Duisburg. Nach der harten Kritik von Kinderärzten im Streit um Atteste gibt es den Konter von Schulleitern. Was sie ärgert und woran sie festhalten wollen.

Kinderärzte in Duisburg wollen das Schulgesetz nach eigenen Angaben ab sofort konsequent umsetzten und Schulatteste nur noch in begründeten Einzelfällen ausstellen. Die Entscheidung sei angesichts aktuell proppenvoller Wartezimmer dringlicher denn je. Alles andere bedrohe nach Meinung der Ärzte die Behandlung ernsthaft erkrankter Kinder. Sie hatten zuvor harte Kritik an Schulen geübt. Schulleiter wehren sich dagegen und sind zudem verärgert über den Ton eines Brandbriefes, der sie erreichte. Und: Sie wollen an der Attestpflicht festhalten.

„Ich verwahre mich gegen die Formulierung, dass wir nach Gutdünken Atteste einfordern“, sagt Dr. Wibke Harnischmacher, Schulformsprecherin für die Gymnasien. Es sei Pflicht der Schulen, darauf zu achten, dass Kinder „nicht abhanden kommen“. Wenn ein Kind womöglich medizinisch nicht richtig versorgt ist, müsse ein Arzt hinzugezogen werden.

Schulleiter in Duisburg wollen Ärzte hinzuziehen und sich durch Atteste absichern

Auch interessant

Kürzlich habe es einen Fall gegeben, bei dem die Fehlstunden eines Kindes wie ein Hilferuf waren. Hier gebe es jetzt – nach Einschreiten der Schule, die ein Attest einforderte – psychologische Unterstützung. Harnischmacher beobachtet seit der Pandemie zudem eine gewisse Eigendynamik in den Familien, Kinder würden aus Vorsicht teilweise länger zu Hause gehalten.

Mit den anderen Leitern der Duisburger Gymnasien gebe es einen Konsens: Eltern, für deren Kind ein Attest nötig ist, werde man künftig einen standardisierten Infobrief mitgeben, der als „Begründung“ für die Praxen reichen müsse.

[Duisburg-Newsletter gratis abonnieren + Seiten für Duisburg: Stadtseite + Blaulicht-Artikel + MSV + Stadtteile: Nord I Süd I West + Themenseiten: Wohnen & Immobilien I Gastronomie I Zoo]

.

Auch interessant

Harnischmacher ärgert die Tonalität im Brief der Ärzteschaft: „Nicht nur Kinderärzte haben viel zu tun, das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.“ Sie habe Verständnis für die Nöte der Praxen, aber man dürfe sich nicht gegenseitig das Wasser abgraben. Die Leiterin des Mercator-Gymnasiums setzt darauf, dass sie sich darauf verlassen kann, dass ein Attest nach erfolgter Untersuchung durch einen Arzt erstellt wird und umgekehrt könnten sich die Ärzte darauf verlassen, dass ein Attest nötig ist und nicht „leichtfertig“ verlangt wird.

Schulleiterin Dr. Wibke Harnischmacher vom Mercator-Gymnasium in Duisburg ist verärgert über den Brief der Kinder- und Jugendärzte.
Schulleiterin Dr. Wibke Harnischmacher vom Mercator-Gymnasium in Duisburg ist verärgert über den Brief der Kinder- und Jugendärzte. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Eindruck: Einzelne Praxen stellen „Gefälligkeitsatteste“ aus

Eltern berichten allerdings von Arztpraxen, die nach telefonischer Bestellung ein Attest ausstellen und dafür fünf Euro verlangen. Und dann, so berichtet es Bernd Beckmann von der Gesamtschule Meiderich, gebe es vereinzelt Praxen, „bei denen wir den Eindruck haben, dass Gefälligkeitsatteste ausgestellt werden. Eltern, die uns austricksen wollen, wissen, wo sie hingehen müssen“, glaubt der Schulformsprecher. Manche Ärzte würden die Kinder gar nicht sehen, da würde das Attest gleich vorne am Empfang ausgestellt, mitunter sogar rückdatiert. Er betont, dass es sich um Einzelfälle handele, in denen das „lässig gehandhabt wird“.

