Duisburg. Lungenarzt Dr. Nikolaus Büchner spricht über schwere Covid-Verläufe bei Kindern, den Impfstatus seiner Patienten und künftige Corona-Varianten.

Als Chefarzt der Klinik für Lungenheilkunde an der Helios St. Johannes Klinik in Duisburg-Hamborn hat Privatdozent Dr. Nikolaus Büchner die weitaus meisten Corona-Patienten in Duisburg behandelt. Im Interview spricht der Pneumologe über die Fallzahlen in den Kliniken, die Gefahren von Omikron und seine Prognose für den weiteren Verlauf der Pandemie.

Bislang spiegelt sich der steile Anstieg der Corona-Infektionen noch nicht in den Patientenzahlen. Wie optimistisch sind Sie, dass es so bleibt?

Nikolaus Büchner: Die Fallzahlen in den Kliniken steigen noch nicht so rapide an, wie wir das zu Anfang befürchtet haben. Die Experten gehen davon aus, dass wir den Gipfel Mitte Februar erreichen. Hier ist es noch unter Kontrolle. Man darf optimistisch sein, obwohl die Omikron-Verläufe etwas milder sind, aber am Ende kann dann doch die hohe Summe der Erkrankten zu einer hohen Hospitalisierungsrate führen [Hinweis der Redaktion: Zahl der Krankenhauseinweisungen pro 100.000 Einwohner in einem bestimmten Zeitraum]. Darauf sind wir vorbereitet.

Starker Anstieg der Zahl von Kindern, die stationär behandelt werden müssen

Welche Auffälligkeiten beobachten Sie?

Wir haben einen sehr starken Anstieg bei Säuglingen, Kleinkindern und Schulkindern. Da steigen die Zahlen bei uns stärker als bei den Erwachsenen. Im Moment sind von 30 Patienten elf pädiatrisch. Viele bleiben nur ein paar Tage, aber es gibt auch schwere Verläufe bei Kindern. Dass sie nicht gefährdet sind, kann man so nicht stehen lassen.

Was besorgt Sie mehr: eine hohe Zahl von Patienten oder viele infizierte Mitarbeitende?

Das eine geht mit dem anderen einher. Unsere Mitarbeitenden sind durch die Einhaltung der Hygieneregeln und durch eine sehr hohe Impfquote wohl weniger gefährdet. Mehr Angst macht mir fast, dass sie ausfallen, weil sie etwa eigene infizierte Kinder betreuen müssen. Im Moment ist unser Krankenstand für einen Januar normal, die übliche Grippewelle gibt es bisher nicht. Aber von den Spitzenwerten beim Patientenaufkommen sind wir derzeit weit entfernt. Aktuell haben wir rund 30 Patienten, wir hatten schon über 100 auf sechs Corona-Stationen. Wir haben Notfallpläne und sind auf eine Eskalation vorbereitet, aber es sieht im Moment nicht so aus, als wenn es wegen der Omikron-Variante zum Tragen kommen muss.

Booster-Impfungen bleiben weiterhin unverzichtbar

Macht der deutliche Anstieg der Inzidenzwerte auch im Duisburger Norden die Hoffnung auf eine „Herdenimmunität“ zunichte?

Der Anstieg kann darauf hindeuten, dass die Herdenimmunität trotz einer hohen Zahl von Geimpften und Genesenen noch nicht funktioniert. Die steigenden Zahlen erklären sich wahrscheinlich durch eine mit der Zeit nachlassende Immunität. Man kann es aber auch andersherum betrachten: Durch die hohe Infektionsrate erreichen wir eine zusätzliche Grundimmunisierung. Aber: Die Booster-Impfungen bleiben natürlich unverzichtbar. Im Frühjahr und Sommer dürfen wir deshalb wohl auf sinkende Zahlen hoffen.

Ist eine Infektion mit Omikron deshalb positiv zu sehen?

Nein. Niemand sollte das auf die leichte Schulter nehmen. Sich wegen eines vermeintlich milden Verlaufs die Impfung zu sparen, ist keine gute Idee. Es gibt auch bei Omikron ein erhebliches Risiko von Langzeitschäden.

Die meisten Patienten sind nicht ausreichend geimpft

Rechnen Sie mit weiteren Virus-Varianten?

Ja. Eine neue Variante wird im Herbst oder schon vorher kommen. Am Ende der Pandemie werden wir das griechische Alphabet wahrscheinlich gut beherrschen. Ob diese Variante schwächer oder stärker wird, können auch die Experten noch nicht sagen. Aber: Auch die Omikron-Infektion verläuft bei den meisten Menschen nur wegen einer hohen Impfquote mild. Was sie ohne Impfschutz verursacht hätte, möchte ich mir nicht vorstellen.

