Duisburg. Die Stadt Duisburg zieht das Zeltdorf leer. Ukrainische Geflüchtete müssen erneut umziehen. Warum sie eine schlechte Kommunikation beklagen.
In blauen Müllsäcken tragen sie ihre Habseligkeiten zum Bus, zu zweit schleppen sie prall gefüllte Ikea-Tüten, manche schieben Koffer auf Rollcontainern über den Schotterweg des Zeltdorfs, das in Duisburg als zentrale Unterkunft für ukrainische Geflüchtete dient. Sie haben am Freitag ihren Umzugsbescheid vom Amt für Soziales und Wohnen bekommen und müssen nun, am Montagmorgen, teils zum dritten Mal umziehen.
„Durch die zeitnahe Schließung der Asylunterkunft auf der Hamborner Straße müssen sie in die folgende, ihnen neu zu gewiesene Unterkunft umziehen“ – handschriftlich stehen auf den Formblättern Adressen: Demnach ist für viele die Flüchtlingsunterkunft Memelstraße in Neudorf die neue Adresse, andere sollen ins Hotel Sittardsberg in Buchholz, welches im letzten Winter vor allem Corona-positiven Obdachlosen Platz bot. Einige kommen zudem in Wohnungen. Ob auch das Wohnheim an der Voßbuschstraße in Baerl angesteuert werden soll, wird noch geprüft. Persönliche Gegenstände sollen die Ukrainer „eigenständig“ mitnehmen. „Uhrzeit Abholung: 9.30 Uhr“.
Sorgen und offene Fragen wegen des Auszugs aus der Flüchtlingsunterkunft
Manche nehmen den Umzug gottergeben hin, stehen pünktlich am Bus. Andere sind aufgeregt, wenden sich an die Mitarbeiter im Zeltdorf. Wie kann ich mich ernähren, wenn das Jobcenter noch nicht überwiesen hat? Wie kann ich die Hilfe von Dolmetschern in Anspruch nehmen? Wie komme ich an meine Post, die an die Hamborner Straße geschickt wird? Ganz zu schweigen von den Bildungsangeboten für Kinder, Sprachkursen, psychosozialen Angeboten. Dem Gemeinschaftsgefühl in diesem Dorf auf Zeit.
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Sebastian Eimers als Leiter der Einrichtung und seinen Mitarbeitern zollen sie großen Dank. „Er hat ein großes Herz“, sagt eine junge Frau, er habe vieles möglich gemacht. „Spasyba!“, sagen sie immer wieder. „Danke!“ Eine Sprachmittlerin betont: „Deutschlandweit war Duisburg auf Platz 1 im Umgang mit ukrainischen Flüchtlingen, ich war so stolz auf meine Stadt. Und jetzt das.“
Ein Dorf-Mitarbeiter ergänzt, dass er hoffe, dass sich die Gerüchte von Polizei-Einsätzen zum Räumen des Lagers nicht bestätigen: „Wir haben monatelang gegen unseren Ruf als Nazis angearbeitet, damit würden wir alles wieder einreißen.“ An diesem Montag ist die Lage allerdings ruhig, die Umzüge laufen problemlos ab, heißt es aus der Stadtverwaltung. Und ergänzt: Überall da, wo nicht vor Ort gekocht werden könne, werde es ein Catering geben. Und das Jobcenter werde die Fälle bevorzugt behandeln.
Geflüchtete fordern eine bessere Kommunikation
Ein Mann ärgert sich über den Umgang mit ihm: Warum kann man ihm nicht im Vorfeld erklären, dass die Unterkunft abgebaut werden soll? Er fühlt sich nicht ernst genommen. Er hätte wohl gern früher gewusst, was die Stadt am Montagnachmittag in einer Pressemitteilung erklärt: Dass die Stadt Duisburg „mit Blick auf den bevorstehenden Winter und die Energiekrise“ den Betrieb der Gemeinschaftsunterkunft sukzessive herunterfahre. Im ersten Schritt werde die Auslastung der vorhandenen Gemeinschaftsunterkünfte erhöht. Es gehe aber darum, „so viele Menschen wie möglich in Wohnraum zu vermitteln“, schreibt Stadtsprecherin Anja Kopka.
