Duisburg. Das „Harlekin“ ist die Szene-Kneipe für die schwul-lesbische Community in Duisburg. Bier trinken können hier alle, „ob so oder so“. Ein Besuch.
Die Regenbogenflagge an der Szene-Kneipe „Harlekin“ hängt wieder. Robert Bovensiepen hat am Donnerstag ein neues Exemplar angebracht, nachdem am vergangenen Wochenende Unbekannte die alte Fahne angezündet hatte. Mehr noch: Die Studenten, die in den Wohnungen über der Gaststätte wohnen, haben aus Solidarität die Fassade mit Regenbogen-Wimpeln geschmückt. Das „Harlekin“ ist die letzte Bar, die sich gezielt an Schwule oder Lesben richtet. Der Untertitel „Ob so oder so“ bedeutet aber, dass auch „Heten“ gerne ihr Bier oder einen Cocktail trinken dürfen.
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„Allerdings gibt es auch unter den Jüngeren viele, die noch ein altes Denken haben und meinen, hier könnte man nur mit dem Arsch an der Wand lang gehen“, erklärt Robert Bovensiepen lachend und nennt ein Beispiel: Als vor einigen Jahren die beliebte Bar „Goldengrün“ schloss, das einige Teenager aber offenbar nicht wussten, hingen diese zunächst auf der Schultreppe vom Hildegardis-Gymnasium ab und überlegten, wo sie nun alternativ hingehen könnten. Dann schickten sie zwei Vorboten ins Harlekin, die die anderen dann hereinwinkten.
Das Harlekin ist auch in der Szene nicht jedermanns Geschmack. Die Bar wurde in den 1980er Jahren eröffnet. Das Innere ist holzig-rustikal wie eine Alm – und gleichzeitig bunt und schrill. „Mein Mann liebt Chi-Chi. Er gibt sich immer sehr viel Mühe mit der Deko.“ Über der Theke hängt Lametta, von vergangenem Halloween-Fest ist noch ein Skelett mit Glitzergirlande um den Hals übrig geblieben; auf der Fensterbank sitzen Clowns und von der Decke baumeln Sterne. Auf einer kleinen Bühne finden manchmal Travestie-Darbietungen statt, Oliver Bovensiepen tritt auch als „Alex von Bouvier“ auf.
In der Duisburger Bar sind alle Gäste willkommen, „ob so oder so“
Doch schon bevor die Bovensiepens die Kneipe übernahmen, öffnete man sich auch für Nachbarn und alle, die gerne ein Bierchen trinken mochten. „Heute geht kaum noch jemand aus, um jemanden kennen zu lernen, das hat sich alles ins Internet verlagert“, weiß Robert Bovensiepen. Auch er hat seinen Mann zunächst online getroffen.
Der eine oder andere Hetero-Mann habe doch so seine Vorbehalte, erinnert sich der Wirt und erzählt lächelnd von einem Besucher, der sich einst direkt an die Theke setzte. Eine Frau saß in einer der Sitzecken. Der Kunde insistierte, ob denn hier auch Frauen Gäste seien. Der Gastronom antwortete, dass durchaus Damen vorbei schauen, die dann aber vielleicht lieber mit anderen Frauen anbändeln. „Als er realisiert hat, in was für einer Gaststätte er gelandet ist, wollte er sofort sein Bier bezahlen, was ich ihm gerade erst zapfte und sofort verschwinden. Als ich mich kurz umdrehte, war er weg.“
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2007 hat sich Bovensiepen geoutet. Früher trainierte er eine Badminton-Mannschaft, lebte mit Frau und Kind im beschaulichen Mettmann. Als er sich dann mit Vereinskameraden beim Heimatfest am Bierwagen traf, sprach ihn einer an, ob die Gerüchte über seine kriselnde Ehe stimmten und ob er wegen einer Affäre wirklich alles aufgeben wolle. Seine Antwort darauf: „Wer sagt denn, dass es um eine andere Frau geht?“
Nach dem Outing leistete der Wirt Aufklärungsarbeit
Die Reaktionen waren offen und neugierig. Klar, der eine oder andere wollte wissen, wie es denn mit einem Mann so sei. Als der 51-Jährige seinen heutigen Lebenspartner vorstellte, der ebenfalls mit einer Frau verheiratet war und ein Kind hat, wollte der Vater wissen: „Wer bekommt denn dann bei euch die Blumen und wer den Schnaps?“ Bovensiepen leistete Aufklärungsarbeit: „Papa, wir führen eine ganz normale Beziehung, mit allem was dazu gehört.“
Der „Harlekin“-Betreiber ist Fragen dieser Art gewohnt. Sascha Roncevic, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „SPDqueer Duisburg“, engagiert sich vielfältig für die Rechte von Schwulen, Lesben, Inter- und Transsexuellen „und allen anderen mit Sonderzeichen“. Er ist einer der Mitorganisatoren des Christopher Street Days (CSD) in Duisburg und an schlechten Tagen kann er die offenherzigen Fragen nicht mehr hören. „Andererseits, wenn jemand sein Coming Out hat, dann ist der Schritt über Vorlieben zu sprechen, nicht mehr so groß. Heterosexuelle tun sich schwerer zu erzählen, dass sie am Wochenende vielleicht gerne in den Swingerclub gehen“, weiß er.
