Duisburg. Duisburg hat landesweit mit den höchsten Zuwächsen bei Kindern mit Zuwanderungshintergrund zu kämpfen. Welche Strategien nun ergriffen werden.

Die Statistik zeigt es deutlich: Es kommen immer mehr Kinder mit Zuwanderungshintergrund an Duisburger Schulen an. Zusammen mit Gelsenkirchen ist Duisburg landesweit Spitzenreiter, hatte das Schulministerium kürzlich bekannt gegeben. Im Interview erklärt Bildungsdezernentin Astrid Neese, mit welchen Strategien sie damit umgehen will.

2018 waren es noch 35.936 Kinder und damit 53,2 Prozent der Schulkinder, 2020 waren es bereits 37.905 und damit 56,1 Prozent. Nach einem leichten Rückgang 2021 sei die Tendenz jetzt wieder klar in Richtung Zuwachs, sagt Dezernentin Astrid Neese, „es werden mehr, allein wegen der ukrainischen Kinder und der syrischen Familien, die es nach Duisburg zieht.“

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Duisburgs Bildungsdezernentin zu den 700 unbeschulten Kindern: „Ich habe erstmal geschluckt“

Schon jetzt haben über 700 Kinder trotz Schulpflicht keinen Platz in einer Klasse, „die Zahlen sind sehr drastisch“, sagt Neese. „Den Kindern – auch jenen aus Rumänien, Bulgarien oder Moldau – wollen wir gerecht werden, mit schulischen, aber auch außerschulischen Angeboten.“

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Die Bildungsdezernentin bekennt, dass sie bei Bekanntgabe dieser Zahl „erst mal geschluckt hat. Es gibt ja 18 Planungsbeschlüsse für neue Schulbauten, aber die Kinder sind nun mal jetzt da.“ Kontinuierlich kommen zudem weitere Kinder, aktuell etwa im Verband mit Ortskräften aus Afghanistan. Noch so ein großer Zuwachs binnen weniger Monate würde die Stadt wohl überfordern, auch wenn die Aufnahme aus humanitärer Sicht richtig sei. Neese ist sich allerdings sicher, dass die Luft im Bildungssystem anderer Städte größer ist und Duisburg vom Land vorerst niemanden mehr zugewiesen bekomme. Und wenn die Aufsichtsbehörden die Duisburger Ideen zur Beschulung genehmigen, „dann stemmen wir das“.

Zwischenstandorte sollen als Schulräume dienen

Als Zwischenstandorte für den Schulunterricht hat sie Räume der VHS im Blick. Mindestens die Hälfte der unbeschulten Kinder soll außerdem in der ehemaligen Hauptschule Gneisenaustraße unterkommen, angedockt an das Landfermann-Gymnasium. Wer dort unterrichten wird, sei dann Sache des Landes, betont Neese.

Die Stadt selbst wolle noch mal das Angebot der Gebag beleben und bewerben, das Lehrer mit mietfreiem Wohnen nach Duisburg locken will. Bislang konnte damit kein einziger Pädagoge gewonnen werden. Außerdem setzt sie bei Referendaren auf „den Klebeeffekt“. Dass der funktioniert, habe sie schon persönlich erlebt.

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Durchmischung ist in Duisburg nicht überall möglich

Dass die Beschulung von Zuwandererkindern ohne jede Durchmischung mit deutschen Kindern dem Integrations-Erlass des Bundes widerspricht, weiß Neese. „Der Erlass passt nur für geordnete Zuwanderung in kleinen Gruppen, er gibt für anderswo den bestmöglichen Weg vor. Hier müssen wir groß denken.“

Durch die Zuwanderung der vergangenen Jahrzehnte seien längst Tatsachen geschaffen worden, gebe es im Duisburger Norden mehrere Schulen mit einer Zuwanderer-Quote von 95 Prozent. Wie man hier die Schüler besser durchmischen könnte, „dazu fehlt mir die Fantasie, wir fahren ja schon genug Kinder mit Bussen durch die Stadt, damit sie überhaupt zur Schule gehen können.“

Mit städtischen Mechanismen könne man das nicht steuern, sagt Neese. Es sei nur allzu verständlich, dass etwa die syrische Community beim Zuzug Kontakt zu Menschen ihrer Kultur sucht, und die entsprechenden Stadtteile ansteuert.