Erste Verträge im Zusammenhang mit dem Zeltdorf würden Ende September auslaufen, ein Teil solle deshalb zurückgebaut werden. „Ein weiterer Teil der Zelte soll betriebsbereit gehalten werden, um schnell auf sich verändernde Flüchtlingsströme reagieren zu können.“
Gerüchte, dass die Betriebserlaubnis des Zeltdorfes auslaufe, bestätigen sich indes nicht: Brandschutz- und Standsicherheit, waren und sind jederzeit gegeben, betont Kopka. Landeserlasse hätten das schon bei der Flüchtlingskrise 2015 entsprechend geregelt, „anders wäre die Unterbringung von derart vielen Menschen in kurzer Zeit auch nicht möglich“.
Panikattacken peinigen manche der Geflüchteten
Viele Gerüchte ziehen an diesem Montag durch das Zeltdorf, manche machen Angst: So glaubten anscheinend einige Bewohner, wenn sie in die Busse steigen, würden sie zur polnischen Grenze gebracht. Der Krieg, die Flucht, die letzten Monate haben ohne Zweifel Spuren hinterlassen. Sicherheitsmitarbeiter, Beschäftigte aus der Küche, Dolmetscher – sie alle erzählen von nächtlichen Schreien der traumatisierten Geflüchteten, von Panikattacken angesichts behördlicher Schreiben, von Trauer und Tränen.
Eine Dame kommt herbei und lässt übersetzen, dass sie nun die Einzige in ihrem Zelt sei, die bleibe. Beim Verteilen der Umzugsinfo sei sie unterwegs gewesen, deshalb habe sie keinen Schrieb bekommen. Ob sie nun ganz allein in dem großen Zelt schlafen müsse oder ob sie in ein anderes Zelt wechseln könne? Ihre Sorgenfalten sind aufs Äußerste gespannt.
Viele Ängste der Bewohner
Eine Frau aus Mariupol sagt, dass ihr Zuhause nicht mehr existiert und ihre Angst seither sehr groß ist. Von der Behördenpost fühlt sie sich überfordert. Eine andere Frau ergänzt, dass sie in Deutschland bleiben will und sich „mit vollem Herzen“ integrieren wolle. Sie sei Lehrerin und wolle anpacken. Die Tennistrainerin neben ihr nickt bei jedem Wort voller Tatendrang.
Anja Kopka schreibt, es sei „absolut nachvollziehbar“, dass ein solcher Umzug Ängste und Fragen auslöse. „Diese werden sich jedoch sicher auflösen, da wir für jedwede Frage der Geflüchteten zur Verfügung standen und stehen.“
Ein Mann nimmt diesen letzten Umzug gelassen. Er hat seine Lebensentscheidung schon getroffen. In der Ukraine hatte der Libanese studiert, ist nun Zahnarzt. „Ich wäre gern in Deutschland geblieben, aber es würde vier Jahre dauern, bis ich hier in meinem Beruf arbeiten darf“, erklärt er auf Englisch. Nun packt er seine Sachen und geht zurück in die Heimat, mit Angst im Bauch wegen der politischen Lage, der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Und dann kommt eine ältere Dame, die um Hilfe bittet. Es stellt sich heraus, dass sie schon vor Wochen in eine Wohnung umgezogen ist, weil ihre Tochter hochschwanger war. Vor zwei Tagen hat sie einen Sohn zur Welt gebracht. In der Wohnung gebe es noch keine Küche, sie schlafe auf einer Matratze auf dem Boden, erzählt sie. Ins Zeltdorf kommt sie, um Dolmetscher um Hilfe zu bitten. Post vom Vermieter übersetzen, Fragen an den Hausmeister am Telefon richten – für all das braucht sie Sprachmittler. Offensichtlich ist aber auch: Wie schön es für sie ist, hier bekannte Stimmen zu hören, bekannte Gesichter zu sehen.