Duisburg/Essen. Die Klimakrise ist zugleich eine soziale Krise, sagt eine Forscherin der Uni Duisburg-Essen. Welche Möglichkeiten Kommunen wie Duisburg haben.
Zu Schulzeiten fragte sich Katharina Bohnenberger noch, ob der Klimawandel ein Problem sei, das ihr Leben langfristig beeinflussen werde, weil technische Lösungen das schon regeln würden. Inzwischen ist der Duisburger Wissenschaftlerin klar: Die Klimakrise ist bedrohlicher denn je „und sie ist die größte soziale Krise.“ Seither promoviert und forscht die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialökonomie der Universität Duisburg-Essen an der Schnittstelle beider Themenkomplexe, der Klimasozialpolitik.
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Duisburg ist für die 33-jährige Münchnerin, eine „interessante Stadt“, viel grüner etwa als Wien, wo sie zu Forschungszwecken war. „In Duisburg ist viel im Wandel, die Gestaltungsmöglichkeiten sind ein großes Potenzial“.
Klimakrise und Sozialpolitik: Kommunen haben einen Gestaltungsspielraum
Die Klima- und Sozialkrise sei lokal spürbar, etwa durch die Hitzebelastung im Ballungsraum Ruhrgebiet auf der einen, dem Bedarf an Lebensmittelhilfen für Arme auf der anderen Seite. Die Unterfinanzierung der Kommunen mache Veränderung zwar mühsam, für die Lokalpolitik gebe es aber durchaus Gestaltungsspielraum, findet die Forscherin.
Die aktuellen Regelungen haben die Ungleichheit der Bevölkerung laut Bohnenberger deutlich gezeigt: Während das 9-Euro-Ticket manchen Menschen eine Bahnfahrt oder einen Sommerurlaub überhaupt erst ermöglichte, begünstigte der Tankrabatt überproportional vermögende Personen.
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„Es wäre sozial gerecht, öffentlichen Raum umzugestalten mit barrierefreien Fußwegen und guten Radwegen“, sagt die Forscherin. Dass Duisburg in Sachen Fahrradfreundlichkeit in Rankings deutschlandweit am schlechtesten abschneidet, „hat mich schockiert“, erzählt die Radlerin. Die vielen Autobahnen und fehlenden sicheren Radwege hält sie für „eine Wahnsinnsfreiheitseinschränkung“.
Mobilität ist ein Schlüsselthema der Forschung
Mobilität ist für ihre Forschung ein Schlüsselthema. Der Auto- und Flugverkehr hinkt beim Klimaschutz bisher am stärksten hinterher, „die Ärmsten haben aber weder ein Auto noch Geld für Flugtickets, tragen persönlich am wenigsten zur Klimakrise bei“, betont Bohnenberger. Ärmere Menschen sind Feinstaub, Lärm und Hitze jedoch ungleich mehr ausgesetzt, weil sie oft in schlecht isolierten Wohnungen an stark befahrenen Straßen wohnen. E-Autos seien wegen des Energiebedarfs und des starken Abriebs auch keine verallgemeinerbare Lösung.
Kinder und Jugendliche seien besonders vulnerabel. Schulwege müssten sicherer sein, fordert die Sozialwissenschaftlerin, Elterntaxis kosten viel Zeit. Und da es überwiegend Müttertaxis sind, bekommt die Klimakrise so auch noch einen Gender-Aspekt. Erst muss der Verkehr für Radfahrer und Fußgänger sicher werden, dann steigen die Menschen um, glaubt Bohnenberger: „Der äußeren Veränderung folgt die innere Veränderung.“ Natürlich sei es schwer, sich von Gewohnheiten zu verabschieden, aber gute Rahmenbedingungen würden es zumindest erleichtern.
„Die Stadtpolitik könnte zum Beispiel bestimmen, dass in den kalten Monaten als erstes die Fahrradwege von Laub und Schnee geräumt werden und so sicher sind“, erklärt die Wissenschaftlerin. Den Bürgerinnen und Bürgern müsse der Abschied vom Auto auf vielen Ebenen leichter gemacht werden.