Bernd Beckmann, Schulleiter der Gesamtschule Meiderich, glaubt, dass Arztpraxen vereinzelt Gefälligkeitsatteste für Schüler ausstellen.
Bernd Beckmann, Schulleiter der Gesamtschule Meiderich, glaubt, dass Arztpraxen vereinzelt Gefälligkeitsatteste für Schüler ausstellen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Der Schulleiter sieht sich in einem Konflikt zwischen dem gesunden Menschenverstand, angesichts des Infektionsgeschehens überhaupt in ein Wartezimmer zu gehen und der Anforderung, die Schulpflicht zu überwachen. An weiterführenden Schulen verlange das Schulgesetz zumindest für die Abiturprüfung, dass man nur mit einem Attest eine versäumte Klausur nachschreiben darf.

Nachschreibe-Klausuren in der Oberstufe seien „unheimlich aufwendig“, so Beckmann. Da sie länger dauern als eine Schulstunde, müssten Termine und Aufsichtspersonal koordiniert werden, ganz zu schweigen von neuen Fragen und Inhalten. Die Listen sind lang, „wir haben viele Klausur-Ausfälle“, berichtet der Schulformsprecher.

Attest als Mittel gegen Schulabsentismus

Abgesehen davon gibt es an vielen Schulen „Schulabsentismus in nicht unerheblichem Umfang“, sagt Beckmann. Aktuell müssten an seiner Gesamtschule rund 60 der 1300 Kinder und Jugendlichen für jeden verpassten Schultag ein Attest bringen. Sie hätten auffällig hohe Fehlzeiten, die sich auch nach diversen Gesprächen mit Kindern und Eltern nicht verändern würden. Da die Bezirksregierung Bußgelder verhängen kann, muss die Schule alle Anstrengungen, das Kind in den Unterricht zu bekommen, dokumentieren, erklärt der Schulleiter.

Er begründet seine Forderung in diesen Fällen mit Schulgesetz-Paragraf 43, Absatz 2, nachdem man bei „begründetem Zweifel“ ein Attest verlangen kann. Die Alternative sei ein amtsärztliches Gutachten, das dauere aber zu lange. Mit dem Attest könne man Glaubwürdigkeit herstellen, aber auch „nerven. Manche finden es unangenehmer, in die Praxis zu gehen und kommen dann lieber zur Schule.“

Wie ist denn aktuell der Krankenstand an der Schule? „Wir haben auffällig hohe Fehlzeiten“, sagt Beckmann. „Aber das ist wie immer im Winter.“

Auch interessant

Standardisiert nach drei Tagen Attest an Grundschulen?

Auch interessant

Sind denn womöglich Grundschulen die Treiber der Attest-Flut? Angeblich gibt es flächendeckend die Regelung, dass nach drei Tagen ein Attest nötig ist – ähnlich wie im Berufsleben. Dem widerspricht Uta Gottschalk. Die Leiterin der Grundschule Bruckhausen fordert sie nur in begründeten Ausnahme-Fällen ein. „Wenn die Mama sagt, das Kind ist krank, dann ist das Kind krank“, beschreibt sie ihre Grundhaltung. Abgesehen davon verlangen Ärzte Gebühren für die Atteste, „und das könnten sich viele meiner Familien gar nicht leisten“.

Jens-Uwe Hoffmann, Schulformsprecher und Leiter der Fährmann-Grundschule, betont, dass es für die Drei-Tage-Regel „gar keine rechtliche Grundlage gibt, es reicht die schriftliche Erklärung der Eltern“. Es gebe „schon mal Pappenheimer mit so vielen Fehltagen, dass man ein Attest einfordert, aber das ist die Ausnahme“.

>>REGELUNG FÜR ATTESTE AN SCHULEN

  • Schulen halten sich in der täglichen Arbeit an das Schulgesetz und an die Verordnungen über die Bildungsgänge. Atteste dürfen demnach nur „in begründeten Einzelfällen“ verlangt werden.
  • Im Kommentar des Schulministeriums zur Verordnung über den Bildungsgang und die Abiturprüfung in der gymnasialen Oberstufe“ kann man allerdings nachlesen, dass es sich um eine „dauerhafte Verwaltungspraxis“ in den Schulen handele, für alle verpassten Klausuren in der Oberstufe Atteste einzufordern. Ein Gewohnheitsrecht der Schulen also.
  • Ein Oberstufenkoordinator, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, betont zwar, dass man aus Düsseldorf regelmäßig auf die Regelung hingewiesen werde, die Schulaufsicht allerdings auch nicht einschreite, wenn Schulen Atteste einfordern. Das geschehe in dem Wissen, dass man vor einem Verwaltungsgericht mit der Attestpflicht scheitern würde.