Duisburg. Immer mehr Rentner bekommen Grundsicherung viele von ihnen sind verzweifelt, beobachtet der Seniorenbeirat. Aus dem Leben zweier Betroffener.
Sie spart das ganze Jahr die Weihnachtsgeschenkchen für die Enkel und Urenkel zusammen, er kauft nur noch Unterwäsche und Socken bei Bedarf neu, alles andere an ihm ist Second-Hand. Beide sind über 60 Jahre alt, beide sind von Altersarmut betroffen.
„Das ist ein Tabu-Thema, das wird aus Scham verschwiegen“, beobachtet Reinhard Efkemann. Er ist der Vorsitzende des Seniorenbeirats in Duisburg und hat den Eindruck, dass es immer schlimmer wird, vor allem bei Frauen: „Altersarmut ist weiblich“, sagt der Politiker und nennt die drei K dieser Generation als Grund: Küche, Kinder, Kirche habe die Erwerbsbiografie vieler geprägt. Insbesondere nach Trennungen bleibe am Ende nicht viel übrig. „Es gibt Suiziddrohungen aus Verzweiflung“, berichtet Efkemann.
Auch interessant
Er findet, dass deutsche Rentner im europäischen Vergleich „alt aussehen“, die Mindestrenten seien andernorts höher, in den Niederlanden liegen sie beispielsweise bei 1200 Euro.
[Duisburg-Newsletter gratis abonnieren + Seiten für Duisburg: Stadtseite + Blaulicht-Artikel + MSV + Stadtteile: Nord I Süd I West + Themenseiten: Wohnen & Immobilien I Gastronomie I Zoo]
Fast 6000 Menschen im Rentenalter bekommen Grundsicherung
In Duisburg haben in diesem Jahr mindestens 5923 Menschen im Rentenalter Grundsicherung bekommen, anteilig sind das 1,1 Prozent der Gesamtbevölkerung (499.439). Eine Tabelle, die dem Seniorenbeirat vorgelegt wurde, belegt den hohen Anteil von Frauen: Von den da noch 5451 betroffenen Menschen waren 3139 weiblich. Das gilt auch mit Blick auf die Verteilung über die sieben Stadtbezirke, überall sind Frauen stärker betroffen.
Auch interessant
Die Zahl der Leistungsbezieher ist seit 2017 kontinuierlich gestiegen, damals lag sie nach Angaben der Stadtverwaltung bei 4999 Personen. Tatsächlich dürfte die Zahl jedoch deutlich höher liegen. Die Stadt Duisburg erklärt, dass man bei Leistungsbeziehern nicht nach Grundsicherung im Alter und nach Grundsicherung bei Erwerbsminderung unterscheiden könne. Deshalb könne man die Auswertung nur nach Alter vornehmen. Enthalten sind daher nur Menschen ab 65 Jahren.
Finanziell bedeutet das für die Stadt einen „Sozialtransferaufwand“ von 32.122.793 Millionen Euro (2021 und bis Ende Oktober diesen Jahres lag er bereits bei über 29 Millionen Euro.
Senioren sind auf die Hilfe der Tafel angewiesen
Bei den einzelnen Betroffenen kommt davon nicht so viel an: Die beiden Rentner treffen wir in der Schlange der Duisburger Tafel, wo sie einmal die Woche anstehen, um den Kühlschrank zu füllen.
Er ist 63 Jahre alt und taucht dadurch in der Statistik noch gar nicht auf. Als Maschinenbautechniker hatte er zu Beginn seiner beruflichen Karriere ein gutes Leben, dann wurde er krank. „Ich bin viel gereist, habe gut verdient. Jetzt war ich seit zehn Jahren nicht mehr im Urlaub.“
Insgesamt 890 Euro stehen ihm monatlich zur Verfügung – 446 Euro gehen für die 45 qm große Wohnung weg. Rechnerisch bleiben ihm sieben Euro pro Tag für Lebensmittel. „Das ist zu wenig bei den Preissteigerungen. Wenn ich die Tafel nicht hätte, hätte ich nicht genug“, erzählt er. Und bekennt, dass Kochen nicht sein Talent ist. Wenn es was Warmes sein soll, müssen Dosengerichte reichen. „Ich mach warm.“ Für die Vitamine schneidet er sich Tomaten, Gurken oder Paprika aufs Brot.
Auch interessant
Die Preise für seinen Bedarf hat er im Kopf, für Extras ist kein Geld übrig. Für ein neues Bett besucht er regelmäßig das Kaufhaus der Diakonie. Durch den Bedarf der ukrainischen Geflüchteten, die hier ihre Wohnungen ausstatten, sei der Markt aber wie leer gefegt.
Auch interessant
Sozialticket ist günstiger als das 49-Euro-Ticket
Ist das 49-Euro-Ticket reizvoll? Nein, sagt er, das Sozialticket ist mit 39,80 Euro billiger. Nur das 9-Euro-Ticket im Sommer hat er genutzt, um mal wieder zum Kölner Dom zu kommen.
