Duisburg. Auf der Mitgliederversammlung des MSV Duisburg wird die Presse von der Aussprache ausgeschlossen. Interna dringen trotzdem nach außen.

Die Dauer-Krise beim MSV Duisburg hat mit einem in der langen Vereinsgeschichte einzigartigen Schritt einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Presse wurde bei der Mitgliederversammlung am Dienstagabend nach der Hälfte der Tagesordnungspunkte ausgeschlossen. Kameras waren am Dienstagabend im Zelt des Zirkus Flic Flac ebenfalls nicht zugelassen.

Den Antrag zum Ausschluss sämtlicher Medienvertreter nach neun von 18 Tagesordnungspunkten stellte direkt zu Beginn der Zusammenkunft ein Mitglied, das nach eigenen Angaben aus der Fanbasis kommt. Die Begründung des Mannes: Das RTL-Kamerateam, das den Drittligisten für eine Langzeit-Doku begleitet, wolle Bilder für eine boulevardeske Berichterstattung sammeln, die schreibende Presse wolle sehen, wie sich die „MSV-Familie“ bei der Aussprache (Punkt 10 der Tagesordnung) „zerfleischen“ würde.

Eine große Mehrheit der nach Vereinsangaben rund 500 anwesenden Mitglieder stimmte zu. Und schuf so ein Novum in der MSV-Historie. „Da sind wir doch im falschen Land“, kommentierte später am Abend ein MSV-Mitglied die Entscheidung. Der Vorstand akzeptierte den Schritt stillschweigend.

[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]

Wie ungewöhnlich die Maßnahme war, zeigt ein Blick über den Tellerrand. Denn eine solche Abschottung ist bei Proficlubs sehr selten: Das prominenteste Beispiel ist der FC Schalke 04. Dort wurde 2011 der Antrag eines Mitglieds angenommen, die Medien komplett auszuschließen. Auch der Reviernachbar befand sich seinerzeit im Krisenmodus. 2020 schlossen Mitglieder von Fortuna Düsseldorf die Bild-Zeitung wegen „vereinsschädigender Berichterstattung“ von der digitalen Mitgliederversammlung aus.

MSV Duisburg im Krisenmodus: Wirtschaftliche Probleme und sportliche Talfahrt

Zur Einordnung: Der MSV Duisburg befindet sich in einer der größten Krisen der Vereinsgeschichte. Präsident Ingo Wald musste beim Blick auf die wirtschaftlichen Fakten berichten, dass die Konsolidierung nach dem Lizenzentzug 2013 durch die Corona-Krise einen herben Rückschlag erlitten habe. Den Schaden durch die Pandemie, in der unter anderem die Zuschauereinnahmen über mehr als eine Spielzeit komplett wegbrachen, bezifferte Wald auf sieben Millionen Euro. Das negative Eigenkapital stieg in der Saison 2019/2020 somit wieder auf über sieben Millionen Euro an. Zuvor hatte die Vereinsführung einen großen Teil des Schuldenbergs in den Jahren von 2013 bis 2019 mühevoll abgetragen.

Zu diesen Existenzsorgen kommt die andauernde sportliche Talfahrt hinzu. Die Fans haben Angst vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit der Regionalliga, Frust hat sich angestaut. Aktuell steht der Traditionsverein auf dem 17. Tabellenplatz der dritten Liga. In den letzten zwölf Monaten mussten drei Trainer ihren Hut nehmen. Aktuell leitet mit Uwe Schubert der hoch angesehene Leiter des Nachwuchsleistungszentrums das Training der Profis.

Fanszene: Sportdirektor Ivica Grlić polarisiert

In der Fan-Szene war die Spannung im Vorfeld der Mitgliederversammlung dementsprechend groß: Mehrfach versuchten einzelne Nutzer zum Beispiel in den vergangenen Wochen in sozialen Netzwerken die Rote-Karte-Aktion gegen Ivica Grlić wiederzubeleben. Der aktuelle Sportdirektor genoss zu Spielerzeiten bei den Fans Kultstatus, packte dann als Funktionär beim Wiederaufbau nach dem Lizenzentzug an und schaffte zweimal den Aufstieg in die zweite Bundesliga. Jahrelang war die MSV-Legende auf Plakaten im Stadtgebiet das Gesicht und beliebter Werbeträger seines Vereins.