Der 41-Jährige bemängelt, dass sich die Gesellschaft zwar weiter entwickelt habe und offener geworden sei, allerdings gebe es in den vergangenen Jahren doch wieder zunehmend Anfeindungen. Besonders in den sozialen Netzwerken sei es angesagt, homofeindliche Kommentare unter Themen zu posten. „Wenn man sich dann mal schlau macht, wer denn da kommentiert, sieht man, dass es oft alte, weiße Männer sind, die auch Beiträge von Pegida oder der AFD liken“, so Roncevic.
Homophobe Hasskommentare in sozialen Netzwerken nehmen zu
Die Kommentare seien aber nur die erste Stufe. Die zweite seien zum Beispiel Eier, die schon an der Wand an der Traditionskneipe „Harlekin“ gelandet seien. Nachdem Robert und Oliver Bovensiepen die Gaststätte 2015 übernommen haben, gab’s 2016 ein derartige Attacke. Und dann die angesengte Flagge am Wochenende. „Gegen etwas, das sich nicht wehren kann. Die Flagge hängt so hoch, da kommt man nicht einfach so dran“, sind sich Bovensiepen und Roncevic sicher, dass der Brand kein Zufall gewesen ist. Aus anderen Städten weiß Roncevic, dass zum Beispiel auch Regenbogenfahnen von Kirchen abgerissen wurden, als die Gemeinden ein Zeichen für Vielfalt zeigen wollten.
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Die „Harlekin“-Macher haben am Wochenende Anzeige bei der Polizei gestellt. „Der Fall liegt jetzt beim Kriminalkommissariat 11, die sich um Branddelikte kümmern. Natürlich tauscht man sich da auch mal mit dem Staatsschutz aus. Aktuell suchen wir noch Zeugen. Wer etwas gesehen hat, den bitten wir, sich zu melden“, erklärt Polizeisprecher Jonas Tepe auf Nachfrage.
Nach dem Vorfall sei eine Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen vorbei gekommen und habe zwei neue Fahnen vorbei gebracht, so Bovensiepen Ein Facebook-Freund kontaktierte ihn, weil er gerne die Kosten für eine neue Flagge übernehmen wollte. „Das war nicht nötig. Wir haben genug davon. Ich habe keine Angst, sie wieder aufzuhängen, aber ich muss auch an meine Mitarbeiter denken, die hier hinter der Theke stehen.“ Er wird nun das Efeu am Haus entfernen lassen. Dass die Polizei einen Schuldigen ermittelt, daran glaubt er nicht.
„Schwulen und Lesben sind in der Stadt eigentlich nicht sichtbar“
Wie viele Schwulen oder Lesben in Duisburg leben, lässt sich nicht ermitteln. „Wissenschaftliche Studien gehen, je nach rechenweise, davon aus, dass zwischen 8,5 und 12 Prozent einer Gesellschaft homosexuell sind. Wenn man das für Duisburg herunterbricht dann sind das zwischen 40.000 und 60.000 Personen“, rechnet Sascha Roncevic vor. Ihn stört: „Schwule und Lesben sind in der Stadt eigentlich nicht sichtbar.“ Der Ohrring als Erkennungszeichen hat längst ausgedient. Wenn Christopher Street Day gefeiert wird, haben sogar die Modehändler C&A oder H&M eine Regenbogen-Kollektion im Sortiment. „Jugendliche, die vielleicht eine erste Ahnung haben, dass sie auf Jungs stehen oder Mädchen auf Mädchen, die tragen manchmal das ganze Jahr ihr Regenbogen-Bändchen am Arm.“ Ein Outing sei ein Prozess, den man(n) erst einmal für sich selbst akzeptieren müsse.
Roncevic macht auch Jugendarbeit bei „Schwule und Lesben aus Moers“ (Slam). Vor allem während des Corona-Lockdowns hatten es Teenager schwer, denn wenn sie über ihre sexuelle Identität nachdenken, gebe es die meisten Reibungspunkte in der Schule oder mit der Familie. In Kooperation mit anderen Trägern habe es deshalb Online-Sprechstunden für die Jugendlichen gegeben.
„Teekannen“ nicht repräsentativ
„Wenn Homosexuelle sichtbar werden, dann nur die Schrillen, die man beim CSD sieht. Aber nicht der Arzt, der Bäcker oder der Stahlarbeiter“, findet Bovensiepen. Und auch die so genannten „Teekannen“, die den Ellenbogen auf der einen Seite spitz anwinkeln und auf der anderen die Hand abknicken, seien eben nicht repräsentativ.
„Wer älter ist und seine Rolle gefunden hat, der geht eben nicht mehr so oft aus und macht Netflix & Chill“, glaubt Roncevic. Zudem gebe es eben nicht eine Szene, sondern viele in Duisburg und nennt beispielsweise ein Gruppe für Regenbogenfamilien oder die so genannten „Petplayer“ als Teil der Szene. Als Anlaufstelle erfülle das „Harlekin“ jedenfalls noch eine wichtige Funktion.