Duisburg. In 14 Jahren als Rektor hat Prof. Dr. Ulrich Radtke die Universität Duisburg-Essen geprägt. Kurz vor dem Abschied blickt er zurück und nach vorn.
Seit 2008 ist Prof. Dr. Ulrich Radtke Rektor der Universität Duisburg-Essen (UDE). Im April übergibt er die Leitung der Uni an Prof. Dr. Barbara Albert, die vor acht Monaten zu seiner Nachfolgerin gewählt wurde. Im Interview blickt der 66-jährige Hochschulmanager zurück auf seine drei Amtszeiten, die Entwicklung und Zukunft der UDE und das Verhältnis zu den Städten Duisburg und Essen.
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Sie waren mit 14 Jahren ungewöhnlich lange Rektor dieser Universität. Wie kam es dazu?
Ulrich Radtke: Die erste Amtszeit dauerte sechs Jahre, dann gab es zwei Wiederwahlen für jeweils vier Jahre. Eine Amtszeit ist zu kurz, um wirklich etwas zu gestalten. Eine dritte Amtszeit macht man, wenn es gut läuft und alle es wollen. Wechsel an der Spitze sind nach einer gewissen Zeit wichtig, um neue Akzente zu setzen.
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Tag? Was hat Sie am meisten überrascht?
Die Grubenfahrt auf der Zeche Auguste Victoria. Das Ruhrgebiet von unten zu sehen war eine extrem spannende Erfahrung. Neben der Inauguration war es ein Höhepunkt, an den ich mich gern erinnere.
„Ich hatte Lust mitzuspielen, statt am Rand zu stehen“
Warum wollten Sie gern Rektor werden?
Ich habe gemerkt, dass es mir Spaß macht, zu gestalten und dass mir neben der Forschung Wissenschaftsmanagement gefällt. Daran mitzuwirken, die Ideen von guter Forschung und Chancengerechtigkeit zu verknüpfen, statt mich darüber zu ärgern, dass es nicht geschieht, war spannend. Ich hatte Lust mitzuspielen, statt am Rand zu stehen. Ich war ja einige Jahre Sprecher der Hochschulrektoren-Konferenz – auch das hat Spaß gemacht.
Als Sie antraten, war die fusionierte UDE fünf Jahre alt. Jetzt ist sie mit 19 gerade erwachsen geworden. Wächst einem eine Uni ans Herz?
Das war ja der Grund, an eine junge Universität zu gehen. Da ist die Bereitschaft größer, etwas neu zu gestalten, sich neu zu erfinden. Im Wettbewerb der Hochschulen, den es früher in dieser Form nicht gab, ist eine junge Universität im Vorteil. Die Aussicht, an der UDE eigene Akzente zu setzen, war sehr reizvoll. Erfolg haben sie letztlich aber nur im Team. Ich hatte das Glück, Mitstreiter – wie zum Beispiel im Rektorat und im Rektoratsstab – zu finden, die meine Ideen unterstützt und bei der Umsetzung entscheidend mitgeholfen haben. Dafür bin ich sehr dankbar.
„Mit Befehlen und Anweisungen erreicht man als Rektor nichts“
Wie groß ist denn die Macht eines Rektors?
Sie besteht so lange, wie er sie nicht einsetzt. Der Rektor hat eine gewisse Macht, aber wenn er sie nutzt, verliert er. Es ist ein ausgeklügeltes System von Checks and Balances, das mit akademischer Selbstverwaltung agiert und das aus selbstbewussten und autonomen Playern in den Fakultäten besteht. Viele der 500 Professoren und Wissenschaftlerinnen haben ja eigene Vorstellungen, in welche Richtung es gehen sollte. Mit Befehlen und Anweisungen erreicht man nichts. Als Rektor kann ich motivieren, Anregungen geben und Prozesse begleiten, auch etwas anstoßen. Aber ohne einen Resonanzboden scheitert man. Wenn Sie dann ihre Macht einsetzen, geht es schief. Richtig ist: Am Ende eines Diskussionsprozesses muss der Rektor entscheiden. Die Verantwortung hat er gleichwohl für alles.
Was erfüllt Sie mit Stolz, was ist gelungen?
