Duisburg. Andreas und Michael tauschen in ihrer Freizeit die Rollen, aus Koch und Einzelhändler werden „Wuffel“ – ein Hobby mit Halsband und Hundemaske.

Am Abend werden Andreas und Michael zu Hunden. Sie tauschen dann Kochmütze und Geschäftsführer-Anzug gegen Neoprenmasken, schnallen Halsbänder um, bellen sich ein liebevolles „Wraff Wraff“ zu. Der Duisburger und der Voerder sind so genannte Petplayer. Vor kurzem haben sie den wohl ersten Petplay-Verein in Deutschland, „Freie Wuffel e.V“, mitgegründet. Sie wollen aufklären, dass ihre Lebensweise mehr ist als nur ein sexuelles Rollenspiel.

Andreas und Michael haben den Landschaftspark Duisburg an diesem Sommermontag nicht ohne Grund als Treffpunkt ausgewählt. Hier führen sie sonst einander aus oder jagen Bällen hinterher, kuscheln beim Picknick oder stehen für Fotos Modell. „Wir sind sehr fotogen“, verrät Andreas mit einem Lachen. Sie zeigen sich und ihr Hobby, sind Rampenhunde. „Wobei wir den Begriff Hund nicht mögen, er steht für echte Vierbeiner. Wir sind Puppys, Wuffel oder Dogs“, stellt Michael klar.

Petplay: Mit Maske und Halsband zu „Ascan“ und „Xephon“

Zunächst einmal sind sie aber Andreas, 37 Jahre alter Koch eines Altenheims und Michael, 42 Jahre alt und Geschäftsführer eines Einzelhändlers. T-Shirt, kurze Hosen, der eine mit roten Haaren, der andere mit blauen Augen. Lediglich die schwarzen Pfoten auf weißem Socken-Grund und das Wuffel-Wappen geben Hinweise auf ihre zweite Identität. Dann nennen sie sich „Ascan“ und „Xephon“.

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In die verwandeln sich Andreas und Michael, wenn sie ihre Rucksäcke öffnen. Darin: Ein rot-schwarzes Geschirr für Andreas, an dem sich eine Leine befestigen lässt. Halsbänder mit Erkennungsmarken. „Alpha Animus Pack“ steht darauf, die Bezeichnung ihres Rudels. Und „Alpha“ bei Michael, „Beta“ bei Andreas. Die Rudel-Rangfolge. Der eine ist Chef, der andere folgt. Aber: „Jeder so weit, wie er seine Rolle ausleben will. Ohne Zwang.“ Weitere, rangniedere Deltas und Omegas gehören ebenfalls zur Gruppe, „Layla“ aka. David und „Vilkas“ aka. Philipp etwa.

Petplay in Duisburg: Wenn aus Michael (l.) und Andreas „Xephon“ und „Ascan“ werden.
Petplay in Duisburg: Wenn aus Michael (l.) und Andreas „Xephon“ und „Ascan“ werden. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Und dann sind da natürlich die Masken. „Mein Beta ist bei der Auswahl in einen Farbtopf gefallen“, sagt Michael mit einem Lachen. Die Schnauze leuchtet Rot und Gelb, die Ohren sind aufgestellt, nur das blaue Neopren trennt „Ascan“ von Superheld „The Flash“. Über ein Jahr sei der erste Kontakt zum Petplay jetzt her. „Ein Freund hat mir seine Maske gezeigt. Die war nicht nach meinen Vorstellungen, aber ich fand die Idee an sich cool“, erzählt Andreas. Nach einer Probephase gönnte er sich einen Spezialanfertigung aus den USA für 300 Euro. Sein Alpha hält es dagegen etwas dezenter, mit roter Schnauze und blauen Farbtupfern auf schwarzem Neopren.

Wenn es schon beim ersten Google-Treffer knallt

„Petplay“: Der erste Google-Treffer führt zu einem Wikipedia-Artikel, wo es schon in der Einleitung in eine eindeutige Richtung geht. „Erotisches Rollenspiel“, „sadomasochistische Praktiken“ und „BDSM“ erzählen alleine von Dominanzspielen im Bett. Alles doggy, oder was? Andreas und Michael schlackern die Ohren. „Das ist nicht mein Sextoy“, sagt Erstgenannter bestimmt, beide betonen: „Viele betrachten das als reinen Sexfetisch, wir werden schnell in die Richtung geschoben.“ Michael fügt hinzu: „Schublade auf, rein und zu – das ist schade. Denn es ist viel mehr.“

Die Begriffe „Social Petplay“, Vernetzung und Freundschaft fallen. Ganz gleich, ob der Gegenüber lesbisch, schwul, bi, trans, inter, queer oder hetero ist. Petplay für alle. Inklusiv, im Verein auch für Menschen mit Beeinträchtigung. Ein soziales Sicherheitsnetz, gerade in der Pandemie. „Wir achten aufeinander und sind eine Community“, sagt Vorstandsmitglied Michael.