Die Klimakrise wird noch viel größere Probleme mit sich bringen
Global betrachtet sei es sogar gut, dass Gas teurer wird, „es muss sich lohnen, auf andere Energieträger zu setzen“. Umgekehrt seien die existenziellen Nöte der Menschen durch die steigenden Preise „ein wahnsinniges Problem. Aber im Vergleich sind die Probleme, die wir jetzt haben, nichts – gemessen an jenen, die die Klimakrise noch bringen wird. Da können wir als Gesellschaft jetzt schon üben.“
Kämpferisch und detailreich schildert Bohnenberger ihre Erkenntnisse, dabei spricht sie rasend schnell. Die Rettung der Erde duldet keinen Aufschub. Ein bisschen sarkastisch wird sie hier und da schon, denn „je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto schlechter funktioniert eine faire Verteilung über den Preis. Reiche können sich freikaufen.“
Was kann man denn als einzelner machen gegen den Mangel an Gas und für den Klimaschutz? „Weniger Fleisch und Milchprodukte essen“, sagt sie. „Für den einzelnen ist die Ernährung der schnellste Hebel.“ Ein großer Teil des Gases werde für die Produktion von Düngemitteln verbraucht, um Getreide anzubauen, mit dem die Tiere gefüttert werden. Das sei eine große Verschwendung von Energie und Lebensmitteln, welche gerade in der aktuellen Hungerkrise für die direkte Ernährung der Menschen nötig sei.
Regionale Lebensmittel in Bio-Qualität sind günstiger
Bio-Lebensmittel aus regionalem Anbau seien nicht so starken Preisanstiegen ausgesetzt. Daraus müsse man die Lehre ziehen, insgesamt mehr auf regionale Produktion zu setzen. Hier könne Lokalpolitik ebenfalls schnell ansetzen und vorbildhaft für alle Einrichtungen auf regionale und pflanzenbasierte Ernährung setzen, „das geht ganz ohne Fördermittel“, betont sie.
Die Aufregung um den vor Jahren von den Grünen vorgeschlagenen Veggie-Day in Kantinen scheint aus heutiger Sicht aus einem anderen Zeitalter zu stammen, „heute sind viel mehr Menschen Vegetarier und Veganer oder essen aus religiösen Gründen kein Fleisch oder verzichten wegen einer Laktose-Intoleranz auf Milchprodukte. Wir brauchen einen Ernährungsplan, der es allen möglich macht, sich gesund zu ernähren.“
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Eine große Frage für die Forscherin ist die Finanzierung sozialer Sicherungssysteme. Reiche, die stärker die Klimakrise befördern, müssten zugleich stärker an den sozialen Kosten beteiligt werden, fordert sie. „Manche können ihre Grundbedürfnisse nicht decken, weil andere zu viel vom Kuchen nehmen“, sagt Bohnenberger. Für sie ist es ein „Skandal, dass das System strukturell so angelegt ist, dass Menschen auf die Tafel angewiesen sind“.
Die Geldleistungen der Sozialleistungen würden das Risiko von Preisanstiegen an das Individuum abgeben. Stattdessen müsste es Lebensmittel-Warenkörbe geben, die von der Sozialhilfe getragen werden. Die Regelsätze würden nicht schnell genug angepasst, es bleibe beim „Nachbessern in einem lückenhaften System“.
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>>KLIMASOZIALPOLITIK
- Der Forschungsansatz zur Klimasozialpolitik verknüpft klima- und sozialpolitische Fragestellungen. Die neueste Publikation stammt aus Österreich. In der Aufsatzsammlung „Klimasoziale Politik“, in der auch Katharina Bohnenberger vertreten ist, gehen die Autorinnen und Autoren verschiedenen Fragen nach: Wie kann klimasoziale Ernährung aussehen, ist eine klimafreundliche Umgestaltung der Mobilität sozial gerecht und kann man Armut durch Klimapolitik überwinden.
- Weitere Infos auf der Webseite https://klimasozial.at/