Die Universität ist in den Kreis der Top-20-Forschungsuniversitäten in Deutschland aufgestiegen. Das zu begleiten, hat Spaß gemacht. Die Zahlen zeigen es: Wir sind mit 50 Millionen Euro Drittmitteln für die Forschung gestartet, jetzt sind es 150 Millionen Euro. Das ist ein deutlich überproportionaler Anstieg, der uns in die Gruppe der Universitäten gebracht hat, wo wir auch hingehören. Wir können jetzt große Forschungsprojekte aus eigener Kraft stemmen. Diese Kraft zu entwickeln, braucht aber Zeit. Ich habe 430 Berufungen getätigt bei 505 Professuren insgesamt. Die UDE hat sich in meiner Amtszeit auch personell erneuert. Die neuen Professorinnen und Professoren mussten sich zunächst etablieren. Viele Erfolge haben wir deshalb erst in den vergangenen vier, fünf Jahren eingefahren.
Was bringt die Research-Allianz?
Sie ist aus der Ruhrkonferenz entstanden und sicher ein Höhepunkt. Wir bauen sie jetzt zusammen mit der Ruhr-Universität Bochum und der TU Dortmund auf. Damit werden wir alle drei noch wettbewerbsfähiger. Das hat die Aufmerksamkeit der ganzen Republik auf das Ruhrgebiet gelenkt. Die Top-20-Platzierungen unter den jungen Universitäten im Times Higher-Ranking ist zudem ein Ausweis dafür, dass wir als junge Universität weltweit beachtet werden, im Zitationsranking waren wir auf Platz fünf in Deutschland.
Stellen die Hochschulen im Ruhrgebiet nun die Kooperation über die Konkurrenz?
Das Primäre ist ja nicht die Konkurrenz, sondern die Frage, wo wir gemeinsam stärker werden können. Uni-Verbünde finden sich auch an anderen Standorten. International sind wir nur konkurrenzfähig, wenn wir nicht allein bleiben. Die Finanzausstattung deutscher Universitäten ist im Wettbewerb mit internationalen Spitzenuniversitäten einfach nicht ausreichend. Die Fusion zwischen Duisburg und Essen war die Voraussetzung, um mit Bochum und Dortmund auf Augenhöhe kooperieren zu können. Die Research Alliance ist ein Meilenstein auf dem gemeinsamen Weg, unsere Forschung international auf ein neues Niveau zu bringen, weil wir jetzt exzellente Leute zusätzlich berufen können. Sie hat in der Ruhrkonferenz die Unterstützung der Politik gefunden.
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„Die UDE ist auch eine Universität der Leistungsstarken“
Zusammenarbeit gibt es auch über das Ruhrgebiet hinaus.
Ja, der internationale Forschungsverbund Aurora ist an uns herangetreten, weil unser Profil passt. Dass die UDE auch international sichtbar geworden ist, auch das macht mich stolz.
Beim Thema Vielfalt war die UDE Vorreiter.
Ja, wir haben nicht nur Wert auf die Forschung, sondern auch auf die Lehre und die Bildungsgerechtigkeit gelegt. Diversity haben wir als erste Uni in Deutschland deutlich ausgeflaggt mit einem eigenen Prorektorat. Wenn es um die Benchmark für Diversity-Management geht, kommt man stets auf die UDE.
Warum dieser Schwerpunkt?
Das Thema hat seine Wurzeln in der Gesamthochschule. Deren Ansatz der Chancengerechtigkeit in der Bildung war gut. Über 50 Prozent unserer Studierenden sind Bildungsaufsteiger, das ist der höchste Anteil in der Republik. Auch darauf können wir stolz sein, genau wie auf die große Zahl der Deutschland-Stipendien und die Förderprojekte für zehntausende von Schülern. Es belegt, dass die UDE auch eine Universität der Leistungsstarken ist.
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Was ist nicht gelungen?