Positiv sei aber, dass viele Kinder schnell in Regelklassen wechseln. Und der Zuzug aus der Ukraine habe gezeigt, dass in der Stadt noch Wohnraum vorhanden ist. Eine rote Linie sieht Neese derzeit nicht, „die Schulen signalisieren: Wir machen erst mal einiges möglich!

Ehrenamtliches Engagement für die Kinder und Jugendlichen

Die gute Nachricht sei, dass die multiprofessionellen Teams in den Schulen „relativ gut“ besetzt seien. Die Ressourcen „wirken da, wo es nötig ist“, betont Neese und lobt das Ehrenamt, das in allen Stadtteilen die Angebote von institutioneller Seite bereichere. Hier will die Stadt ansetzen und stärker vernetzen, das Angebot auch ausweiten. Gedacht ist ergänzend zu den Kitas, die zugleich Familienzentren sind, an Grundschulstandorte, die als Familienzentrum ausgebaut werden sollen. Dort könnten Eltern für Eltern hilfreich sein, niederschwellig informieren und die Chancen für die Bildung der Kinder erhöhen.

Erfolgreich seien vor allem Angebote von Menschen für die eigene Community, etwa an der Grundschule Henriettenstraße für Roma-Kinder, erzählt Ulrike Anne Neumann von der Stabsstelle Bildungsregion. 21 Ehrenamtler aus Rumänien und Bulgarien haben sich qualifizieren lassen, ein Teil ist inzwischen fest angestellt. 21 auf 25.000 Menschen aus diesem Kulturkreis ist natürlich längst nicht genug. Kritik üben Neese und Neumann vor allem an den Förderprogrammen von Land und Bund, die oft auf ein Jahr befristet sind und viele Kapazitäten für ewig neue Anträge binden.

Dass qualifiziertes Personal mit unsicheren Kettenverträgen kaum zu halten ist, kommt erschwerend hinzu, dabei wäre Verstetigung so wichtig. „Wenn bei diesen Zielgruppen die Ansprechpartner immer wieder wechseln, macht man Rückschritte“, sagt Neese. Für sie ist „Integration eine Generationenaufgabe“.

„Üppiges Angebot“ für die Integration von Zuwanderern

Neben den Willkommens- und Brückenkursen gibt es ein „üppiges Angebot in Duisburg“, sagt Ulrike-Anne Neumann. So sind allein auf der Integrationslandkarte der Stabstelle Bildungsregion rund 900 vielfältige Bildungsangebote aufgelistet. Zusätzlich zu den Sprachkursen zwischen Alphabetisierung und Zweitschriftlernen gibt es auch musische und künstlerische Kurse, bei denen auf die Talente der Kinder geschaut werde. „Manche Kinder kommen mit 14 Jahren nach Deutschland und waren nie in einer Schule“, beschreibt sie die Hürden.

Neese betont, dass es gerade mit Blick auf die vielen unterschiedlichen kulturellen Hintergründe „viel Kompetenz“ in Duisburg gebe. Das ist allerdings auch nötig: Im April war Duisburg mit 3000 Kindern in der Erstförderung Spitzenreiter im Regierungsbezirk Düsseldorf. Die Landeshauptstadt selbst hatte nur unter 2000.

In den Räumen der ehemaligen Hauptschule Gneisenaustraße in Duisburg-Neudorf sollen rund 350 Zuwandererkinder unterrichtet werden.
In den Räumen der ehemaligen Hauptschule Gneisenaustraße in Duisburg-Neudorf sollen rund 350 Zuwandererkinder unterrichtet werden. © FUNKE Foto Services | Zoltan Leskovar / FUNKE Foto Services

>>DIE INTEGRATIONSLANDKARTE

  • Die fortlaufend aktualisierte Integrationslandkarte Duisburg zeigt alle Unterstützungsangebote für neu Zugewanderte.
  • Man kann sich Angebote aus den verschiedensten Bereichen anzeigen lassen. Insgesamt gibt es über 900 zu Themen wie Kultur, Soziales, Gesundheit, Ehrenamt, aber auch Deutschlernkurse, Beratung und manches mehr.
  • Die Karte ist einsehbar auf der Webseite https://integrationslandkarte-duisburg.de/