Duisburg/Oberhausen/Mönchengladbach. Mord, Mordversuch und Strafvereitelung. Sechs angeklagte frühere Hells Angels schweigen vor Gericht. Die Mutter des Opfers ist Nebenklägerin.

Warum musste Kai M. sterben? Eine Antwort auf diese Frage versucht die Fünfte Große Strafkammer in den kommenden Monaten zu finden. Unter großem Medienrummel und unter massiven Sicherheitsvorkehrungen hat am Dienstag am Landgericht Duisburg der Prozess gegen sechs mutmaßliche frühere Mitglieder der Hells Angels wegen Mordes, Mordversuchs und Strafvereitelung begonnen. Reihenweise Mannschaftswagen der Polizei auf dem König-Heinrich-Platz, bewaffnete Beamte im Gericht und im Sitzungssaal, auch die Wachtmeister zeigen massiv Präsenz. Vor Raum 157, in dem verhandelt wird, gibt es eine weitere Sicherheitsschleuse zusätzlich zu der vor dem Haupteingang. Getränke sind im Sitzungssaal verboten. Im und vor dem Gebäude aber bleibt es ruhig.

Wegen der Sicherheitsvorkehrungen und des großen Andrangs startet die Verhandlung erst mit einer kleinen Verspätung. Zum Auftakt im Fall des Mordes an dem früheren Hells Angel Kai M. und einer weiteren blutigen Gewalttat im Rocker-Milieu gibt es gleich einen kurzen Prozess. Beim ersten Verhandlungstag wird wie geplant allein die Anklage verlesen. Nach einer knappen halben Stunde endet der Auftakt im Landgericht am Dienstagmorgen. Dabei bleiben wird es nicht.

Die als Schwurgericht tagende Fünfte Große Strafkammer hat bereits 35 weitere Verhandlungstage bis Anfang 2023 angesetzt. Der Vorsitzende Richter Mario Plein ist Mammut-Verfahren gewöhnt. Er verhandelte schon den Fall des Loveparade-Unglücks.

Mit verhandelt werden beinahe tödliche Schüsse auf einen Bandido

Die in Untersuchungs- oder Strafhaft sitzenden vier Angeklagten – bei zwei der sechs wurde die U-Haft ausgesetzt – feixen, als sie in den Saal geführt werden, winken ins Publikum, wo erkennbar Unterstützer sitzen, spaßen mit den Anwälten. In wechselnder Zusammensetzung sollen sie im Januar 2014 an der Ermordung, Zerteilung und Beseitigung der Leiche des damals 32-Jährigen Kai M. beteiligt gewesen sein. Mit verhandelt werden auch beinahe tödliche Schüsse auf ein zu diesem Zeitpunkt führendes Mitglied der Bandidos und dessen Freundin in Oberhausen-Alstaden. Die beiden waren im November 2013 in ihrem Wagen an einer Ampel von zwei mit Hells Angels besetzten Autos eingekeilt worden. Vier Kugeln trafen den Bandido, zwei verfehlten ihr Ziel. Der Mann überlebte.

Der Prozessauftakt stand unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Auf dem König-Heinrich-Platz zeigt die Polizei Präsenz.
Der Prozessauftakt stand unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Auf dem König-Heinrich-Platz zeigt die Polizei Präsenz. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Warum Kai M. sterben musste? Weil die Rocker ihn für einen „Verräter“ gehalten hätten und die Hells Angels ihre Macht demonstrieren wollten, so skizziert es Staatsanwältin Jill McCuller in ihrer Anklage. Die Schüsse auf den Bandido seien demnach eine Racheaktion gewesen. Vorausgegangen war eine Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern der verfeindeten Rocker-Gruppen im Centro. In Oberhausen konkurrierten damals das Hells Angels-Charter Hellgate und das Bandidos-Chapter Westgate.

Leichenteile des Opfers im Rhein und Rhein-Herne-Kanal versenkt

Leichenteile des Opfers sollen die Rocker im Rhein und im Rhein-Herne-Kanal versenkt haben, wo die Polizei sie Jahre später fand. Klären konnten die Ermittlungsbehörden beide Fälle erst, nachdem ein Kronzeuge ausgepackt hatte.

Der Rheinpreußenhafen in Duisburg-Homberg. Auch hier versuchten die Täter, sterbliche Überreste des ermordeten Kai M. verschwinden zu lassen. Polizeitaucher suchen auf diesem Archivbild nach ihnen.
Der Rheinpreußenhafen in Duisburg-Homberg. Auch hier versuchten die Täter, sterbliche Überreste des ermordeten Kai M. verschwinden zu lassen. Polizeitaucher suchen auf diesem Archivbild nach ihnen. © WAZ FotoPool | Stephan Eickershoff

Dass die Angeklagten zur Aufklärung der Taten beitragen oder ihr Gewissen erleichtern wollen, ist eher nicht zu erwarten. In der Szene wird traditionell eisern geschwiegen. Schon während der laufenden Ermittlungen haben die heute 35 bis 46 Jahre alten Männer keine Angaben gemacht. Auch im Gericht deuten ihre Verteidiger an, dass zunächst keine Einlassungen zu erwarten sind.

Zwei mutmaßliche Haupttäter in beiden Fällen sind weiter flüchtig

Im Gericht nimmt auch Frau M. ihre Maske ab. Die Mutter des Ermordeten hat sich entschieden, den Prozess als Nebenklägerin zu verfolgen. Fast stoisch lässt sie sich mit ihrem Anwalt von den Pressevertretern fotografieren. Immer wieder fixiert sie die Angeklagten. Gefasst bleibt sie auch, als Staatsanwältin McCuller die grausigen Details der Anklage verliest. Sie wolle jeden Verhandlungstag verfolgen, „wenn es um Kai geht“, sagt sie später. Richter Plein aber warnt sie. In zwei Tagen geht der Prozess bereits weiter, dann sind zwei Sachverständige geladen. Beim Vortrag eines Rechtsmediziners könne es sein, dass Fotos des Getöteten im Großformat gezeigt werden müssten, so Plein. „Mein Leben“, entgegnet Frau M. da nur, „ist schon seit achteinhalb Jahren kaputt.“

Es muss sie zusätzlich schmerzen, dass nicht nur der Schütze aus dem Oberhausener Fall nicht im Gerichtssaal sitzt, sondern auch der Mann, der ihren Sohn in Mönchengladbach in einen Hinterhalt gelockt und erschossen haben soll. Mustafa H. und Ramin Y. sind weiter flüchtig.

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