Duisburg/Oberhausen/Mönchengladbach. Im Mordfall Kai M. schildert der Kronzeuge die Beseitigung der Leiche. Für ihn waren die Umstände der Tat im Hells-Angels-Milieu ein Horror-Trip.

Der eine oder andere aufmerksame Beobachter des Prozesses im Mordfall Kai M. dürfte am Mittwochmorgen einen kleinen Schreck nach dem Hören der ersten Nachrichten bekommen haben: Schüsse sind am Bahnhof in Mönchengladbach in der Nacht zuvor im Rocker-Milieu gefallen. In der Stadt, in der ein Großteil der Angeklagten und auch der Kronzeuge ihre Wurzeln haben. Es soll drei Schwerverletzte gegeben haben. Viel mehr wird zunächst nicht bekannt. Aber der Kronzeuge ist wohlauf und er erscheint, erneut begleitet von mehreren Personenschützern, am Mittwochmorgen im wieder gut besuchten Saal 157 des Landgerichts Duisburg. Dort soll er seine Aussage fortsetzen, die er beim vorigen Termin schon nach kurzer Zeit abgebrochen hatte. Sie war mit der Nachricht vom gewaltsamen Tod des damals 32-jährigen Hells Angels geendet, die die mutmaßlichen Mörder dem Kronzeugen überbracht haben sollen.

Einen Rechtsbeistand, um den er sich kümmern wollte, hat der Kronzeuge noch immer nicht, obwohl er sich bei seiner Aussage auch selbst belasten kann. Aber I., im dunklen Louis-Vuitton-Shirt und Jeans, redet wie in Aussicht gestellt dennoch. Stockend mitunter, mit etlichen Pausen. Wie ihm nach dem Mord vom mutmaßlichen Schützen, dem früheren Hells-Angels-Boss und weiter flüchtigen Ramin Y., gedroht worden sein soll: „Denk an dich und deine Familie.“

Kai M. soll im Januar 2014 unter einem Vorwand in einen Anhänger gelockt und dann hinterrücks erschossen worden sein. I. berichtet, wie er auf Geheiß von Y. einen heute ebenfalls angeklagten Kumpel anrief, den er seit Kindertagen kennt, mit dem er erst die Maschinenpistole am Tatort abgeholt und in den Rhein geworfen habe. „Damit fing der ganze Trip erst richtig an.“

Kolonne bringt den Leichnam im Hänger ins Ruhrgebiet

In einer Kolonne habe die Truppe den Leichnam später in der Nacht von Mönchengladbach ins Ruhrgebiet gebracht – und hätte dabei auch auffliegen können. Plötzlich habe sich die Plane am Hänger gelöst und den Blick ins Innere freigegeben. Mit Lichthupen habe auf der Autobahn das hintere Begleitfahrzeug den BMW X6 mit dem Toten hintendran, den Ramin Y. gesteuert haben soll, gewarnt.

Im September 2021 ging die Polizei mit einer großen Razzia gegen Mitglieder der Hells Angels vor. Rund 900 Beamte waren im Einsatz. Hintergrund sind zwei Gewalttaten im Milieu.
Im September 2021 ging die Polizei mit einer großen Razzia gegen Mitglieder der Hells Angels vor. Rund 900 Beamte waren im Einsatz. Hintergrund sind zwei Gewalttaten im Milieu. © dpa (Archiv) | Sascha Rixkens

Im Ruhrgebiet angekommen, habe sich die Truppe gefragt, was sie mit dem Toten machen solle. „Es war eine chaotische Situation“, sagt der Kronzeuge vor Gericht. Wo sind die Rocker da? Das wird nicht ganz klar. In der Anklage war stets die Rede davon, sie seien nach Duisburg gefahren, I. spricht immer von Oberhausen. Der Kronzeuge erklärt, er habe Angst gehabt, der nächste Tote zu sein: „Ich wusste an dem Tag nicht, was ich da verloren hatte, ich dachte, aus dieser Situation kommst du unmöglich raus.“ Ramin Y. habe immer nur gesagt: „Wir sind die Hells Angels. Was soll uns passieren?“ Rund achteinhalb Jahre später sagt der Kronzeuge im Gericht: „Die Hells Angels – das ist ein Pakt mit dem Teufel.“ Selbst Mitglied oder auch nur Anwärter soll er nicht gewesen sein.

