Duisburg. Arbeiterkind Charline Kappes aus Duisburg tritt zur Bundestagswahl für die FDP an. An der 27-Jährigen ist noch einiges mehr überraschend.

Keine zwei Jahre ist es her, dass Charline Kappes Berlin wieder gegen Duisburg eingetauscht hat. Nach der Bundestagswahl dürfte sie zurück in die Hauptstadt ziehen: Die 27-Jährige kandidiert auf einem aussichtsreichen Listenplatz. Überraschend ist, für welche Partei: Das Arbeiterkind aus dem Ruhrgebiet tritt für die FDP an.

Arbeiterkind Charline Kappes aus Duisburg macht Politik für die FDP

Der Vater Stahlarbeiter, die Mutter Sekretärin: Es gibt Parteien, die Charline Kappes eine offensichtlichere politische Heimat gewesen wären. „Hätte meinen Eltern in den 1990ern jemand gesagt, dass ihre Tochter mal für die FDP kandidieren würde – ich glaube, meine ältere Schwester hätte zum Spielen einen neuen Ball statt einer kleinen Schwester bekommen“, sagt die junge Frau lachend in ihrem Vorstellungsvideo für die FDP.

Warum also die Liberalen? „Das ist schon fast meine Lieblingsfrage“, sagt die 27-Jährige. Und erzählt: Dass sie sich vor ihrer Entscheidung viele andere Parteien angesehen hat, besonders die SPD: „Mein Vater ist in der Gewerkschaft, meine Schwester auch.“ Was sie stört: Bei den anderen Parteien fällt immer wieder der Satz, man wolle „etwas für die kleinen Leute tun“. „Der Begriff ärgert mich sehr.“

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In der FDP begegnet er ihr nicht. „Da ist man Mensch, da wird man nicht klein geredet“, findet sie, die betont, dass sie Arbeiterkind ist. Kleine Leute – mit diesem Ausdruck kann Charline Kappes nichts anfangen. „Meine Eltern haben viel aufgegeben, damit ich aufs Gymnasium gehen und Klassenfahrten machen konnte.“

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Sie zitiert ein Vorurteil gegenüber den Freien Demokraten: „In der FDP sind angeblich nur Reiche und Hotelerben – ich hab’ meins noch nicht gefunden.“ Dennoch: Im Parteiprogramm steht wenig von Stahlarbeitern und Sekretärinnen, dafür viel von Entlastung für Besserverdiener, Erben, Unternehmer. Was hat ein Arbeiterkind davon? „Dass die Eltern Arbeit haben.“

Kappes hat Wirtschaftswissenschaften studiert, wohnte lange bei ihren Eltern in Serm, weil sie durchs BAföG-Raster fiel. Als sie ihre erste eigene Wohnung in Berlin bezieht, ist sie 24, arbeitet neben ihrem Uni-Abschluss Vollzeit. Heute ist sie in einem Kölner Start-up angestellt. „Müssten wir Vermögenssteuer zahlen, wären 180 Mitarbeiter arbeitslos.“

FDP-Bundestagskandidatin aus Duisburg plädiert für mehr Ausprobieren in der Politik

Stattdessen plädiert sie dafür, das Bundes­ausbildungs­förderungs­gesetz (Bafög) zu reformieren. Wenn sie als Arbeiterkind die Unterstützung nicht bekam – wem nützt sie dann, fragt sie sich. „Warum macht man das BAföG nicht einfach mal anders? Wenn’s nicht klappt, macht man halt eine Rolle rückwärts – aber dann hat man einfach mal was versucht.“ Versuch und Irrtum sind ihr lieber als Stillstand.

Nicht unrealistisch, dass sie sich und ihre Vorstellung von Politik nach dem 26. September im Deutschen Bundestag erproben kann: Charline Kappes kandidiert auf NRW-Listenplatz 24, nach den aktuellen Umfragewerten bekämen die nordrhein-westfälischen Liberalen 34 Sitze.

Eines ihrer Vorbilder wäre dann eine Grande Dame der FDP: die ehemalige Justizministerium Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. „Ich hoffe, dass in 20 Jahren FDP-Wähler mehr Auswahl haben, was weibliche Vorbilder angeht“, sagt Charline Kappes FDP-kritisch. Sie will ihren Teil dazu beitragen: „Man kann sich nicht beschweren, dass die Politik männlich und alt ist – und sich nicht einbringen, wenn man jung und weiblich ist.“

Ein Vorbild der jungen FDP-Politikerin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)

Hat sie politische Vorbilder außerhalb der FDP? Sie grinst. „Dafür werde ich Ärger aus den eigenen Reihen bekommen: Angela Merkel.“ Und schiebt hinterher: „Nicht inhaltlich. Aber wie sie sich von ,Kohls Mädchen’ aus entwickelt hat! Diese Beharrlichkeit!“ Das nötigt ihr Respekt ab. Auch wenn sie relativiert: „Vor Angela Merkel habe ich mich um meine Mathenoten gekümmert, da hatte ich noch andere Probleme als Politik.“ Als Merkel Bundeskanzlerin wurde, war Charline Kappes elf.

Jetzt, mit 27, ist sie zum ersten Mal wortwörtlich Kopf eines Wahlkampfs. Bleibt so kurz vor der Bundestagswahl überhaupt noch Zeit für die Privatperson Charline Kappes? „Manchmal“, sagt sie und lacht. Sie fährt dann gerne von Neudorf zurück ins Heimatdorf Serm, die Familie besuchen. Ansonsten: „Ich lese viel“, vor allem Sachbücher. Aktuell „Alleiner kannst Du gar nicht sein – unsere Volksvertreter zwischen Macht, Sucht und Angst“; beeindruckt hat sie „Unorthodox“ von Deborah Feldman, „das habe ich zweimal hinter einander gelesen.“

Mittwochabends ist Charline Kappes, wann immer es geht, Privatperson statt Politikerin. „Da gucken wir gemeinsam Bachelorette – ich liebe Trash-TV!“ Bis jetzt guckt sie die Sendung mit den Kolleginnen in Köln. Zieht sie in den Bundestag ein, wird sie diesen Job ruhen lassen. Sie schmunzelt. „Ich hoffe, irgendjemand im Bundestag guckt mit mir dann Bachelorette.“

>> CHARLINE KAPPES: WERDEGANG EINER JUNGEN DUISBURGERIN IN DER FDP

  • 2015 tritt Charline Kappes in die FDP ein.
  • 2019 wird sie Bezirksvorsitzende der Liberalen Frauen Niederrhein.
  • Seit 2019 ist sie außerdem Mitglied im Bundesfachausschuss Arbeit und Soziales der FDP.
  • 2020 tritt sie für die FDP Duisburg zur Kommunalwahl an.
  • 2021 kandidiert sie für die Bundestagswahl im Wahlkreis 115 Duisburg I.