Die Zentralbibliothek in Essen hätte ich gern hier gehabt. Aber als ich kam, waren viele Würfel schon gefallen. Für Erfolge in den Exzellenz-Runden waren wir einfach noch nicht so weit, deshalb fand ich das auch nicht enttäuschend. Aber im DFG-Förderranking sind wir zuletzt um acht Ränge auf Platz 23 nach vorn gegangen. Das ist für uns wirklich gut. Die Kennzahlen sind erst jetzt in einem Bereich, in dem wir zu den ernsthaften Kandidaten gehören. Wir haben jetzt acht Sonderforschungsbereiche. Jeder bringt, wenn er zwölf Jahre läuft, 30 Millionen Euro und viele neue Stellen. Da sind wir sehr sichtbar geworden. Das ist die Voraussetzung, um auch in der Exzellenzstrategie erfolgreich zu sein. Aber das braucht seine Zeit. Es war eine kontinuierliche Entwicklung in die richtige Richtung.
„Konkurrenzdenken zwischen den beiden Standorten ist überhaupt kein Thema mehr“
Wie schwierig ist es, die Balance zwischen den beiden Standorten zu halten? Sind Duisburg und Essen zusammengewachsen?
Konkurrenzdenken oder Eifersüchteleien sind überhaupt kein Thema mehr. Auf die Frage nach meinem Dienstsitz sage ich: Der Rektor ist da, wo er gebraucht wird. Ich muss nicht dauernd auf den Proporz achten.
„Es wäre sinnvoll, wenn die Bauingenieure nach Wedau ziehen“
Wird es weitere Verschiebungen bei den Fakultäten geben?
Das ist nie auszuschließen. Entschieden wird nach inhaltlichen Kriterien. Die Mathematik hat einen gemeinsamen Standort in Essen gefunden. Wenn wir den Ingenieur-Campus in Duisburg-Wedau bekommen, wäre es sinnvoll, wenn die Bauingenieure da mit hinziehen würden. Aber es muss finanzierbar sein. Wünschenswert wäre es.
Ändert sich die öffentliche Wahrnehmung der Hochschulen?
Es gibt einen generellen Wandel. Von den Universitäten wird mehr gefordert als je zuvor. Bei Themen wie Klimawandel, Politikberatung, Flüchtlingskrise, Digitalisierung und Sicherheit wird erwartet, dass die Universitäten nicht nur Forschung betreiben, sondern auch Lösungsvorschläge entwickeln.
In Duisburg und Essen gab es bisher eher ein Nebeneinander als ein Miteinander. Dreht sich das gerade?
Unsere Hauptaufgabe ist es, Studierende auszubilden. 63 000 haben während meiner Amtszeit Examen gemacht. Diese hoch qualifizierten jungen Menschen geben wir den Städten zurück. In der Forschung bieten wir Möglichkeiten zu Kooperationen. Die wachsen mit unserer Forschungsstärke. Für die Stahl- und Kohle-Städte Duisburg und Essen war eine Universität am Anfang etwas Besonderes. Heute weiß man, dass jede Stadt ohne eine Universität schlechter dasteht. Das erkennen auch beide Städte zunehmend. Das gilt in Duisburg etwa für die Logistik und in Essen für das Uni-Klinikum mit 7000 Beschäftigten. Wir sind ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Die Städte haben entdeckt, was sie zusammen mit den Hochschulen erreichen können.
Wie wichtig ist eine Zusammenarbeit, aktuell etwa beim Thema Wasserstoff?
Wenn wir dem Zentrum für Brennstoffzellen-Technik nicht die Stange gehalten hätten, gäbe es nun nicht das nationale Zentrum für Wasserstoff-Technologie in Duisburg. Deshalb ist mein Dienstwagen ein Wasserstoff-Auto. In Essen entsteht mit dem Future Water Campus ein neuer Schwerpunkt in der Wasserforschung. Solche Bauvorhaben können wir nur mit Unterstützung der Städte umsetzen.
„Eine Uni ist wie der Kölner Dom: Daran wird immer weiter gebaut“
Der Campus Duisburg steht vor einem großen Umbruch.
Der Ingenieur-Campus ist das größte Neubauprojekt, das wir derzeit planen. Wir versuchen, dass jetzt so aufs Gleis zu setzen, dass es weiterentwickelt werden kann. Neue Forschungsbauten, wie sie auch in Essen geplant sind, wird es immer geben. Eine Uni ist wie der Kölner Dom: Daran wird immer weiter gebaut.
Die Sanierung des Bestandes und die Neubauten erfordern viel Geld. Wie optimistisch sind Sie, dass es gelingt?
