Duisburg. Die Inflation treibt mehr von Armut betroffene Menschen zur Tafel. Wie die Duisburger Tafel die Situation meistert und welche Probleme sie hat.

Die Folgen der Inflation durch den Krieg in der Ukraine für Menschen in Duisburg lassen sich gut an der Statistik der Tafel ablesen: Vor der Pandemie wurden 2100 Menschen versorgt, Anfang 2022 waren es 2700 und aktuell bekommen über 3500 Arme wöchentliche Lebensmittelpakete.

Der Krieg sei eine Katastrophe, sagt Geschäftsführer Günter Spikofski, „wir haben kaum genug Lebensmittel, um das alles aufzufangen“. Erst zusätzliche Spendenaktionen an Supermärkten hätten die größte Not lindern können. Um ukrainische Flüchtlinge zu unterstützen, haben sie einen weiteren Ausgabetag für 50 Familien gestartet. Grundsätzlich gilt aber ein Aufnahmestopp, weil es an allem fehlt: Platz, Helfer und Essen.

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100 Ehrenamtler packen bei der Tafel in Duisburg an - und ein

Das reguläre Angebot läuft parallel weiter: 130 Menschen kommen etwa mittwochs zum Schlachthof in Meiderich, wo die Tafel eine ihrer Lebensmittelausgaben betreibt. Zum Termin reichen die Kunden pünktlich ihre Tasche durch ein Fenster und 1,50 Euro. Dafür befüllen vier Ehrenamtlerinnen sie mit Vollkornbrot und Salat, Eiern, Butter und Basilikum, Schoko-Ostereiern und Kakaoflaschen.

Agnes Dobiegala (rechts) gehört zu den 100 Ehrenamtlichen, die bei der Lebensmittelausgabe der Duisburger Tafel helfen.
Agnes Dobiegala (rechts) gehört zu den 100 Ehrenamtlichen, die bei der Lebensmittelausgabe der Duisburger Tafel helfen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Musik läuft, die Laune ist gut und Zeit für eine kleine Unterhaltung mit jedem, der seine Unterstützung abholen kommt. „Ich kann hier mein Helfersyndrom ausleben“, sagt Agnes Dobiegala. Ihr Mann ermögliche ihr das ehrenamtliche Engagement. Rund 100 packen wie sie unentgeltlich an. „Es ist schon traurig, wenn man nicht helfen kann“, sagt sie, aber manchmal müsse sie Menschen wegschicken, auch wenn es weh tut. Ohne Tafel-Schein läuft nichts.

Hinter jedem Tafelkunden stehen zwei weitere Hilfsbedürftige

Allein mit dieser Ausgabe werden in Meiderich rund 400 Leute unterstützt, sagt Günther Spikofski, hinter jedem Abholer stehen im Schnitt zwei weitere Menschen – Partner oder Kinder etwa. Wer in der Grundsicherung sei, habe durch die Inflation „keine Chance, da hilft alles, was sie zusätzlich bekommen“.

So sehen das auch Sigrid Rüger und Silke Hartmann. Die beiden Frauen haben gerade ihre Wochenration abgeholt und quatschen noch vor der Tür der Tafel mit anderen. Tipps werden ausgetauscht, wo gerade Cevapcici im Angebot sind und mit welchen Haushaltstricks sich der Mangel strecken lässt.

Susanne Müller betreut den Verkaufsraum für Haushaltsgegenstände bei der Tafel in Duisburg. Gegen einen kleinen Obulus kann man sich hier etwa mit Geschirr eindecken.
Susanne Müller betreut den Verkaufsraum für Haushaltsgegenstände bei der Tafel in Duisburg. Gegen einen kleinen Obulus kann man sich hier etwa mit Geschirr eindecken. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Der normale Einkauf mache „keinen Spaß“, sagt Hartmann, überall seien 50 Cent oder ein Euro drauf gekommen. Rüger nickt. 42 Jahre hat sie gearbeitet, krankheitsbedingt ist sie nun auf die Leistungen des Jobcenters angewiesen, 853 Euro monatlich. Eine Weile lebte sie sogar auf einem Campingplatz, „das war billiger“. Jetzt kämpft die 63-Jährige darum, verrentet zu werden. Bis dahin helfen ihr die gespendeten Lebensmittel über die Woche.

Ein Stück Kuchen als Luxus

Das 9-Euro-Ticket ist für sie auch ein Segen – im Vergleich zum Sozialticket spart sie nun 30 Euro monatlich. Geld, dass Rüger jetzt mal in einen Kinobesuch investieren will, „oder in ein Stück Kuchen“. Im Alltag verkneife sie sich viel. Hartmann und Rüger gehen offen mit ihrer Armut um, „die Scham muss man überwinden“, finden sie. Die Tafel sei ein Segen, „wir kommen gern hierhin, die Leute sind nett“.