Rocker decken sich im Baumarkt mit Werkzeug ein

Schließlich habe sich die Truppe auf einen grausigen Plan geeinigt, den I. so zusammenfasst: Kai M. solle „zerstückelt, einbetoniert, weggemacht“ werden. Der Vorschlag sei von ihm gekommen, räumt der Kronzeuge im Prozess ein, nachdem er den Toten auf dem Gesicht liegend im Hänger gesehen hätte. I. habe sich gesorgt, wegen seiner diversen Vorstrafen wieder ins Gefängnis zu müssen, wenn der Leichnam entdeckt würde. Ursprüngliche Pläne, das Opfer irgendwo einem Wald zu begraben, seien verworfen worden. Die Rocker hätten sich im Baumarkt eingedeckt, Fässer, Handschuhe und Werkzeug gekauft.

Im Rheinpreußenhafen in Duisburg-Homberg war der Torso des Getöteten im Februar 2014 gefunden worden. Angehörige hatten daraufhin eine Gedenkstelle eingerichtet.
Im Rheinpreußenhafen in Duisburg-Homberg war der Torso des Getöteten im Februar 2014 gefunden worden. Angehörige hatten daraufhin eine Gedenkstelle eingerichtet. © Funke Foto Services (Archiv) | Stephan Eickershoff

Als der Kronzeuge erzählt, in welcher Reihenfolge einer der jetzt in Untersuchungshaft sitzenden Angeklagten den Leichnam zerteilt haben soll, hält es die Mutter des Getöteten nicht mehr aus. Die Nebenklägerin verlässt den Gerichtssaal. Weitere Zuschauer aus dem Publikum folgen. Wo das in einer Werkstatt in Bochum geschehen sein soll, ist bis heute nicht geklärt.

Torso des Toten im Rheinpreußenhafen in Duisburg entdeckt

Die Rocker seien auf weitere Probleme gestoßen. Der Torso des Toten habe nicht in ihre Speisfässer gepasst. Sie hätten sich deshalb mit einer Mülltonne beholfen. Weil die durch den aufgegossenen Beton so schwer gewesen sei, hätten sie die zu viert transportiert und in einen Transporter verladen müssen. Wie längst bekannt ist, wurde der Torso später im Rheinpreußenhafen in Duisburg-Homberg entdeckt. Weitere einbetonierte Leichenteile, darunter auch den Schädel des Toten, fand die Polizei nach der Aussage des Kronzeugen bei den Ermittlern im Rhein-Herne-Kanal in Höhe der Brücke der Essen-Steeler-Straße an der Stadtgrenze zwischen Duisburg und Oberhausen. Der heute 43-Jährige hatte sich zuvor freiwillig gemeldet und umfangreich ausgepackt.

„Das ist die Geschichte, die ich erlebt habe“, sagt I., „ich möchte jetzt erstmal Schluss machen, weil mich das so aufwühlt. Ich bitte um Verständnis.“ Der Kronzeuge erklärt auch, dass es ihn belaste, wenn die Mutter des Getöteten anwesend sei: „Es geht um ihren Sohn. Ich bin selber Vater.“ Der Anwalt der Nebenklägerin bietet an, dass sie den Raum verlasse, wenn der Kronzeuge spreche. Die Verhandlung ist mit verspätetem Beginn und Pause, um die I. zwischendurch gebeten hatte, nach anderthalb Stunden wieder beendet. Am Freitag wird der Prozess fortgesetzt. Dass er Anfang Januar 2023, neun Jahre nach dem Tod von Kai M. abgeschlossen sein könnte, scheint schon jetzt unwahrscheinlich.