Der Kredit aus diesen Verdiensten scheint bei den Anhängern nun jedoch aufgebraucht. Viele machen Grlić für die Misere verantwortlich.

Sportdirektor Ivica Grlić stand jahrelang in Duisburg hoch im Kurs. Nun steht er im Zentrum der Fan-Kritik.
Sportdirektor Ivica Grlić stand jahrelang in Duisburg hoch im Kurs. Nun steht er im Zentrum der Fan-Kritik. © Getty Images | Christof Koepsel

Seine Personalie zeigt, wie gespalten die Fanschar der „Zebras“ derzeit ist. Bereits im Januar hatten 240 Anhänger bei einer Protestaktion vor dem Stadion seine Ablösung gefordert. Diese Rufe wurden nun im Zusammenhang mit der Entlassung von Cheftrainer Pavel Dotchev wieder laut.

Allerdings: Die zahlreichen Kritiker des Sportdirektors erhalten auch Gegenwind. Das Argument der Grlić-Unterstützer: Ohne die finanziellen Mittel seien dem 46-Jährige doch bei der Zusammenstellung des Kaders und der Auswahl des Trainers klare Grenzen gesetzt.

Mannschaft blieb Mitgliederversammlung fern

Am Dienstagabend mussten sich Grlić und Präsident Wald schon vor Beginn der Versammlung außerhalb des Zirkuszelts vor Kameras kritischen Fragen stellen. Als der Sportdirektor für seinen Bericht zur aktuellen Situation auf die Bühne schritt, gab es laute Buh-Rufe und Pfiffe, aber auch trotzigen Applaus. „So ist das in einer Familie“, erwiderte der Manager. Etwa 30 Minuten lang zeigte er sich anschließend im Verteidigungsmodus, versuchte den Anwesenden Gründe für den Misserfolg zu vermitteln.

Der Sportdirektor stand dann auch bei der Aussprache im Fokus. Trotz Presse-Ausschluss drangen unter anderem über Fan-Foren und soziale Medien Details dazu nach außen. Nach Informationen dieser Redaktion gab es kritische Fragen zur Vertragsverlängerung des Sportdirektors im Jahr 2020. Auch unterstrichen die Mitglieder den Wunsch nach der Installierung eines Sportvorstandes. Präsident Ingo Wald erklärte, mit einem Kandidaten gesprochen zu haben, der aber erst im Januar 2022 zur Verfügung stehe.

Die Stimmung war bei der Fragerunde allerdings nicht so aufgeheizt wie es wohl auch die Verantwortlichen erwartet hatten. Bis auf einige Zwischenrufe blieb es ruhig.

Auch interessant

Die Spieler bekamen die Kritik von Mitgliederseite nicht mit. Anders als in den Vorjahren war die Mannschaft nicht vor Ort. Negative Reaktionen blieben den Kickern somit erspart. Als Präsident Wald zum Beispiel erklärte, dass er den Kader für stark genug erachte, um einen „einstelligen Tabellenplatz“ zu erreichen, erntete er spöttisches Gelächter von den Rängen.

Trotz des Mitgliederbeschlusses verteilten sich auch Bilder von der Versammlung im Internet: Unter anderem veröffentliche Edel-Fan Joachim Llambi Fotos aus dem Zelt im Netzwerk Instagram.

>> AUSSCHLUSS DER MEDIEN RECHTLICH LEGITIM

  • Vereinsrechtlich ist der Ausschluss der Öffentlichkeit bei einer Mitgliederversammlung legitim. In gängigen Vereinssatzungen ist geregelt, dass nur Mitglieder Zutritt haben. „Jugendliche Mitglieder, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, sind zur Teilnahme an den Mitgliederversammlungen berechtigt“, heißt es in der Vereinssatzung des MSV.
  • Allerdings ist es im Profifußball die Regel, dass Medienvertreter von Mitgliederversammlungen berichten.