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Zwei Frauen ziehen mit ihrem „Hackenporsche“ vorbei und schimpfen, dass ihre Taschen nicht mehr so voll sind wie vor der Ankunft der Geflüchteten aus der Ukraine, dass ausgerechnet sie noch teilen müssen und Geflüchtete bevorteilt würden. Das wollen Rüger und Hartmann so nicht stehen lassen, deren Not sei schließlich auch groß und ihre Dankbarkeit ist es auch.

Spenden der Supermärkte gehen zurück

Günter Spikofski ist seit 2008 Geschäftsführer der Duisburger Tafel.
Günter Spikofski ist seit 2008 Geschäftsführer der Duisburger Tafel. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Dass die Decke zu kurz ist für alle, merkt die Tafel auch an den geringeren Spendenvolumina der Supermärkte. Immer mehr versuchen, mit Sonderregalen oder Rabatten Produkte kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums noch selbst loszuwerden. Ware, die den Tafeln fehlt, auch wenn Spikofski lobt, dass weniger verschwendet wird. „Blöd nur, wenn gleichzeitig die Armut steigt.“

Die freiwilligen Helfer der Tafel fahren täglich 70 Supermärkte in Duisburg an und sammeln die Spenden ein. Über ein Netzwerk werden außerdem unter 15 Tafeln im Ruhrgebiet Großspenden ausgetauscht: zehn Paletten Weintrauben hier, fünf mit Joghurt da - davon profitieren alle.

Frauenhäuser, einige Jugendeinrichtungen und Schulen werden direkt beliefert. Seit der Corona-Pandemie werden zudem 40 Kranke und Behinderte über einen Lieferdienst versorgt, „das würden wir gern ausbauen“, sagt Spikofski.

„Mit einer Tüte Lebensmittel von gestern ist keine Armut beseitigt“

Dafür brauche es allerdings ein weiteres Auto und ehrenamtliche Unterstützung. Also auch mehr Spenden: Die Tafel finanziert Räume, Mitarbeiter, Fahrzeuge und alles nötige ausschließlich darüber. Spikofski graut schon vor der nächsten Spritabrechnung: Sie stieg bereits von Oktober 2020 bis April 2022 von 900 auf 1900 Euro im Monat, „der Mai wird noch teurer“, befürchtet er.

„Wir gehören nicht zum Hilfesystem“, betont Spikofski, „mit einer Tüte Lebensmittel von gestern ist bei keinem die Armut beseitigt“. Keiner habe einen Anspruch auf die Leistungen, grundsätzliche Lösungen müsse die Politik angehen.

Er sagt es und berichtet dann, dass im Tafellädchen Töpfe, Pfannen und Besteck gerade besonders gefragt sind: Ukrainische Flüchtlinge statten damit ihre Wohnungen aus. Sie nehmen auch Besen von der Blindenwerkstatt mit, Hygieneartikel oder Make-up - alles für Cent-Beträge, die die Tafel mitfinanzieren.

>>DIESE HILFE WIRD BENÖTIGT:

  • Das Tafellädchen benötigt vor allem Geschirr und Töpfe, nimmt aber auch Spielzeug, Gläser, Lesebrillen und andere gut erhaltene Gegenstände des täglichen Bedarfs an. Abgabe montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr in Meiderich, Gelderblomstraße 2.
  • Zusätzlich zu den Essensausgaben in Meiderich, Marxloh und Hochfeld wird ein weiterer Ort gesucht, möglichst in Kaßlerfeld oder Neumühl. Hilfsangebote an info@tafel-duisburg.de
  • Wer die Tafel finanziell unterstützen möchte, kann das über das Spendenkonto DE 61 3505 0000 0200 2201 50 bei der Sparkasse Duisburg tun.
  • Weitere Infos gibt es auf der Webseite: https://www.tafel-duisburg.de/

>>SO STEHT ES UM DEN GEPLANTEN NEUBAU

  • Nach dem Feuer, bei dem vor über drei Jahren die Essensausgabe am Grunewald in Hochfeld in Flammen aufging, soll an gleicher Stelle ein Neubau her.
  • Doch auch hier erschweren Krieg und Inflation die Planung: Die Kosten sind von 850.000 Euro auf über 1,2 Millionen angestiegen. „Das wird sich hinziehen, bis die Finanzierung steht“, bedauert Spikofski. Hilfe suchte er dafür nun auch bei Oberbürgermeister Sören Link und der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.