebe drehen. Um seine Zielgruppe zu erreichen, wähle er begleitend gern Popsongs, Hits von Grönemeyer oder Westernhagen bekommen in diesem Kontext einen religiösen Charakter, findet der 61-Jährige.

Die Gefängniskirche, in der Pfarrer Hauke Faust predigt, ist zugleich Multifunktionsraum. Hier werden Versammlungen abgehalten, hier kann man auch kickern oder Darts spielen.
Die Gefängniskirche, in der Pfarrer Hauke Faust predigt, ist zugleich Multifunktionsraum. Hier werden Versammlungen abgehalten, hier kann man auch kickern oder Darts spielen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Seelsorger als Lebensberater

Bei manchen wecke Weihnachten schlimme Erinnerungen, sagt Faust und berichtet von einem Gefangenen, der an den Feiertagen ins Kinderzimmer gesperrt worden sei, weil sich die Eltern betrunken haben. Statt heimeliger Assoziationen hoher Gesprächsbedarf. Insgesamt gehe es im Knast, abgeschottet von der Außenwelt, viel intensiver um die großen Lebensthemen, sagt Faust. Er werde oft als Gesprächspartner, als Lebensberater wahrgenommen. Vertrauen spiele eine große Rolle – und sein Schweigerecht von Amts wegen.

Das Schlimmste sei die Ungewissheit, gerade für Untersuchungshäftlinge. Nach einem Urteil gebe es eine Zahl, eine Zeit, auf die man sich einstellen und mit der man planen könne. Bis dahin „tappen sie im Nebel, sie wissen nicht, was die Polizei weiß, sie wissen nicht, was mit ihrem Arbeitsplatz, der Wohnung, den Möbeln ist“.

Dass sein eigenes Leben anders verlaufen ist, sei Glück, Zufall, „das wenigste im Leben ist verdient“, sagt Faust. Die Menschen in der JVA seien nicht schlechter als andere, „die Taten spiegeln das, was sie erlebt haben“. Vielen gelinge es auch nach der Haft nicht, die Kurve zu kriegen. Manche erleben hinter Gittern richtige Familienzusammenführungen, erzählt Faust, da sitzen Vater und Sohn, Brüder, Cousins oder Onkel und Neffe. Faust sieht darin einen Auftrag für die Gesellschaft.

Angebote des Pfarrers unterliegen Sicherheitsbestimmungen

Für die Gefangenen in Hamborn gibt es auch einen katholischen und einen muslimischen Seelsorger. Die Weihnachtszeit sei für alle da, „das ist hier kein konfessionell-christliches Fest, sondern ein Familienfest“. Die wenigsten seien im engen Sinne religiös, dennoch will Faust allen die Botschaft vermitteln, „dass Gott unser Leben teilen will“. Seine Einladungen zum Reden, Malen, Spielen sind an alle gerichtet – sofern keine Haftbeschränkungen vorliegen, Sicherheitsmaßnahmen dagegen sprechen. So schränken Richter manche Teilhabe ein, weil zwei Insassen Tatgenossen sind und sich vor dem Prozess nicht austauschen dürfen oder weil sie in eine Schlägerei verwickelt waren.

Angebote, die in einer Gemeinde selbstverständlich wären, benötigen im Knast eine sehr genaue Abstimmung, weiß Faust. Transparenz sei das oberste Gebot. Die Haftgründe interessieren ihn allerdings nicht. Erst wenn es darum geht, dass Gefangene ihn um Gefallen bitten wie zusätzliche Telefonate oder Extra-Besuche, dann schaue er genauer auf die Details. Ausnutzen lassen will er sich nicht.

„Wer soll mir denn was tun?“

Hinter massiven Gittertüren wartet die Kirche der JVA Hamborn mit Seelsorger Hauke Faust
Hinter massiven Gittertüren wartet die Kirche der JVA Hamborn mit Seelsorger Hauke Faust © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Hat er nie Angst? Da muss Faust lachen: „Wer soll mir denn was tun?“ Ihm sei in den vielen Jahren noch nie was passiert. Und die Geschichten von Angriffen in Gefängnissen seien „so selten, dass es beinah gar nicht wahr ist“. Vom Pfarrer komme Gutes, Aggressionen richten sich eher gegen andere, ist der Seelsorger sicher, schränkt dann aber ein: Wenn jemand psychisch krank sei, vertraue er auf die Einschätzung der Beamten, was möglich ist. Die Anstaltsleitung vertraut derweil auf die blauen „Hausalarm“-Knöpfe, die in der Kirche und im Büro verteilt sind und für zusätzliche Sicherheit sorgen sollen.

Heilig Morgen wird er nach der Messe in der JVA daheim feiern, mit Mann und Schwester, Schwager, Freunden, Familie. Und mit Geschenken! „Ich finde es doof, wenn Erwachsene sich dazu verabreden, sich nichts zu schenken. Es muss ja nichts teures sein, aber ich finde es wichtig, sich liebevoll Gedanken zu machen.“

So handhabt er es auch mit den Besuchern seines Gottesdienstes. Ihnen schenkt er eine Weihnachtstüte mit Dominosteinen und Lebkuchen, Nüssen und der wichtigsten Ware im Knast: Tabak.

>>DIE JVA HAMBORN

  • In der Justizvollzugsanstalt Hamborn können maximal 241 Menschen gleichzeitig einsitzen. Bei den Gefangenen handelt sich zum einen um Verurteilte, die Kurzstrafen bis zu drei Monaten absitzen müssen, etwa als Ersatzfreiheitsstrafe, weil sie Geldstrafen nicht zahlen können.
  • Zum anderen sitzen hier Männer in Untersuchungshaft. Die Delikte, derer sie beschuldigt werden, decken die ganze Palette des Strafrechts ab. Sie gelten als unschuldig und dürfen deshalb im Knast ihre eigene Bekleidung tragen, manche warten monate-, andere jahrelang auf ein Urteil. Verurteilte Gefangene bekommen die Bekleidung von der JVA.
  • Seelsorger werden von den Kirchen „ausgeliehen“. Nach dem Grundgesetz hat jeder Gefangene das Recht, seine Religion ungestört ausüben zu dürfen. Die Anstaltsleitung bestimmt den Rahmen, in dem die Pfarrer arbeiten können. Die Inhalte verantworten sie selbst.

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