Duisburg/Oberhausen. Erstmals sagt der Polizei-Kronzeuge im Mordfall Kai M. gegen die angeklagten Mitglieder der Hells Angels aus. Das beginnt mit einer Überraschung.
Siebter Verhandlungstag im Fall Kai M. und bei der mit Spannung erwarteten ersten Aussage des Kronzeugen gibt es schnell einen ersten Paukenschlag. Zur Person gibt der Mann noch bereitwillig Auskunft. 43 Jahre alt sei er, Kaufmann, lebe in Mönchengladbach, sei seit kurzem wieder auf freiem Fuß – er hatte eine mehrjährige Haftstrafe wegen Drogendelikten abgesessen. Dann stockt er ungewöhnlich lange – und bittet darum, dass seine bei der Polizei schriftlich gemachte Aussage vorgelesen werde. Als der Vorsitzende Richter Mario Plein ihm erklärt, dass das aus rechtlichen Gründen nicht gehe, erklärt der Kronzeuge, ohne Anwalt wolle er erstmal nichts weiter sagen – zur großen Verblüffung von rund 70 Prozessbeteiligten, Wachtmeistern, Polizisten und Zuschauern. „Ich habe ja für vieles Verständnis, aber...“, sagt Plein und blickt in die Runde. Die Verteidiger reisen teils aus München an.
Es gibt eine kurze Pause, in der Kronzeuge I. klären soll, ob er schafft, einen Rechtsbeistand zum nächsten Termin am Freitag zu besorgen. Möglicherweise hat ihn die (obligatorische) Rechtsbelehrung von Plein vor dessen Aussage unfreiwillig eingeschüchtert. Er war von Anfang bis Ende bei der Tat dabei, nur bei der eigentlichen Tötung nicht. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn hat die Staatsanwaltschaft eingestellt, aber nur vorläufig. Er könnte sich bei einer Aussage mit allen Konsequenzen also auch selbst belasten und diese daher verweigern. „Ich will mich nur rechtlich absichern“, sagt der Kronzeuge.
Hells Angels sahen in Kai M. einen Verräter
Er bekommt in dieser kurzen Pause keinen Anwalt für Freitag und dann redet er doch. Am vorläufigen Ende seiner Aussage stehen zwei Sätze. Sie fielen, als zwei Männer nach dem mutmaßlichen Mord blutverschmiert bei ihm zuhause in Mönchengladbach auftauchten. „Kai ist gefallen“, soll der auf der Anklagebank sitzende G. gesagt haben, der die Waffe besorgt haben soll. „Der war ,out in bad standing’“, soll der weiter flüchtige Ramin Y. gesagt haben, der das Opfer mit einer Maschinenpistole erschossen haben soll. Der Begriff bedeutet in der Rocker-Sprache soviel wie vogelfrei. Die Hells Angels hatten den damals 32-jährigen Kai M. verdächtigt, ein Verräter zu sein und sollen ihn deshalb in einer Nacht Anfang Januar 2014 in einen Hinterhalt gelockt, getötet und den Leichnam danach zerteilt haben. Die sterblichen Überreste, die Tatwaffe und weitere Gegenstände wurden im Rhein bei Düsseldorf und Duisburg und im Rhein-Herne-Kanal an der Stadtgrenze zwischen Duisburg und und Oberhausen versenkt. Das Opfer konnte davon im Vorfeld nichts ahnen: „Die haben den Jungen seinen eigenen Beton mischen lassen“, erinnert sich der Kronzeuge, „ich habe keine Wörter.“
Der Mönchengladbacher war nach eigenen Angaben im November 2013, knapp drei Monate vor der Tat, auch schon aus dem Gefängnis gekommen, damals wegen Fahrens ohne Führerschein, wie er sagt. Kurz danach sei er wieder in Kontakt geraten zu einigen der Angeklagten, die er teils schon als Heranwachsender gekannt habe. Mitglied bei dem Rocker-Club sei er allerdings nie gewesen, nicht mal Anwärter: „Ich war im Zwiespalt, ob ich in so eine Gruppierung reingehen soll, ich hatte noch nie mit den Hells Angels zu tun gehabt.“
Kronzeuge: Mein Vater starb bei einem Verkehrsunfall
Sein Vater sei im Sommer 2013 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. „Da habe ich den Halt im Leben verloren, ich hatte eine sehr schwere Zeit.“ Kai M., der kurz vor der Tat bei ihm Unterschlupf gefunden haben soll, habe er „als lieben Jungen“ kennengelernt.
Alles, was nach den tödlichen Schüssen kam, will der Kronzeuge zu einem späteren Zeitpunkt erzählen: „Wenn ich dann keinen Anwalt habe, rede ich ohne weiter“, fügt er noch hinzu. Die nächste Gelegenheit dazu besteht am 7. September. Beim Termin am Freitag will die Fünfte Große Strafkammer nur über Formalien beraten. Kurz vor dem Ende der Verhandlung am Mittwoch führen vier Personenschützer, die den Mann begleiten, den 43-Jährigen aus dem Gerichtssaal. Er habe darum gebeten, erklärt eine Vertreterin der Staatsanwaltschaft in der Verhandlung. In einem Zeugenschutzprogramm befinde sich der Kronzeuge aber nicht. In den Sitzungspausen hält er sich immer wieder einen Aktenordner vor das Gesicht, so, als wäre er einer der Angeklagten.