Welchen Impfstatus haben die Patienten, die Sie aktuell stationär behandeln?

Sowohl auf der Normal- als auch auf der Intensivstation ist der überwiegende Teil nicht ausreichend geimpft. Auf der Intensivstation sind es etwa drei Viertel der Patienten. Geboosterte Patienten nehmen extrem selten einen schweren Verlauf.

Chefarzt Dr. Nikolaus Büchner, hier am Bett eines Corona-Kranken, sieht aktuell mehr jüngere und sehr junge Patienten, die wegen eines schweren Verlaufs der Infektion stationär in der Helios St. Johannes Klinik in Duisburg-Hamborn behandelt werden müssen.
Chefarzt Dr. Nikolaus Büchner, hier am Bett eines Corona-Kranken, sieht aktuell mehr jüngere und sehr junge Patienten, die wegen eines schweren Verlaufs der Infektion stationär in der Helios St. Johannes Klinik in Duisburg-Hamborn behandelt werden müssen. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Tragische Todesfälle bei jungen Corona-Infizierten in Duisburg

Welche Altersstruktur haben die Menschen?

Seit dem Sommer sehen wir viel weniger ältere Menschen. Das liegt wohl am höheren Impfanteil und der geringeren Zahl ihrer Kontakte. Es gibt viele, auch tragische Fälle bei Jüngeren. Wir haben eine 29-jährige Schwangere verloren und einen 17-jährigen Jungen. Und erst kürzlich mussten drei Monate alte Zwillinge künstlich beatmet werden. Das sind Fälle, die man nicht vergessen darf, wenn man von einem allgemein milden Verlauf spricht.

Welche Hoffnungen setzen Sie auf neue Medikamente, die jetzt zugelassen werden?

Sie sind schon verfügbar. Paxlovid und Molnupavir hemmen die Virusvermehrung in der Frühphase der Erkrankung. Xevudy (Sotrovimab) ist ein Antikörperpräparat. Fast noch wichtiger sind Medikamente, die die Entzündungsreaktionen unterdrücken. Denn an dieser Reaktion sterben die Menschen am Ende. Ich bin froh, dass wir diese Medikamente haben. Sie dienen aber nur der Behandlung bereite Infizierter. Die Pandemie dämmen sie nicht ein.

Bis zu 40 Prozent der hospitalisierten Corona-Patienten leiden unter Long Covid

Corona-Erkrankte klagen nicht selten über Langzeit-Folgen der Infektion. Welche Erfahrungen machen Sie mit Long Covid?

Es ist ein ernstes Problem, die Tragweite ist noch nicht endgültig abschätzbar. Von den Hospitalisierten sind bis zu vierzig Prozent, von den ambulanten Patienten bis zu zehn Prozent betroffen. Es sind manchmal Organschäden, etwa an der Lunge. Die betreuen wir weiter, zumeist erholen sie sich nach einigen Monaten. Weitere Folgen wie Schlaf-, Gedächtnis- und Wortfindungsstörungen sind sehr unangenehm. Auch anhaltender Geruchs- und Geschmacksverlust und eine allgemeine Muskelschwäche kommen ebenso vor wie Luftnot und Erschöpfung. Es gibt Halbmarathon-Läufer, die es auch nach Monaten noch nicht schaffen, eine Etage Treppen zu steigen. Es gibt Post-Covid-Ambulanzen, die Therapie oder Reha muss an die Symptome angepasst werden.

Impfpflicht: Medizinisches Personal hat Verantwortung, andere nicht zu gefährden

Wie stehen Sie zu einer Impfpflicht für das Klinikpersonal?

Grundsätzlich bin ich dafür, die Menschen aufzuklären und so zu motivieren. Und für unser Haus bin ich stolz auf eine Impfquote von über 95 Prozent ohne Impfpflicht. Aber es geht um eine Krankheit mit einer hohen medizinischen und gesellschaftlichen Tragweite. Es ist für niemanden eine rein persönliche Entscheidung. Wer ohne Gurt Auto fährt, geht nur ein persönliches Risiko ein. Wer mit defekten Bremen unterwegs ist, gefährdet auch andere. Im Krankenhaus haben wir Kontakte zu Gefährdeten, etwa in der Onkologie und der Geriatrie. Da haben wir eine berufliche Verantwortung, sie nicht zu gefährden. Deshalb befürworte ich alle Möglichkeiten, die zu einer möglichst hohen Impfquote führen. Wir werden die Pandemie nicht durch Kontaktbeschränkungen allein überwinden. Mit der Impfung haben wir eine große Chance, die wir nutzen sollten. Die Impfung ist eine große Erfolgsgeschichte.