Duisburg. Bärbel Bas, im Bundestag SPD-Fraktionsvize für Gesundheit, über Lauterbachs Schatten, den Hass radikaler Querdenker und den Tod ihres Ehemannes.
Bärbel Bas (SPD) erlebt die Corona-Krise in einer Schaltstelle der Berliner Republik: Im September 2019 wählte die SPD-Bundestagsfraktion die Abgeordnete aus Neudorf zu einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. Einer ihrer Aufgabenbereiche: Gesundheit. Als wäre der neue Job (Bas: „eine andere Hausnummer“) nicht schon Herausforderung genug gewesen, übernahm kurz danach die Pandemie das Drehbuch. Seither schreibt Bas häufiger Kurznachrichten mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD), schlägt sich die Nächte in Abstimmungsrunden zu Gesetzestexten um die Ohren, während ihr Vorgänger Karl Lauterbach als Experte der SPD im Rampenlicht steht. Ausgerechnet in dieser aufregendsten ihrer drei Legislaturperioden stürzte Bas im Vorjahr der unerwartete Tod ihres Ehemannes in eine tiefe Lebenskrise.
MdB Bärbel Bas (SPD): „Ich war acht Monate völlig aus der Bahn“
Die 53-Jährige, die bei der Bundestagswahl zum vierten Mal im Süd-Wahlkreis kandidiert, gibt nur auf Nachfrage Auskunft zu ihrer Trauer. Aber sie will auch kein Geheimnis daraus machen, warum sie „acht Monate völlig aus der Bahn“ war, wie sie sagt.
Am 22. September 2020 war Siegfried Ambrosius an den Folgen einer Infektion verstorben. 15 Jahre waren er und Bas ein Paar, fünf davon verheiratet. Ambrosius führte die Geschäfte der SPD Duisburg fast vier Jahrzehnte. Während eines geplanten Krankenhausaufenthaltes ab Anfang Juli waren resistente Erreger dem 78-Jährigen zum Verhängnis geworden. Wochenlang kämpfte er auf der Intensivstation, war die Gesundheitspolitikerin im Corona-Sommer 2020 selbst mit den brutalen Besuchereinschränkungen für Angehörige konfrontiert.
Und dennoch fehlte Bas nur „ein, zwei Sitzungswochen“ entschuldigt, war nach der Beisetzung irgendwann im verdrängenden „Arbeitsmodus“. „Berlin ist eine andere Welt, mir hat die Ablenkung geholfen.“ Aber bis zu ihrem Geburtstag im Mai ging es ihr miserabel, „danach war ich plötzlich mit mir im Reinen.“ Auf ihren neuen Lebensmut ist Bas stolz, die Trauer aber ist ihre ständige Begleiterin. „Am 22. September werde ich ganz sicher keinen Wahlkampf machen.“
Allgegenwärtiger Karl Lauterbach: „Manchmal bin ich ihm dankbar“
Dabei freut sich Bas über jede Stunde Wahlkampf, die ihr trotz Pandemie und Berliner Sitzungs- und Beratungsmarathon möglich ist. Selbst direkte Konkurrenten würden ihr die oft zu Unrecht bemühte „Volksnähe“ nicht absprechen. Vor Corona hatte die meist im ICE sonntags nach Berlin und freitags zurück nach Duisburg pendelnde Abgeordnete versucht, „so viele Stadtteil-Feste wie möglich“ in ihrem Wahlkreis zu besuchen.
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Aber zuletzt „konnte ich fast zwei Jahre nicht präsent sein“, obwohl das Hingehen, Gesicht zeigen („selbst beim kleinsten Verein“) und Zuhören ihr Erfolgsrezept sei. Das antwortet die Sozialdemokratin zumindest auf die Frage, wie sie es im Wahlkreis dreimal hintereinander geschafft hat, deutlich mehr Stimmen als ihre Partei zu gewinnen und ihren Dauerrivalen Thomas Mahlberg (CDU) jeweils weit hinter sich zu lassen.
