Duisburg. Als „Schnelldurchseuchung“ bezeichnen Lehrer die neue Verfahrensweise für positive Lolli-Tests. Duisburger Grundschule hisst die weiße Flagge.
Die Nerven an den Schulen liegen blank: Deshalb hat die Grundschule Hebbelstraße in Duisburg-Neudorf aus Solidarität gemeinsam mit rund 70 Schulen in Düsseldorf und Wuppertal weiße Fahnen und ein Spitzendeckchen gehisst, die an den Fenstern hängen.
Zu der Aktion hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aufgerufen, um so auf die Überlastung aufmerksam zu machen. „Wir kapitulieren bald“, sagte GEW-Geschäftsführer Michael Schulte.
Chaos in Duisburger Schulen: Telefon in Sekretariaten steht nicht still
Die spätabendliche Kommunikation des Schulministeriums zum Auflösen positiver Lolli-Tests hat in den Schulgemeinden für Chaos gesorgt. Sekretariate, die mit Telefonanfragen geflutet werden. Lehrer, die mit mutmaßlich positiven Kindern in der Klasse sitzen und Schnelltests durchführen sollen. Eltern, die nicht wissen, ob sie aus Angst vor einer Ansteckung ihre Kinder daheim behalten oder sie aus Angst vor Jobverlust doch zur Schule schicken sollen.
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Die vom Ministerium am Abend angeordnete Verfahrensweise bezeichnet ein Lehrer als „Schnelldurchseuchung“: Denn die Kinder eines positiven Pools sollen am Morgen in der Klasse einen Schnelltest machen. Dafür nehmen gleichzeitig alle Kinder die Maske ab, beschreibt er, inklusive jener noch unentdeckten Infizierten. Leichtes Spiel also für die hochinfektiöse Omikron-Variante. Seinen eigenen Nachwuchs ließ er deshalb lieber gleich daheim.
Trotz positiver Lollitests: Schnelltests lieferten nur negative Ergebnisse
Mit Schnelltests begann auch an der Katholischen Grundschule Grabenstraße die erste Unterrichtsstunde: „Wir haben vier positive Pools und heute morgen wurde kein einziges Kind gefunden“, berichtet Vater Andreas Sadrina. Das hatten viele Schulleiter so auch vorhergesagt, denn die PCR-Tests sind sehr sensitiv, schlagen bereits bei sehr geringer Virenlast aus, während Schnelltests weiterhin ein negatives Testergebnis liefern.
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Sadrina ist Vater von vier Kindern und stinksauer, er bezeichnet den Dienstag, als plötzlich keine Auflösung von Pools erfolgte und er mit seinen Kindern daheim saß, als „Freiheitsberaubung“ durch das Schulministerium. Der Schulpflegschaftsvorsitzende der Grundschule Grabenstraße fordert, die Pooltests nach dieser Regelung „sofort auszusetzen, die bringen doch nur Unruhe in die Schulen“.
Eltern wegen der vielen Regeländerungen „total verwirrt“
Eine Lehrerin, die ihren Namen nicht nennen möchte, sagt, dass „alle überlastet sind“. Im Kollegium würde eine Handvoll Lehrer fehlen, teils wegen Corona, teils aber auch, „weil sie einfach nicht mehr können“.
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Erst vor zwei Wochen wurde das Prozedere dahingehend verändert, dass zu den Pooltests auch Einzeltests kommen, die bei einem positiven Ergebnis direkt überprüft werden, um möglichst schnell alle negativen Kinder wieder in den Unterricht zu lassen. Jetzt also die Rolle rückwärts, aber mit einer Kommunikation am Abend. Seither schellen die Telefone, schreiben Eltern Mails und SMS, „weil sie total verwirrt sind“.
Kind findet den Selbsttest in der Nase „schrecklich“
Vor der Grundschule Hebbelstraße sind manche Eltern aber auch entspannt, weil die Neuerungen gar nicht bis zu ihnen durchgedrungen sind. Teilweise liegt es an Sprachbarrieren, teilweise an der Kommunikationsstrategie.
Bestens informiert ist Christian Schönleber, der Jaroslav (11) und Helena (6) abholt. Er will „auf keinen Fall wieder einen Lockdown, die Kinder brauchen die Schule“. Die Erstklässlerin lerne gerade Lesen und Schreiben, „das kann man zuhause nicht leisten“. Abgesehen davon gibt es ja gerade viele Baustellen. Denn zuhause ist auch der fünfjährige Jan, weil die Kita mangels Personal im Notbetrieb ist. „Ich vertraue darauf, dass die Selbsttests funktionieren“, sagt der Vater. Und zumindest der Viertklässler Jaroslav sei inzwischen voll geimpft.
Der erzählt, dass einige Kinder am Morgen fehlten. Und beim gemeinsamen Testen sei der Test seines Sitznachbarn positiv gewesen. „Der musste nach Hause“, sagt Jaroslav. „Ich hab diesen Nasentest so schrecklich gefunden“, sagt er entrüstet, „mir kamen die Tränen, meine Maske war pitschnass!“ Bislang war er die Lolli-Tests gewohnt, die man nur in den Mund stecken muss.
Kirstin Ewert will ihre Kinder Joel, Juli und Renesmee abholen. Dass die Schule die weiße Fahne hisst, kann sie nachvollziehen. Im Zwiespalt sei sie, sagt die Mutter, zwischen der Schulpflicht einerseits und dem Gefühl, dass ihr Nachwuchs daheim sicherer wäre. Sie ärgert sich, dass die Kinder mit den Selbsttests morgens das Gefühl bekommen, erst etwas beweisen zu müssen, bevor sie am Unterricht teilnehmen dürfen. Geimpft sind die drei noch nicht, erst im Februar ist der Termin beim Kinderarzt.
>>AKTION WEGEN ANGESPANNTER CORONALAGE
- Mit den weißen Fahnen will die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein Zeichen setzen. Die kurzfristige Änderung der Testverfahren sei symbolisch für die Probleme, mit denen Schulen seit Beginn der Pandemie umgehen müssen, sagt Gewerkschafter Holger Thrien.
- Der Akku sei nach zwei Jahren leer. Die GEW befürchtet, dass Lehrer aufgrund der hohen Belastung aus dem Beruf aussteigen, was den Lehrermangel noch verschlimmern würde.
- Akut helfen könnte ein reduzierter Lehrplan sowie die Unterstützung von Fachpersonal für die Corona-Tests, glaubt Thrien.