Duisburg/Oberhausen. Mordfall Kai M.: Zäh startet die Befragung des Kronzeugen durch die Verteidiger. Fast elf Jahre später soll sich I. an kleinste Details erinnern.
Es wird hitzig, als die Verteidigung bei ihrer Befragung den Kronzeugen ins Visier nimmt. „Wollen Sie mich verarschen?“, blafft I. einmal in Richtung der Anwälte des Mannes, der die Waffe für die tödlichen Schüsse auf Kai M. angereicht haben soll. Der Kronzeuge hat sich wie angekündigt einen Rechtsbeistand besorgt. Am Mittwoch sitzt der an seiner Seite. Und erstmals wird I. im Rocker-Prozess von den Anwälten der Angeklagten befragt. Die zielen auf zwei Punkte: das Gedächtnis des Kronzeugen zu testen und seine Glaubwürdigkeit zumindest in Zweifel zu ziehen.
Um die eigentliche Tat, den Mord an Kai M., geht es dabei nur am Rande. Der Zeuge habe mal gesagt, dass das Opfer eine graue Hose getragen habe, dann war es eine blaue, halten ihm die Verteidiger vor. Das T-Shirt war blau, die Hose grau, korrigiert sich der. An kleinste Details soll sich I. erinnern, fast elf Jahre nach der Tat, die für ihn damals nach eigenen Angaben ein „Ausnahmezustand“ gewesen sei und die ihn noch heute massiv belaste: Wie viele Einschusslöcher habe er in der Plane des Anhängers gezählt, in dem der Hells Angel auf einem Industriegelände in Mönchengladbach erschossen worden war? Wo und wie viele Querschläger schlugen bei einem VW ein, der auf einem Abschleppwagen daneben stand? „Ich versuche mich gerade zu koordinieren“, sagt der Kronzeuge. Wie herum stand der VW auf dem Abschleppwagen? „Ich versuche mich gerade zu koordinieren.“
Der Kronzeuge macht eine Skizze auf ein DIN-A4-Blatt
Wie sah die Zufahrt des Areals aus, auf das Kai M. in einen Hinterhalt gelockt worden und dann von Rocker-Boss Ramin Y. mit 16 Schüssen getötet worden sein soll? Der Kronzeuge macht eine Skizze auf einem DIN-A4-Blatt. „Was braucht man zum Ausschlachten eines Autos?“ Antwort: „Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.“
Nicht immer erschließt sich Beobachtern bei den Fragen, welche Details für die Aufklärung des Falls wirklich relevant sind: An welcher Stelle des Tatwerkzeugs, mit dem der Leichnam zerteilt worden war, klebten noch sterbliche Überreste des Getöteten – auch das will die Verteidigung von dem Kronzeugen wissen. Die Mutter des Opfers, Nebenklägerin im Verfahren, und Angehörige im Publikum zucken zusammen.
„Die Sitzung ist für zehn Minuten unterbrochen, zur Abkühlung der Gemüter“
Es geht an diesem Verhandlungstag vorrangig um I., der zwar von Anfang bis Ende bei der Zerteilung des Getöteten und der Beseitigung von Tatwaffen und Leichnam beteiligt gewesen sein soll, beim eigentlichen Mord aber selbst nicht dabei war. Wovon er denn gelebt habe, als er im Sommer vor der Tat aus dem Gefängnis entlassen worden war? „Autovermietung“, sagt der Kronzeuge. Als die Verteidiger nach konkreten Geschäftsbeziehungen, -modellen und -partnern fragen, springt ihm sein Rechtsbeistand erneut bei. Beide Seiten liefern sich Wortwechsel. Irgendwann wird es dem Vorsitzenden Richter Mario Plein zu bunt: „Die Sitzung ist für zehn Minuten unterbrochen, zur Abkühlung der Gemüter.“ Dann lässt er einen Stapel Akten auf den Tisch knallen.
Die Befragung des Kronzeugen durch die beiden Anwälte entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, denn der war von ebendiesen jahrelang in anderen Verfahren vertreten worden. „Haben Sie Vorstrafen?“ - „Ja, ich bin vorbestraft.“ Da sei mal was mit Urkundenfälschung gewesen, Falschgeld, Fahren ohne Führerschein, für das er vor der Tat für 18 Monate im Gefängnis saß, Körperverletzung wohl auch, „ich kann nicht alles auswendig.“ „Falschaussage oder falsche Verdächtigung?“, fragen die Anwälte. „Ich glaube, ich habe noch nie eine Aussage vor Gericht gemacht“, antwortet der Kronzeuge.
In der Entzugsklinik Urinprobe gefälscht und illegal Handys besessen
I. hat, bevor er sich bei der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung stellte, einen Entzug gemacht. Das war schon bekannt. In der Entzugsklinik hatte er Handys, obwohl das verboten war. Und er hat dort einmal eine Urinprobe gefälscht, auch das räumt er in der Befragung ein. „Aber was hat das mit einem Tötungsdelikt zu tun?!“, schiebt er dann entrüstet noch nach.
„Ich möchte Ihnen nur die Bilder in Erinnerung rufen“, hatte sich der Verteidiger am Mittwoch einmal für seine Fragen gerechtfertigt. „Sie wollen gar nicht wissen, was ich für Bilder im Kopf habe“, entgegnet der Kronzeuge, „seit dieser Nacht schlafe ich keine drei Stunden mehr.“ Die Befragung von I. soll am Freitag fortgesetzt werden.