Süd-Wahlkreis Duisburg I (115): Kurzfragebogen
Ein Duisburg-Selfie und 16 Antworten der Direktkandidaten in je unter 161 Zeichen:
> Bärbel Bas, SPD
> Thomas Mahlberg, CDU
> Sascha Lensing, AfD
> Charline Kappes, FDP
> Mirze Edis, Die Linke
> Lamya Kaddor, B90/Die Grünen
> Günther Bittel, MLPD
> Felix Engelke, Die Basis
Dass die meisten TV-Zuschauer und Soziale-Netze-Nutzer außerhalb von Duisburg Bärbel Bas trotz ihrer Rolle als SPD-Gesundheitsexpertin und Fraktionsvize nicht kennen, liegt auch am Schatten ihres scheinbar allgegenwärtigen Genossen Professor Dr. Karl Lauterbach. „Diese Medienpräsenz würde ich bei meiner Arbeit gar nicht schaffen“, sagt Bas. Und versichert unaufgeregt: Zwischen ihm und ihr gebe es „keinen Streit, kein Gegeneinander. Im Gegenteil: Manchmal bin ich ihm sogar dankbar.“
Zumal die Krankenkassenbetriebswirtin mit dem Epidemiologen häufig im Austausch über Fragestellungen im Gesundheitsausschuss sei. „Er liest von Berufs wegen jede Corona-Studie, er ist populär, er spaltet, zieht Gegner auf sich.“
Organisierte Querdenker verfolgen Gesundheitspolitikerin
Wie anstrengend diese Gegner sein können, erlebt auch Bas aufgrund ihrer Funktion als Gesundheitspolitikerin. Unter der Reichstagskuppel ist sie allein zu Corona-Themen 15-mal ans Rednerpult geschritten. Personenschutz benötigt sie anders als Lauterbach zwar noch nicht, doch der Hass organisierter Querdenker verfolge auch sie, auch auf der Straße. Bas beobachtet eine „AfD-dominierte Radikalisierung“. Sie könne manchmal nur noch staunen „wie viele sich zu Corona nur über soziale Medien informieren und Fake News glauben“.
Was die Politikerin bei Querdenkern nicht beliebter macht: Sie zählt sich im Dauerkonflikt zwischen Freiheits- und Gesundheitsrechten, Bund und Ländern zur „Fraktion der Strengen“, wie sie sagt. Bas spricht sich etwa für das Hamburger Optionsmodell aus, bei dem Gastronomen statt der 3G-Regel auch ausschließlich Geimpfte und Genesene (2G) einlassen können und im Gegenzug all ihre Sitz- und Stehplätze vergeben dürfen.
Im Wahlkampf-Endspurt darf aber auch Bärbel Bas sich über den Rückenwind durch die mutmaßlich außerordentliche Bedeutung der K-Frage freuen. Sie erinnere sich gut an die letzte Fraktionssitzung vor der Sommerpause, als die SPD in den Umfragen bei 12, 13 Prozent festzuhängen schien: „Im Nachhinein ist es faszinierend, wie optimistisch Olaf Scholz damals war. Er hat gesagt, dass wir aufholen werden, und viele von uns haben sich damals gefragt: Wie wollen wir das schaffen?“
Rot-Rot-Grün? „Kein Drama“
Rot-Grün-Rot wäre übrigens für die 53-Jährige „kein Drama“. Sie ist Vorstandsmitglied der Parlamentarischen Linken und in der SPD-Denkfabrik aktiv. Sie weiß aber auch darum: „Eine Koalition mit der Linken würde schwierig.“ Die Verweigerungshaltung bei der Afghanistan-Abstimmung hat auch sie bitter enttäuscht.
Unabhängig vom genauen Wahlausgang wird Bas nach dem 26. September in ihrer Rolle als stellvertretende Fraktionsvorsitzende erstmals in den Verhandlungsrunden dabei sein, in denen im Willy-Brandt-Haus Koalitionsgespräche vorbereitet werden.
Besonders liege ihr die Pflege am Herzen: „Wir haben mit unserem Sofortprogramm 13.000 neue Stellen in Altenheimen geschaffen“, aber es gebe „viel zu wenige Kurzzeitpflegeplätze“ und zu starke Belastungen für die große Gruppe der pflegende Angehörigen. „Um all das finanzieren zu können, wollen wir eine Bürgerversicherung in der Pflege, die gleichzeitig Versicherte generell stärker von pflegebedingten Kosten entlastet.“
>> WERDEGANG UND WAHLERFOLGE
• Bärbel Bas war von Ende 2013 bis September 2019 Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Bundestagsfraktion, eine „eher administrative Aufgabe mit viel Personalverantwortung“.
• Die gebürtige Walsumerin war nach ihrem Hauptschulabschluss Bürogehilfin und Sachbearbeiterin bei der DVG, machte Aus- und Fortbildungen zur Sozialversicherungsangestellten, Krankenkassenbetriebswirtin und Personalmanagement-Ökonomin (VWA). Bevor Bas MdB wurde, war sie Abteilungsleiterin der Betriebskrankenkasse BKK Futur.
• Bärbel Bas erhielt im Wahlkreis Duisburg I immer deutlich mehr Erststimmen als die SPD Zweitstimmen: 38,3 Prozent (2017/SPD: 31,7 %), 46,6 Prozent (2013/SPD: 39,2 %) und 42,2 (2009/SPD: 36,3 %).