Michael trägt die Erkennungsmarke, die ihn als Alpha seines Rudels ausweist, und das Vereinswappen der Freien Wuffel.
Michael trägt die Erkennungsmarke, die ihn als Alpha seines Rudels ausweist, und das Vereinswappen der Freien Wuffel. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Auch der Aspekt des Rollentausches ist den „Wuffeln“ wichtig. Aus Normen und Abläufen auszubrechen, menschliche Verhaltensweisen für eine gewisse Zeit abzulegen, verspielt über eine Ruhrorter Wiese zu tollen. Zweibeinig, auf allen vieren, nach Lust und Laune. Der 37-Jährige: „Du lebst in dem Moment, denkst nicht über deinen Alltag nach, bist im Flow.“ Michael ergänzt: „Das ist wie eine zweite Identität. Wir vergessen die Welt, in der wir für alles so sehr verantwortlich sind und schalten ab.“

Und so führt der Alpha ein Rudelmitglied auch mal an der Leine durch die Gegend. Nicht (nur), um ein sexuelles Machtgefälle auszudrücken, sondern: „Er folgt einer Route, die ich vorgebe. Er braucht nicht nachzudenken, das ist extrem entspannend für ihn“, sagt Michael.

Wie die Duisburger auf die Petplayer reagieren

Auf der Arbeit habe ihr Hobby dagegen nichts zu suchen, machen beide deutlich. „In der Freizeit versetze ich mich bewusst in die Rolle, trage die Maske aber auch zwei Wochen mal gar nicht“, berichtet Michael. Wenn ihn dann doch die Lust überkommt, geht es selbst an die Playstation nur mit Latex. Oder zum Serienmarathon auf die Couch, „Netflix, wuff und chill“.

Eine sexuelle Vorliebe einerseits, soziales Miteinander in verspielter Form andererseits: Michael, Andreas und David posieren als Petplayer.
Eine sexuelle Vorliebe einerseits, soziales Miteinander in verspielter Form andererseits: Michael, Andreas und David posieren als Petplayer. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

In ihrer Freizeit kann es sogar passieren, dass die Grenzen von Michael und „Xephon“ verschwimmen. „Ich stand mal an der Ampel und alle Autofahrer haben mich angestarrt. Ich hatte vergessen, dass ich das Halsband noch an hatte.“ Beide lachen. Andreas berichtet von verdutzten Bankmitarbeitern, die ihn glücklicherweise nicht für einen Bankräuber hielten. Und von Dates, auf die der Duisburger seine Maske mitnahm. „Es war wie ein Blind-Date. Die Basis ist eine andere, wenn du dich nicht siehst.“

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Apropos Reaktionen: Nur ein kleiner Teil der Menschen zeige offene Abneigung, wenn sie Andreas und Michael auf der Straße begegnen würden, erzählen die Beiden. „Viele sind sehr aufgeschlossen und neugierig“, sagt Michael. „Sie laufen zwar erst etwas verschämt vorbei, kommen dann aber zurück und wollen mehr wissen.“ Selbst Selfiewünsche wären dabei gewesen, bevor sie ganz rollentypisch zum Abschied getönt hätten: „Wuff, wuff“.

>>> FREIE WUFFEL – DER WOHL ERSTE PETPLAY-VEREIN IN DEUTSCHLAND

  • Das Aktenzeichen ist VR 203482, Datum der 16. Juni 2021: In Hannover waren Andreas und Michael beteiligt an der Gründung von „Freie Wuffel e.V.“, dem wohl ersten eingetragenen Verein für Petplay in Deutschland.
  • Der Verein setzt sich gegen Verleumdung, Hetze und Mobbing ein, tritt u.a. gegen Body- und Handycap-Shaming ein und will die Rechte von LGBTQ+ stärken. „Minderheiten sind uns ein besonderes Anliegen“, heißt es auf der Website.
  • Auch Menschen mit Beeinträchtigungen wollen die freien Wuffel ein Zuhause geben und so barrierefrei wie möglich kommunizieren. Man sei im Kontakt etwa mit dem Gehörlosenbund, betont Michael, der im Vorstand sitzt.
  • Zur Community zählen in der Telegram-Gruppe etwa 160 Menschen, die Zahl aller Petplayer wurde vor der Pandemie auf rund 2500 geschätzt. Informationen und Kontakt gibt es auf www.freie-wuffel.de.