Das Bürgergeld gefällt ihm gut, „das klingt nicht so abwertend wie Hartz IV, da denkt ja jeder, ich würde gar nicht arbeiten wollen“. 50 Euro mehr im Monat sind für ihn allerdings keine Rettung: „Essen, Trinken, Schlafen, Energie – dafür muss ich mehr Geld haben, als die Erhöhung reinbringt.“
Er kenne einige, die finanziell so knapp dran sind wie er. An den gesellschaftlichen Umständen könne man in so einer Situation auch nichts ändern, „kämpfen geht für viele von uns nicht“.
Die Heizung betreibt er im Energiesparmodus und hält die Balance zwischen Sparen und nicht krank werden. Für Weihnachten versucht er schon lange, etwas zurück zu legen, aber dieses Jahr werde es für kaum mehr als ein paar kleine Aufmerksamkeiten reichen. „Ab dem 25. wird die Luft halt dünn.“ Dankbar ist er über die Hilfe in der Tafel, mit einer Tasche voll mit Brot und Bananen, Joghurt und „Sommer-Pralinen“ zieht er davon. Vorbei an den Wartenden vor dem Tor in Hochfeld.
Seniorin ist zur Schnäppchenjägerin geworden
Dort in der Schlange stehen viele Frauen. Die meisten winken ab, wollen kaum sprechen, nicht mal gesehen werden. Eine von ihnen ist dann doch bereit, zu erzählen: Die 70-Jährige hat drei Kinder zur Welt gebracht und groß gezogen, danach als Reinigungskraft im Krankenhaus gearbeitet. Von 1500 Euro konnte sie gut leben, wenn auch keine großen Sprünge machen.
Jetzt bekommt sie 600 Euro Rente, 115 Euro vom Sozialamt und Grundsicherung – insgesamt rund 800 Euro. Über die Hälfte geht davon für ihre 45 qm große Wohnung drauf. Nach Abzug aller weiteren Kosten bleiben ihr 200 Euro für Lebensmittel, Kleidung, Reparaturen. Für den Friseur reicht es nicht.
„Ich bin eine Schnäppchenjägerin geworden“, erzählt sie. Immer schaut sie die Prospekte durch, hofft auf ein Stück Fleisch im Angebot. Ansonsten kocht, schmort und dünstet sie, was sie bei der Tafel bekommen hat. Für Weihnachten hat sie schon das ganze Jahr Angebote durchstöbert und so Kleinigkeiten für die Enkel und Urenkel ergattert.
„Ich steh doof da“, sagt sie, ihr Leben betrachtend, und freut sich doch über ihre neueste Errungenschaft, eine Bluse für einen Euro. Dass Menschen, die nie gearbeitet haben, monatlich das gleiche haben wie sie, findet sie „sehr ungerecht“. Außerdem: „Kindererziehung ist harte Arbeit, gilt aber kaum was.“
Die Seniorin hat 20 Jahre hauptberuflich die Kinder versorgt. Damals lebte sie noch auf dem Land, wo nur drei mal täglich ein Bus fuhr. Da konnte sie nur gelegentlich auf Bauernhöfen bei der Ernte helfen. Rücklagen entstanden so nicht, „die würde mir das Sozialamt ja auch sofort abziehen“. Vor den Nachzahlungsforderungen für Heizung und Strom graut es ihr jetzt schon, so lange wie möglich bleibt abends das Licht aus, die Heizung auf Stufe 1. Ein kalter Winter werde das. Dann zieht sie mit ihrem Hackenporsche los.
>>BERATUNGSANGEBOTE FÜR SENIORINNEN UND SENIOREN
- Grundsicherung ist eine Sozialhilfeleistung. Die Regelsätze werden jährlich neu festgelegt, sie sollen den Lebensunterhalt decken sowie „angemessene Miet- und Heizungskosten, Warmwasserkosten und ggf. Beträge für die Kranken- und Pflegeversicherung“. Außerdem sind einmalige Beihilfen möglich, etwa für die Erstausstattung einer Wohnung oder für die Anschaffung von orthopädischen Schuhen. Die Stadt Duisburg informiert auf ihrer Webseite unter www.duisburg.de über Grundsicherung im Alter.
- Hilfe gibt es auch beim Beratungstelefon für Seniorinnen und Senioren unter Tel. 0203 - 289 60 80 60.
- Die Caritas berät vor Ort in den Stadtteilen zu Fragen wie Wohnen und Hilfe im Alter, Vollmachten und Betreuung, Schulden oder sozialrechtlichen Problemen. Weitere Infos unter Tel. 0203 295920.
- Die Awo berät in den Begegnungs- und Beratungszentren in schwierigen Lebenssituationen, zum Wohnen im Alter, bei der Freizeitgestaltung oder dem Betreuungsrecht. Infos unter Tel. 0203 3095-600
- Weitere Infos gibt es auch auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.