Der Ersatz der Altgebäude in Duisburg-Neudorf, zum Beispiel durch Neubauten in Duisburg-Wedau, ist günstiger als die Sanierung. Dieses ist das schlagende Argument, das auch jeden Finanzminister überzeugt. Wir haben die Zeit auf unserer Seite. Für die Sanierung müsste das Geld auch da sein. In Essen werden jetzt rund 300 Millionen Euro für die Klinik verbaut. Auch das ist notwendig, weil die Altgebäude abgerissen werden müssen. Das Geld ist grundsätzlich da, ich wünsche mir nur zügigere Entscheidungen.
Die UDE habe Hochschulpakt-Gelder zurückgehalten mit Blick auf die Neubauten, hat der Bundesrechnungshof kritisiert. War das berechtigt?
Die Kritik ging an alle Hochschulen. Eine große Einrichtung wie die UDE braucht eine Rücklage. Das Geld wird über einen gewissen Zeitraum abgerufen. Auch für die Eigenbeteiligung an den Neubauten müssen wir neuerdings beträchtliche Summen vorhalten. Dafür braucht die UDE Liquidität. Der Kanzler und ich haben kein Problem damit, Geld auf der hohen Kante zu haben. Wenn da kein Geld läge, fände ich das viel schlimmer.
„Für gute Lehre muss kontinuierlich in die Infrastruktur investiert werden“
Sie beklagen eine strukturelle Unterfinanzierung der Hochschulen. Warum?
Wegen der Overhead-Kosten. Das Betreuungsverhältnis Lehrende/Studierende hat sich über die Jahre verschlechtert. Das Geld, das wir zusätzlich bekommen haben, reicht bei weitem nicht, um dieses Verhältnis zu verbessern. Aber die zusätzlichen Kosten für Sanierungen wurden nicht erstattet. Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb als Eigentümer der Immobilien macht einiges einfach nicht, wie wir es von einem „Vermieter“ erwarten dürfen. Die Universität ist gewachsen, für die Mitarbeiter muss Raum geschaffen werden. Es gibt mehr Personal in der Verwaltung, im Studierendenservice, den Bauabteilungen. Diese Aufgaben müssen alle mitfinanziert werden, sie erhalten eine Hochschule arbeitsfähig. Auch für neue Sitze im Hörsaal bekommen wir kein Extra-Geld. Deshalb ist es eine wohlfeile Kritik. Aber ein Rechnungshof muss wohl so denken. Zu sagen, das Geld sei nicht ausreichend für die Lehre verwendet worden, ist aber zu plakativ. Damit weiterhin gute Lehre stattfinden kann, muss kontinuierlich im Bereich Infrastruktur investiert werden.
Was wünschen Sie der Uni Duisburg-Essen für die Zukunft?
Ich möchte meiner Nachfolgerin nichts ins Themenheft diktieren. Deshalb einfach nur: weiter so.
>>> ZUR PERSON: PROF. DR. ULRICH RADTKE
- Ulrich Radtke stammt aus Werther (Westfalen) und hat nach dem Studium der Biologie, Geografie, Geschichte, Philosophie und Pädagogik in Düsseldorf 1983 am Geografischen Institut der Heinrich-Heine-Universität promoviert und 1988 habilitiert. Nach einem Jahr an der TH Karlsruhe wechselte er 1993 als Professor für Physische Geografie an die Universität zu Köln, dort war er von 1999-2001 und von 2005 bis 2007 Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät.
- Zum Rektor der Universität Duisburg-Essen wurde der heute 66-Jährige, 2008 gewählt und für zwei weitere Wahlperioden im Amt bestätigt. Der vierfache Familienvater wurde 2015 zum „Hochschulmanager des Jahres“ gewählt (Centrum für Hochschulentwicklung und Die Zeit). Seit 2015 ist er Sprecher der Hochschulrektoren-Konferenz.
- Am 1. April 2022 übergibt Ulrich Radtke sein Amt an Prof. Dr. Barbara Albert. Als Senior-Professor bleibt er der Uni Duisburg-Essen erhalten, auch in Ehrenämtern und Gremien wird er der Hochschule und der Stadt weiter erhalten bleiben.